Eugen Reichl

SPACE 2022


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      Einführung

      Die Testziele für die Mission MA-6 der Friendship 7 waren – im Einklang mit den Missionsrichtlinien – die Folgenden:

       Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Mensch-Raumfahrzeugsystems während einer Mission mit drei Erdumkreisungen.

       Bewertung der Effekte eines Raumflugs auf einen Astronauten.

       Beurteilung der operationellen Tauglichkeit des Raumfahrzeugs und der unterstützenden Systeme für einen bemannten Raumflug durch einen Astronauten.

      Das sind ganz offensichtlich sehr allgemeine Zielvorgaben. Die Funktionsweise der Raumfahrzeugsysteme wurde bereits in früheren Veröffentlichungen teilweise recht detailliert erläutert, und – bis zu einem gewissen Grad – auch die Integration des Menschen in diese Systeme. Mein Bericht beschäftigt sich daher hauptsächlich mit den Punkten in den drei Testzielen, bei denen die Beurteilungsfähigkeit des Menschen Informationen liefert, die durch andere Mittel nicht zu erlangen sind. Der Bericht wird zeigen, dass ein bemanntes Vehikel einen großen Vorteil gegenüber einem unbemannten Fluggerät hat, das oft taub und blind gegenüber dem Neuen und Unerwarteten ist. Mein Report hebt deswegen vor allem heraus, was ich während des Orbitalfluges hörte, sah und fühlte.

      Vorbereitung und Countdown

      Die Vorbereitung, der Transfer zur Startrampe und das Besteigen des Raumfahrzeugs verliefen wie geplant. Die Techniker und ich hatten diese Vorgänge zuvor vielfach praktiziert. Wie bei jedem Countdown kam es auch hier zu kurzen Unterbrechungen, sobald sich Probleme ergaben. Die Halterung für das Helmmikrofon wurde beschädigt und musste ausgetauscht werden. Ein Teil das zuvor buchstäblich tausende Male justiert und bewegt worden war. Als die Luke des Raumfahrzeugs gesichert wurde, brach einer der Bolzen und musste ebenfalls ersetzt werden. Während dieser Zeit war ich damit beschäftigt, meine Checklisten durchzugehen und die Instrumente des Raumfahrzeugs zu beobachten. Viele Menschen sorgten sich um meine mentale Verfassung während dieser und anderer Verzögerungen, die Teil der Vorbereitung für einen bemannten Raumflug sind. Menschen haben sich zuvor schon wiederholt erkundigt, ob ich vor dieser Mission Angst hätte. Menschen fürchten sich immer vor unbekannten Situationen – das ist ganz normal. Wichtig ist nur, was wir mit dieser Angst tun. Wenn wir es ihr erlauben, uns zu lähmen und vom angemessenen Handeln abzuhalten, dann ist Angst gefährlich. Das beste Gegenmittel gegen Angst ist es, so viel über eine Situation zu wissen, wie nur irgend möglich. Es ist der Mangel an Wissen, der die Menschen oft in die Irre führt, wenn sie sich die Gefühle eines Astronauten vor dem Start vorstellen. Während der Jahre der Vorbereitung für das Projekt Mercury sind diese unbekannten Bereiche, so glauben wir, auf ein akzeptables Niveau reduziert worden. Für diejenigen aber, die nicht in den Genuss dieses Trainings kamen, erscheint das Unbekannte groß und unüberwindbar, und das verringert die Zuversicht bei diesem Personenkreis um ein Erhebliches.

      Alle Mitglieder des Mercury-Teams arbeiten schon lange auf diese Fluggelegenheit hin. Wir haben uns nicht vor ihr gefürchtet, wir haben sie erwartet. Nach drei Jahren der Vorbereitung dürfen wir wegen einiger Verzögerungen nicht ungebührlich besorgt sein. Die wichtigste Erwägung ist, dass alles bereit ist und dass nichts durch unnötige Hast gefährdet wird, was durch umsichtiges Handeln bewahrt werden kann. Die erste ungewöhnliche Erfahrung der Mission besteht darin, sich an der Spitze der Atlas-Trägerrakete zu befinden, nachdem der Wartungsturm zurückgefahren ist. Durch das Periskop kann man nun über weite Teile von Cape Canaveral sehen. Wenn man sich in der Liege vor und zurückbewegt, bemerkt man, wie sich das ganze Vehikel leicht bewegt. Wenn die Triebwerke geschwenkt werden, kann man die Vibration fühlen. Wenn der Tank mit flüssigem Sauerstoff gefüllt wird, vibriert und zittert das Raumfahrzeug, wenn sich die Metallhaut durch die Kälte zusammenzieht. Durch das Fenster und das Periskop ist die weiße Wolke des ausgasenden Sauerstoffs sichtbar.

