Niklaus Meienberg

Reportagen 1+2


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hat er auch damals die Begnadigung abgelehnt, hingegen hat er den Delinquenten zwei Tage vor der Hinrichtung noch in der Festung Thorberg besucht. Bundesrat Kobelt habe ihm zu diesem Zweck eigens sein Dienstauto mit Chauffeur zur Verfügung gestellt. Der Sohn dieser Mutter, einer Gemüsefrau, bei der er jeweils nach der Arbeit eingekauft habe, sei ins Besuchszimmer der Festung geführt worden, der Direktor habe sie einen Moment allein gelassen, und der damals dreissigjährige Mann habe sofort zu heulen begonnen und immer wieder gesagt: Ich möchti läbe, ich möchti läbe, er sehe ja seine Dummheit ein und sei reuig. Pfenninger habe aber kein Hehl daraus gemacht, dass er seine Begnadigung bereits abgelehnt habe und die Vereinigte Bundesversammlung in Kürze dem Kommissionsantrag folgen werde. Der junge Mann habe immer nur wieder gesagt: Ich möchti läbe, er höre heute noch seine Stimme, das Wasser sei ihm heruntergelaufen, er war ein etwas beschränkter Bursche, es habe überhaupt eine Mehrheit von einfachen Burschen unter den 17 Erschossenen gehabt. Pfenninger habe ihm nur gesagt, er hätte sich vorher besinnen sollen, statt solche Sachen zu machen, und auf der Schwelle habe er sich nochmals umgedreht und ihm geraten, jetzt müsse er halt tapfer sein. Dieser Delinquent war übrigens ein Zivilist, die Militärgerichte hatten auch Jurisdiktion über landesverräterische Zivilisten.

      Die Begnadigungskommission habe jeweils knapp einen Tag gebraucht für die Beurteilung der einzelnen Fälle, ab 9 Uhr morgens konnten sie die Akten einsehen, die Sitzung war dann um 4 Uhr nachmittags. Sie hätten die Akten aber oft kaum mehr richtig studiert, weil sie sich sagten: Wir müssen kein Urteil fällen, sondern nur begnadigen oder nicht.

      Da die Grossrichter ihre Sache immer sehr ernst nahmen und man sich auf ihre Urteile verlassen konnte, sagt Pfenninger, war die Arbeit der Begnadigungskommission dadurch sehr erleichtert. Während der sehr kurzen Sitzungen im militärisch bewachten Zimmer 3 sei die Diskussion kaum benützt worden, der Präsident habe jeweils referiert und die Begnadigung immer abgelehnt, und dann hätten sie sich immer fast einstimmig seinen Ausführungen angeschlossen. Manche hätten Skrupel gehabt, zum Beispiel er selbst und auch Nationalrat Killer, weil sie vor dem Krieg noch Vorträge gegen die Todesstrafe gehalten hätten, aber die harte Zeit habe einfach ein Umdenken verlangt, es wäre noch viel mehr Landesverrat vorgekommen ohne diese Abschreckung. Weshalb soll die Todesstrafe im Krieg eine abschreckende Wirkung haben, wenn sie die im Frieden nicht hat? Darauf kann Pfenninger auch nicht antworten, und er räumt schliesslich ein, dass es mehr um die Vernichtung des räudigen Schafes, um den radikalen Familienausschluss und um Rache gehe als um Abschreckung. Man habe einfach eine verdammte Wut gehabt gegen diese Verräter, die den aufopferungsvollen Wehrmännern quasi in den Rücken schossen. Gewiss, von einer bestimmten gesellschaftlichen Stufe an aufwärts nenne man dieselbe Handlungsweise nicht mehr Landesverrat, sondern Politik, zum Beispiel der Anpassung der Schweiz ans Dritte Reich, aber diese Überlegungen habe man damals viel zu wenig angestellt. Und er gebe ja zu, dass die öffentlich verlesene Anpassungsrede des Bundesrates Pilet-Golaz die Demokratie viel gründlicher unterwandert habe als ein heimlich begangener Verrat. Aber Pilet-Golaz sei eben juristisch nicht zu erfassen gewesen.

      Pfenninger, der zur «Aktion Nationaler Widerstand» (eine Résistance-Bewegung) gehörte, glaubt, dass die Deutschen die Schweiz auch ohne Landesverrat innert kürzester Zeit überrannt hätten, wenn sie wirklich gewollt hätten. Aber damals hätten alle die Hinrichtungen gebilligt, Soldaten, Offiziere, Zivilisten, durchs Band habe Zustimmung geherrscht im Volk* * Das stimmt nicht ganz. Wie mir Hans Oprecht erzählte, waren die Sozialisten der welschen Schweiz immer dagegen., man habe die Hinrichtungen «gebraucht». Und man habe damit demonstriert, dass die Zeiten halt ernst waren. Die Landesverräter hätten übrigens immer ihre Vergehen gestanden, zur Entschuldigung hätten sie etwa gesagt: Diesen oder jenen verratenen Flugplatz habe jeder Zivilist von der Strasse aus sehen können. Die Offiziere unter ihnen hätten es mehr aus ideologischen Gründen getrieben (ein Leutnant, ein Oberleutnant, ein Major), die Soldaten mehr für die Aufbesserung des Taschengeldes. Pfenninger würde heute eher zur Begnadigung neigen, in manchen Fällen. Übrigens die Gemüsefrau habe die Erschiessung ihres Sohnes besser als erwartet aufgenommen, er habe weiterhin bei ihr eingekauft.

