Klaus Behling

Leben nach der DDR


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      Neue Währung, neue Preise: Einen Korb frischer »Ost-Schrippen« bietet diese Verkäuferin aus einem Bäckerladen im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg Anfang der 1990er Jahre an. Die knusprigen Brötchen – nach DDR-Rezept ausschließlich mit Hefe gebacken – kosten pro Stück 28 Pfennige. In der DDR kostete ein subventioniertes Brötchen 5 Pfennige. (picture alliance / dpa – Report / Peer Grimm)

      Auch die Umstellung der Sparguthaben und Lebensversicherungen blieb eine Ausnahme im Transformationsprozess Osteuropas. In den einstigen »sozialistischen Bruderländern« fraß sie die Inflation, um so die Staatsschulden zu tilgen. In der DDR wurden sie durch den Umtausch gerettet. Es hätte auch anders kommen können. Lothar de Maizière erinnerte sich an die Lage 1990: »Die 160 Milliarden Mark Ersparnisse der DDR-Bevölkerung waren durch nichts abgedeckt.« Auch die Versicherungsguthaben von etwa 20 Milliarden Mark waren verbraucht worden. Dass die DDR über Jahrzehnte bei den eigenen Bürgern hatte anschreiben lassen, bestätigte Günter Schabowski als Mitglied des Politbüros der SED: »Die DDR stand mit rund 200 Milliarden Ostmark in der Kreide, wodurch praktisch alle Sparguthaben der DDR-Bürger wertlos waren.« Dass die Guthaben der DDR-Bürger trotzdem zu DM-Konten wurden, verdankten sie der Einheit. In ihrem gesamten Volumen entsprachen sie ungefähr der jährlichen Zuwachsrate westdeutscher Sparer.

      Bei einer Betrachtung aller Aspekte des Umtauschkurses der DDR-Mark in DM kann es kein wirtschaftliches, sondern nur ein politisches Fazit geben. Es wurde ein Kompromiss gefunden, der im Westen finanzierbar und im Osten tragbar war. Er rechtfertigte sich mit dem schnellen Start in die Einheit, schuf aber auch Probleme, die 1990 kaum jemand vermutete. Sie finden bis heute im mühsamen Angleichungsprozess der Lebensverhältnisse in Ost und West ihren Ausdruck.

      Wer hatte den Daumen auf der DDR-Kasse?

      Es ist eine vergessene Geschichte. Mit der Bildung der letzten DDR-Regierung nach der Wahl vom 18. März 1990 endete das selbständige Wirtschaften des Landes. Seit der Amtsaufnahme des SPD-Finanzministers Walter Romberg wurde jeden Morgen um neun Uhr in der »Ständigen Arbeitsgruppe Liquidität« ein Kassensturz gemacht. Dabei rechnete man Steuereinnahmen und Kredite zusammen. Jeweils am Freitag gab es dann eine Runde, um eine Vorschau auf Ausgaben und Einnahmen zu erarbeiten und damit einen Staatsbankrott der DDR zu verhindern. So entstanden monatliche Kassenpläne – es ging nur noch von der Hand in den Mund.

      Sehr schnell tauchten im Ostberliner Finanzministerium »Leihbeamte« aus Bonn auf, die dem Bundesfinanzminister Theo Waigel berichtspflichtig waren. Dennoch warf er Walter Romberg mehrfach vor, die DDR-Seite habe ihn nicht rechtzeitig und umfassend informiert. Das wies Romberg zurück: »In Bonn wusste man zu jeder Zeit und zu jeder einzelnen Frage detailliert Bescheid.« Und er spürte, dass er nur noch eine Marionette war.

      Über das hinter dem Druck aus Bonn stehende Parteiengerangel sprach der SPD-Politiker Walter Romberg erst nach der Einheit: »Regine Hildebrandt und ich haben immer wieder auf die katastrophale Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Osten hingewiesen. Aus Bonn kam eine Menge von Zweckoptimismus, den ich nicht teilte. Ich wollte den nach dem 1. Juli abzusehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht mit schönen Worten überdecken. Außerdem waren Regine Hildebrandt und ich ja Sozialdemokraten und als solche ohnehin ein Feindbild.«

      Ostberlin, 1. Juli 1990, im Haus des DDR-Ministerrats: Vor dem Schriftzug »Die Regierung der DDR informiert. Start in die soziale Marktwirtschaft« geben sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (rechts) und DDR-Finanzminister Walter Romberg bei einer Pressekonferenz zur Währungsumstellung die Hand. Im Hintergrund links – im geblümten Kleid – die stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)

      Wie harsch der DDR-Finanzminister aus Bonn reglementiert wurde, belegt ein Brief von Bundesfinanzminister Theo Waigel vom 28. Juni 1990, also zwei Tage vor dem Einzug der DM:

      »Sehr geehrter Herr Kollege,

      eine Pressemeldung vom heutigen Tage, nach der Sie für den Staatshaushalt von einem Haushaltsdefizit für das zweite Halbjahr 1990 von 35 Mrd. DM ausgehen, gibt mir Veranlassung, Ihnen meine tiefe Sorge über den unter Ihrer Verantwortung aufzustellenden Entwurf des Staatshaushaltes für das 2. Halbjahr 1990 mitzuteilen. Ich halte die Bekanntgabe einer derartigen Einschätzung, die mit mir als dem für eine eventuelle Erhöhung der Kreditobergrenze zuständigen Minister nicht abgestimmt worden ist, für wenig hilfreich.