      Start

      Als der Countdown Null erreichte, konnte ich die Zündung der Triebwerke fühlen. Das Raumfahrzeug schüttelte sich. Nicht wild, aber dennoch nachdrücklich. Über den Zeitpunkt des Lift-offs gab es keinen Zweifel. Als die Halteklammern die Atlas freigaben, gab es augenblicklich ein sanftes Schwanken, das einen wissen ließ: man ist auf dem Weg. Die Rollbewegung der Rakete in den korrekten Start-Azimuth war nach dem Abheben deutlich wahrnehmbar. Ich hatte den kleinen Spiegel am Fenster vorab eingestellt, um den Boden sehen zu können. Ich blickte nach dem Abheben kurz hinaus und konnte sehen, wie sich der Horizont drehte. Sofort nach dem Liftoff gab es einige Vibrationen. Nach etwa 10-15 Sekunden nahmen sie etwas ab, verschwanden aber nie vollständig. Es war ein mäßiges, aber deutliches Vibrationsniveau, das anhielt, bis das Raumfahrzeug etwa eine Minute nach dem Verlassen der Startrampe die Zone des maximalen aerodynamischen Staudrucks (Anmerkung des Übersetzers: Die Originalbezeichnung lautete „max q“) durchquerte. Die Annäherung an max q kündigt sich durch eine erhebliche Zunahme des Vibrationsniveaus an. Die Kraft, die von außen auf das Raumfahrzeug einwirkte, war für diese Phase mit 982 Pound pro Quadratfuß berechnet worden. Während dieser Zeit nahm ich ein gedämpftes, dumpfes Röhren der Triebwerke wahr. Nachdem die Zone hohen Staudrucks passiert war, nahmen die Vibrationen deutlich ab. Das Raumfahrzeug war aber während der gesamten angetriebenen Phase nie vollständig vibrationsfrei. Der Aufbau der Beschleunigung war erheblich, aber nicht belastend. Vor dem Flug sagte mein Ersatzmann, Astronaut Scott Carpenter, er denke, dass es sich gut anfühlen würde einer geradlinigen Beschleunigung ausgesetzt zu sein, als der kreisenden, wie wir sie aus dem Zentrifugentraining her kannten. Und er hatte Recht. Der Brennschluss der Booster-Triebwerke erfolgte bei zwei Minuten und 9,6 Sekunden nach dem Liftoff. Als die beiden Außentriebwerke stillgelegt und abgeworfen wurden, fiel die Beschleunigung, aber nicht so ruckartig, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Vielmehr baute sie sich über etwa eine halbe Sekunde ab. Es gibt einen Wechsel im Lärmpegel und im Vibrationsniveau, nachdem diese Triebwerke abgeworfen wurden. Ich sah einen Rauchstoß aus meinem Fenster und dachte zunächst, dass der Fluchtturm vorzeitig abgetrennt worden wäre und berichtete das auch. Dieser Ausstoß war aber offensichtlich reflektierter Rauch von der Booster-Trennung, der das Raumschiff kurzzeitig umgab. Der Fluchtturm wurde bei 2 Minuten und 33,3 Sekunden abgeworfen, und ich berichtigte meine vorherige Aussage. Ich war bereit, für den Fall manuell einzugreifen, wenn es beim automatischen Ablauf des Trennprozesses zu Unregelmäßigkeiten kommen sollte, und zählte daher die Sekunden herunter bis der Turm abgetrennt wurde. Ich blickte auf die Düsen der Fluchtturm-Raketen als sie feuerten. Der Turm beschleunigte schnell in gerader Linie vom Raumfahrzeug weg. Ich beobachtete ihn bis in eine Distanz von etwa einer halben Meile. Das Raumfahrzeug war darauf programmiert, sich vor dem Abwurf leicht nach unten zu neigen, und dieses Manöver gab mir die erste wirkliche Sicht auf den Horizont und die Wolken. Ich konnte die Wolken und den Horizont hinter dem Turm erkennen, als der sich vom Raumfahrzeug trennte. Nachdem der Fluchtturm abgefeuert war, richtete sich das Raumfahrzeug wieder langsam auf und ich verlor die Sicht auf den Horizont. Ich erinnere mich etwa um diese Zeit einen Kommentar abgegeben zu haben, dass der Himmel sehr schwarz sei. Die Beschleunigung begann sich erneut aufzubauen, aber wie zuvor stellte sie kein größeres Problem dar. Ich konnte bis zum Maximum von 7,7 g gut kommunizieren. Dann endete der Schub des Marschtriebwerks. Unmittelbar vor dem Ende des angetriebenen Fluges gab es eine Erfahrung, die ich nicht erwartet hatte. Zu dieser Zeit waren die Oxidator- und Treibstofftanks schon fast leer und offensichtlich wurde die Atlas dadurch merklich flexibler, als sie es in vollgetanktem Zustand war. Ich hatte das Gefühl, mich am Ende eines federnden Sprungbrettes zu befinden und konnte oszillierende Bewegungen fühlen, so als würde die Nase des Startvehikels leicht vor und zurück schwingen.

      Einschuss in den Orbit

      Der Geräuschpegel steigerte sich noch einmal als das Fahrzeug sich SECO näherte (Anmerkung des Übersetzers: Sustainer Engine Cutoff – Brennschluss des Marschtriebwerks). Als das Marschtriebwerk bei 5 Minuten und 1,4 Sekunden stillgelegt wurde und die Beschleunigung auf Null fiel, hatte ich