      *

      Im zugerischen Baar geht in einer Studierstube der Kaplanei der Pfarr-Resignat und weiland Feldprediger Stapfer auf und ab mit dem Brevier in der Hand. Ein Stich von Dürer im Treppenhaus: Ritter, Tod und Teufel. Der pensionierte Feldprediger geht schon recht gebückt und eingefallen, aber wenn er von der Armee spricht, gibt er seiner Gestalt einen Ruck, dass es knackt. Wenn er von seinen Feldpredigerkollegen spricht, sagt er: Kamerad Müller, Kamerad Meier, Kamerad, Kamerad. Das tönt fast wie «Genosse» auf französisch: camarade. Er hat nicht mit Zaugg und Schläpfer zu tun gehabt, sondern mit zwei Vierundzwanzigjährigen, die im Zürcher Oberland erschossen wurden. Aber es komme nicht drauf an, die feldpredigerische Betreuung sei immer dieselbe. Die beiden wurden 1944 erschossen, als die Schweiz nicht mehr bedroht war. Für den einen der beiden hat sich ein sozialdemokratischer Ständerat eingesetzt: Er sei ein bisschen jung zum Sterben.

      Stapfer hat nach der Exekution in den Feldpredigerschulen Vorträge gehalten über die seelsorgerische Betreuung von Todeskandidaten, welche Vorträge immer auf ein lebhaftes Interesse seiner Kameraden gestossen seien. Es seien dumme Buben gewesen, die von den Deutschen eingewickelt wurden, beide aus einfachen, zerrütteten Familien. Er als Feldprediger habe über die Berechtigung dieser Todesurteile nicht zu urteilen, sondern nur dafür zu sorgen gehabt, dass die beiden anständig aus der Welt gingen. Die beiden hätten dann ihre Sache recht gemacht, es sei eine saubere Exekution gewesen. Zwar hätten sie bis zum letzten Moment gehofft, eine deutsche Invasion werde sie kurz vor der Exekution befreien, aber dann assen sie ruhig ihre Henkersmahlzeit, nämlich Habersuppe, ein Stück Chäs und gschwellti Härdöpfel. Darauf die Sterbegebete, laut rezitiert: Befreie, o Herr, die Seele deines Dieners, wie du Lot befreit hast aus Sodoma und aus den Flammen des Feuers; und wie du die selige Jungfrau und Märtyrin Thekla von drei schrecklichen Peinen befreit hast, so befreie gnädig die Seele dieser deiner Diener, amen. Sie seien übrigens früher Messdiener gewesen, Ministranten. Darauf haben die beiden Kandidaten Abschiedsbriefe an ihre Schätze geschrieben. Die Exekution fand abends vor Sonnenuntergang statt, während gewöhnlich das Morgengrauen bevorzugt wird. Stapfer legt zwei Dokumente auf den Tisch, einen dienstlichen Befehl seines damaligen Obersten Thoma: «Sie haben sich mit den Angehörigen in Vbg. zu setzen und abzuklären, ob Sie die Leichen übernehmen wollen. Die Leichen werden in plombierten Särgen transportiert, welche nicht geöffnet werden dürfen.» Ein anderer Brief, zwei Tage nach der Exekution geschrieben: «Herr Hauptmann! Die Tatsache, dass die beiden Verurteilten ihren Tod ruhig und gefasst erwarteten, hat bewiesen, dass es Ihnen gelungen ist, ihre schwere Aufgabe voll befriedigend zu erfüllen. Ich spreche Ihnen dafür meinen Dank und meine Anerkennung aus. Oberst Thoma. ps: Ihre Dienstleistungen wollen Sie sich bitte von meinem Büro auszahlen lassen.» Zwischen den beiden Briefen liegt die Exekution. Eine der Mütter sei am Tag der Hinrichtung nach Einsiedeln wallfahrten gegangen, und ein Vater habe die Öffnung des plombierten Sarges verlangt, weil er die neuwertigen Schuhe seines Sohnes haben wollte. Daraus kann geschlossen werden, sagte der Feldprediger, dass es komische Leute waren.

      Nach dem Besuch bei Stapfer ein Telefongespräch mit Frau Pfarrer Hürlimann. Ihr Mann, der Zaugg und Schläpfer betreute, ist vor zwei Jahren gestorben. Er habe die Gerechtigkeit des Urteils nicht erwägen müssen, sondern ihnen beim Hinübergehen behilflich sein. Pfarrer Hürlimann hat nie Politik gemacht, stand aber auf dem Boden von Luther und Zwingli. Es sei nicht leicht gewesen für all die Herren, die der Hinrichtung beiwohnen mussten. Ihres Mannes Haare wurden damals innert kurzer Zeit weiss. Es habe ihn furchtbar mitgenommen, aber er musste es so annehmen, wie es ihm von der Obrigkeit gegeben war. Der Mann hat nie Ferien genommen, seine Erholung war das Militär. Er musste die beiden dazu bringen, ihre Schuld zu akzeptieren, sagt sie wörtlich. Wenn einer Krebs hat oder einen Unfall, muss der Pfarrer ja auch Trost bringen und die Verzweiflung abwehren. Ihr Mann hat immer zu den geistlichen Verrichtungen Gedichte gemacht, oft Mundartgedichte. So hat er auch die Hinrichtung im Gedicht aufgehoben. Das Gedicht darf sie nicht bekannt machen, sie ist ans Pfarrergeheimnis gebunden, aber es stehe etwas drin vom Wald, der im ersten Morgenlicht lag (es war eine Morgenexekution), und wie die ersten Vögel gepfiffen hätten und alles von der barmherzigen Natur verklärt worden sei.

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      Es war eine saubere Hinrichtung, sagt auch Dr. Rupp in Sarnen, damals Hauptmann