Eugen Reichl

SPACE 2022


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bis vor einer Weile außer bunten Powerpoint-Präsentationen gar nichts. Immerhin, diese Situation ändert sich nun.

      Kleinträger in Europa und in Deutschland

      Momentan werden in Europa ein halbes Dutzend Kleinträgerentwicklungen in einem mehr oder weniger fortgeschrittenen Stadium betrieben. Das sind in Spanien PLD Space mit der Miura 5-Rakete, in Italien Avio mit der Vega Light und in England Skyrora mit der Skyrora XL-Rakete. Die anderen drei kommen aus Süddeutschland: Die Rocket Factory Augsburg (RFA), die zur OHB-Gruppe gehört, Isar-Aerospace aus Ottobrunn bei München und die Hyimpulse Technologies GmbH in Neuenstadt am Kocher, nahe Heilbronn. Von den deutschen Unternehmen sind RFA und Isar-Aerospace für die Anfangsphase eines solchen Unterfangens ausreichend finanziert. HyImpulse mit seinem SL-Launcher steht nicht ganz so gut da. Das Start-up versucht sich mit einem inkrementellen Entwicklungsprogramm auf dem Umweg über Höhenforschungsraketen auf der Finanzierungsleiter zum Orbitalträger hochzuarbeiten. Immerhin gibt es bei HyImpulse (wie bei den beiden anderen deutschen Firmen auch) Fördermittel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der nationalen deutschen Raumfahrtbehörde. Zusätzlich erhält das Unternehmen eine intensive Betreuung durch das Forschungs- und Testzentrum für Raketenantriebe in Lampoldshausen. Diese Zuwendung ist nicht verwunderlich, denn bei HyImpulse handelt es sich um eine Ausgründung des DLR. Technologische Unterstützung (z. B. durch die dortigen Prüfstände) ist notwendig, denn dieses Unternehmen arbeitet an einem neuen technischen Konzept mit einem Antrieb, der Paraffin als Treibstoff einsetzt. Umwege über vorbereitende Technologieprogramme sind allerdings einem schnellen und preisgünstigen Entwicklungsprozess nicht gerade förderlich, so dass man die Entwicklung des SL-Launchers bislang eher als akademisches Projekt denn als ein nach dem Markt ausgerichtetes Unterfangen bezeichnen muss. Sollte es aber eines – wahrscheinlich eher ferneren – Tages mit dem geplanten dreistufigen Orbitalträger soweit sein, dann strebt HyImpulse einen Preis für das Kilo Nutzlast in den Orbit in der Gegend von 7.000 Euro an. Das ist in etwa der Durchschnittspreis, mit dem die schon auf dem Markt befindlichen Kleinträger derzeit um Kunden werben. Deutlich marktnäher sieht es bei den Konkurrenten RFA und Isar-Aerospace aus. Die beiden Unternehmen arbeiten an klassischen Trägerraketen die mit Kerosin und flüssigem Sauerstoff (RFA) und mit Propan und flüssigem Sauerstoff (Isar-Aerospace) betrieben werden. Diese beiden Start-ups haben gute Chancen, innerhalb der nächsten etwa zwei bis drei Jahre eine funktionsfähige Rakete auf die Startrampe zu bringen. RFA gehört zum deutschen Raumfahrtkonzern OHB Group und dürfte über die tiefen Taschen der Mutter ausreichend finanziert sein, um bis zum Prototypen zu gelangen. Der Starttermin für den Erstflug des dreistufigen Trägers liegt hier noch nicht fest. Wohl aber der Preis pro Kilogramm Nutzlast. Der soll nach Angaben von RFA bei 2.300 Euro liegen. Diese Zahl ist derart niedrig, dass sie angesichts der verwendeten Technik und der absehbar niedrigen Startfrequenz vollständig unrealistisch sein dürfte. Finanziell eher noch besser steht die Isar-Aerospace da, denn hier hat eine Investorengruppe unter der Führung der Porsche SE (dem Mehrheitsaktionär von VW) Gefallen an dieser Firma gefunden und mehr als 150 Millionen Euro hineingesteckt. Damit ist das Ottobrunner Unternehmen nach eigenen Worten das „bestfinanzierte und am schnellsten wachsenden Space-Start-up in der EU“. Es ist auch mit derzeit etwa 180 Mitarbeitern das personell am besten ausgestattete. Ihre zweistufige, über beide Stufen mit Kerosin und flüssigem Sauerstoff betriebene, Rakete namens Spektrum soll bereits irgendwann gegen Ende des kommenden Jahres vom norwegischen Startplatz Andoya aus zum Erstflug aufbrechen. Ziel der Isar-Aerospace-Ingenieure ist es, das Kilo Nutzlast für weniger als 10.000 Euro in den Orbit zu bringen. Die weitere Entwicklung nach dem Erstflug, also der eigentliche Eintritt in das Geschäftsmodell, ist bei allen drei deutschen Firmen noch recht wolkig. Isar-Aerospace behauptet, in fünf Jahren etwa 10 Raketen jährlich herstellen zu können, vielleicht sogar bis zu 30. Aber an dieser Stelle zeichnet sich schon ein gefährlicher Mangel ab, der gerade deutschen Startups nicht abzugewöhnen ist: Dem großen Interesse am Produkt und seiner Technik steht ein deutliches Desinteresse an seiner Platzierung auf dem Markt und seiner Vermarktung gegenüber.