      Nach der Beurteilung meiner Mitarbeiter aus der Haushaltsabteilung sollte es bei der gebotenen äußerst strengen Ausgabedisziplin möglich sein, die derzeit bestehenden Mehrforderungen der Ressorts zu reduzieren und die finanziellen Eckwerte des Staatsvertrages, den ich sehr ernst nehme, einzuhalten.

      Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie in der für die kommende Woche vorgesehenen Vorlage an den Ministerrat ein Kürzungskonzept vorlegen, das zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt für das 2. Halbjahr 1990 führt. Dabei gehe ich davon aus, dass die Vorlage entsprechend der bisherigen Übung mit meiner Haushaltsabteilung abgestimmt wird.«

      Dass die entscheidenden Weichen von denen gestellt wurden, die nun das Geld besaßen, belegt auch »ein weiteres Problem«, das Theo Waigel im gleichen Schreiben ansprach:

      »Ich meine, dass Löhne und Gehälter nach dem 1. Juli nur in einer produktivitätsorientierten Weise angehoben werden sollten. Für den öffentlichen Bereich, der – wie Sie wissen – personell stark überbesetzt ist, können m. E. keine Steigerungen im Haushalt 1990 verkraftet werden. Ich befürchte deshalb, dass kostenwirksame Ministerratsbeschlüsse, wie z. B. über den Rahmenstrukturplan für Finanzämter, die falschen Zeichen setzen, zumal präjudizielle Auswirkungen auf den gesamten öffentlichen Bereich nicht auszuschließen sein werden. Nach meiner Erfahrung ist es außerdem für den Finanzminister wenig hilfreich, wenn er selbst mit Mehrforderungen in die Ressortauseinandersetzungen gehen muss …

      Mit freundlichen Grüßen …«

      Dass mit der Währungsunion die Zügel kräftig angezogen wurden, bestätigte Ministerpräsident Lothar de Maizière: »Für das zweite Halbjahr gab es einen Haushaltsplan. Die 63 Milliarden DM Ausgaben waren linear errechnet worden, nur die Exportsubventionen wurden verringert, aber es waren nur 55 Milliarden DM vorhanden, denn 7,9 Prozent hatten wir wegen Mindereinnahmen gesperrt. Die Ausgaben wurden bis zu 32 Milliarden DM durch Transferleistungen finanziert – 22 Milliarden Bundeszuschüsse und 10 Milliarden Bundesbankkredite.«

      Die Finanzkrise in der DDR spitzte sich zu. Walter Romberg wies darauf hin, dass die 10 Milliarden DM Bankkredit für 1990 nicht reichen würden, Finanzstaatssekretär Manfred Carstens aus Bonn rechnete den Bedarf herunter und prognostizierte für die neuen Länder bis 1994 eine Kreditnachfrage »bei 24 Milliarden Mark«, der DDR-Finanzminister kalkulierte mit 90 Milliarden Mark. In der zweiten Lesung des Haushalts in der Volkskammer beschwerte sich Walter Romberg: »Nichts von dem, was das Kabinett in den letzten Monaten, immer mit Zustimmung des Bundesfinanzministers, beschlossen hat, wurde mit zusätzlichen Mitteln aus Bonn unterstützt.«

      Dort dachte man inzwischen an die bevorstehende gesamtdeutsche Bundestagswahl. SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine drängte die Genossen im Osten, die Koalition mit der CDU aufzukündigen. Richard Schröder, SPD-Fraktionschef in der Volkskammer, weiß es noch: »… wir sollten aus der Koalition austreten. Das Hauptargument war der Wahlkampf. Die Idee, die dahinter stand, fand ich nicht sehr fein: Hier geht es wirtschaftlich den Bach herunter, und wir wollen damit nicht in Zusammenhang gebracht werden.«

      Auch Ministerpräsident Lothar de Maizière sah die Ursachen für das Ende seiner Koalition mit der SPD am 16. August 1990 so: »Ein Grund ist, dass im August 1990 Oskar Lafontaine in die Fraktion der Volkskammer kam und sagte: ›Freunde, wir sind im Vorwahlkampf, und Wahlkampf aus einer Koalition heraus ist nicht zu führen. Ihr müsst eben sehen, wie ihr nach Möglichkeit aus der Koalition herauskommt!‹«

      Der Hebel dazu lag beim Geld. Der DDR-Ministerpräsident: »Ich hatte eine große Meinungsverschiedenheit mit Walter Romberg. Walter Romberg wollte, dass alle im Osten gezogenen Steuereinnahmen im Osten Deutschlands bleiben, dafür aber auch auf alle Zuschüsse aus dem Westen