      Die Welt wartet nicht auf Deutschland

      Ein hervorragendes Geschäftsmodell, einen schlagkräftigen Vertrieb und eine perfekte, bis zum äußersten durchrationalisierte Serienfertigung wird es brauchen. Dinge erfinden und entwickeln konnte man in Deutschland schon immer ziemlich gut. Auf einem ganz anderen Blatt steht die chronische deutsche Schwäche bei der Vermarktung, die sich quer durch alle Gebiete neuer Technologien zieht. Und eine perfekte Vermarktung wird notwendig sein, denn die deutschen Startups werden auf einen Markt treffen, der vollständig gesättigt ist. Nach Informationen des Northrop Grumman Smallsat Launcher Survey, der von seinen Autoren jährlich auf den Neuesten Stand gebracht wird, sind derzeit 155 Unternehmen weltweit dabei, Kleinträger zu entwickeln. Zehn davon sind bereits im Einsatz. Sechs dieser einsatzfähigen Kleinträgerraketen stammen aus China. Weitere etwa 10-15 werden ihren Erstflug in weniger als einem Jahr durchführen. Im Abstand von wenigen Wochen kommen neue Entwicklungen dazu und selbst Raumfahrt-Nerds verlieren inzwischen den Überblick bei all den exotisch klingenden Start-ups wie Aevum, Acrux Space, Beyond Earth, Green Launch, X-Bow, Merida Aerospace, Thor Launch Systems und viele, viele mehr, die sich zu den Namen dazugesellen, an die man sich schon etwas gewöhnt hat, wie Rocket Lab, Virgin Orbit, Astra, Firefly, iSpace, Landspace, Orbex, Launcher, Galactic Energy, Firefly, Relativity Space oder ABL. Fakt ist: Die Welt hat nicht gerade darauf gewartet, dass irgendwann auch noch die Deutschen (oder die Europäer generell) auf dem Markt eintreffen. Wenn sie es denn in zwei, drei oder noch mehr Jahren tatsächlich tun, dann finden sie dort eine große Anzahl von Unternehmen vor, die alle schon ihre Entwicklungsprobleme hinter sich gelassen haben, bei denen die Serienfertigung läuft, und die nun um die etwa 5-7 Positionen kämpfen, die der Markt auf absehbare Zeit wirklich benötigt. Wie fast immer auf dem Gebiet neuer Technologien ist Europa und hier vor allem Deutschland viel zu langsam. Das liegt noch nicht einmal an der oft beklagten deutschen Technikfeindlichkeit sondern auch häufig am nicht vorhandenen positiv regulativen Rahmen, an der überbordenden Bürokratie, fehlendem Pragmatismus und einer extrem technikkritischen Medienlandschaft, die neue Entwicklungen lieber ins Lächerliche zieht, anstatt sich objektiv damit zu befassen. Früher war es die Magnetschwebebahn, heute sind es Flugtaxis und Trägerraketen.

      Serienfertigung und Vermarktung

      Ein Design zu erstellen ist die mit weitem Abstand leichteste Aufgabe. Schon deutlich schwieriger ist es, einen flugfertigen Prototypen zu bauen. Das wahre Problem aber liegt im Produktionssystem. Das benötigt ein Vielfaches des Aufwandes, den Design und Prototypenbau erfordern. Elon Musk, der dieses Problem aus eigener leidvoller Erfahrung kennt, meint dazu, dass der Aufwand für „Manufacturing“ sträflich unterschätzt werde. Es ist etwas vollständig anderes, einen für 150 Millionen Euro in jahrelanger liebevoller Arbeit „handgebastelten“ Prototypen herzustellen, als für fünf Millionen Euro eine Serienrakete in so wenigen hoch rationalisierten Prozessschritten wie möglich. Der Weg zur Serienfertigung ist lang, beschwerlich, extrem teuer und es ist der Schritt, an dem Deutschland oft scheitert. Es ist der Schritt, bei dem die Leidensfähigkeit eines Unternehmensmanagements seine wahre Nagelprobe erlebt. Bei Trägerraketen kostet die Einrichtung einer Serienfertigung das Vielfache der Prototypenentwicklung. Ein relativ transparentes Beispiel ist hier Rocket Lab, die seit Jahren recht erfolgreich die Elektron-Kleinträgerrakete vertreibt. Auch dort gelang die Entwicklung der Rakete bis zum Prototypen mit etwa 120 Millionen Dollar. Für Serienreifmachung, Produktionsoptimierung, Beschaffung und Kalibrierung der Produktionsinfrastruktur, Bereitstellung der gesamten Bodenausrüstung (des so genannten