Evelyna Kottmann

Kreuz Teufels Luder


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Die Gestalt darauf war Mensch und Tier zugleich, sie hatte Hörner auf dem Kopf wie eine Kuh oder ein Geissbock, und ihre Augen waren eher Schlitze als kleine schwarze Kugeln wie bei den anderen himmlischen Gestalten. Nicht die Hörner störten mich, sondern der lange Schwanz, den sie in der einen Hand hielt. Mir kam es vor, als wäre das etwas Heiliges. Die Schwester aber meinte, das sei der Teufel, der die Menschen zu schlimmen Taten verführe, und dass wir uns vor ihm in Acht nehmen müssten. Warum er Hörner hatte und einen so langen Schwanz, konnte sie mir nicht erklären.

      Als ich mich an den Bildern in der Kapelle sattgesehen hatte, kletterte ich in den Bänken herum und sang die Lieder über Maria, die die Schwester mir beigebracht hatte. Obwohl ich sie nicht verstand, machten sie mich glücklich. Während dieser Stunden in der Kapelle war ich das glücklichste Kind, denn es gab nur mich, die Bilder und die Schwester. Ich konnte tun und lassen und denken, was ich wollte, ohne ermahnt zu werden.

      *

      Inzwischen war es heiss geworden, die Tage waren lang, und wir Mädchen durften in den Ferien in die Berge reisen. Das wollte ich nicht so gerne, denn dort konnte ich meinen Bruder Arabat nicht sehen, dem es nicht gut ging bei seiner Schwester und den anderen Buben. Und ich litt schon so sehr darunter, Mascha und Alioscha nicht mehr sehen zu können.

      Wir fuhren in einem grossen Auto, von dem aus wir auf die anderen Autos hinunterschauen konnten, an einen abge­legenen Ort. Es gab dort keine grosse Eingangstür und keinen abgeschlossenen Garten. Es gab keine Grenzen, kein Nicht-hinein-Dürfen und Nicht-hinaus-Dürfen. Dieses Haus mit seinen offenen Armen gefiel mir. Es hatte kleine Schlafzimmer mit je zwei Betten. Ich fühlte mich geborgen und nicht so verloren wie in dem grossen Schlafsaal im Heim.

      In dem Raum, wo wir assen, stand ein Ofen, der mit glatten, glänzenden Blumenplättchen eingepackt war, als wollte er seine Wärme nicht so gerne mit uns teilen. Dieser Ofen war so gross, dass eine Steinbank auf ihm Platz hatte, auf die wir Mädchen uns setzten und einen ganz warmen Hintern bekamen. Damit der Ofen warm wurde, durften wir ihn von der Küche aus mit Holz füttern.

      Während dieser Ferien mussten wir sehr viel zu Fuss gehen. Einmal fuhren wir mit einem Schiff, und der Wind tanzte mir um die Ohren, und das Wasser tobte und schäumte unter meinen Füssen, als wäre es wütend. Vielleicht hatte es Schmerzen, weil so ein Schiff ja gross und schwer ist. Dieser See musste einiges ertragen. Wir marschierten dann zu einem Ort, wo vor langer Zeit ein Kapuzenmann gewohnt hatte. Dieser Kapuzenmann konnte mit allen Tieren reden. Vielleicht verstand er die Sprache der Menschen nicht, so wie auch ich sie manchmal nicht verstand. Ich fand ihn nett und freundlich, denn er lachte mich an. Zu meinem Erstaunen trug er einen goldenen Kranz um den Kopf. Die Schwester erzählte, er sei der Schutzpatron der Tiere – die Menschen hätten ja die Engel. Er sei ein Gottesmann gewesen, so wie auch wir Kinder Gottes seien. Aber wir Kinder trugen doch keinen goldenen Kranz um den Kopf, sondern ein helles Licht, das wie ein Regenbogen un­seren ganzen Körper umhüllte. Und auch der Kapuzenmann redete eigentlich nur mit den Vögeln. Also fing ich an zu zwitschern und auszuprobieren, ob ich auch mit den Vögeln reden konnte, wurde aber sofort zurechtgewiesen.

      Als wir diesen heiligen Ort verliessen, bekamen wir zum Abschied eine Kette mit einem kleinen Kreuz, an dem der Jesus hing – so wie ich ihn aus der Kirche kannte. Nur waren dort das Kreuz und der Jesus viel grösser. Ich bekam eine hellblaue Kette, doch ich wollte eine rote, denn die gefiel mir besser, und ich durfte mit einem Mädchen tauschen. Die Schwester sagte, wir sollten ihr die Ketten geben, aber ich weigerte mich, zog meine über den Kopf und band sie mir so fest um den Hals, dass es fast wehtat. Jede einzelne der roten Perlen konnte ich am Hals spüren, als wollten sie sich in mich hineinfressen. Die Aufforderungen der Schwester, ihr meine Kette zu geben, blieben erfolglos, denn sie auszuziehen, war nicht so einfach. Damit wir in Frieden zurückgehen konnten, gab sie es schliesslich auf. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin mit der Kette, die rot funkelte und glänzte, mir aber auch die Luft wegnahm. Alle anderen Mädchen wollten ihre Ketten jetzt auch gerne um den Hals tragen. Sie schielten immer wieder zu mir hinüber.

      Später nahm mich die Schwester im Ferienhaus zur Seite und erklärte mir, das sei keine Halskette, sondern ein Rosenkranz zum Beten. Das wusste ich bereits, denn die Schwester hatte in der Kapelle immer einen braunen Rosenkranz dabei und zupfte beim Beten an den Perlen herum. Aber wie konnte ein rot glänzender Rosenkranz nur zum Beten sein, wenn er so in die Welt hinausstrahlte und wunderschön war. Da wollte er sich doch nicht verstecken! Sie konnte mich nicht überzeugen. Sie sagte, wenn ich ihr den Rosenkranz nicht gebe und ihn nicht mit Würde behandle, werde Gott mich strafen. Doch ich behielt ihn lieber an.

      Als wir abends im Bett lagen und alles still war, nahm ich die enge Kette ab, um einschlafen zu können. Ich hielt sie fest in der Hand und ballte sie zur Faust, drehte mich vom Rücken auf den Bauch, meine Faust darunter. So konnte keine der Schwestern sie mir wegnehmen, während ich schlief. Doch die Nacht dauerte nicht lange. Der Himmel grollte, es donnerte laut, helle Streifen zuckten durch den Schlafsaal und gleich darauf donnerte es wieder. Die Schwestern holten uns alle in den Raum mit dem Ofen, und es wurde viel und heftig gebetet, als könnte jeden Augenblick etwas Schlimmes geschehen. Das helle Licht zuckte immer schneller, und das Krachen wurde immer lauter. Manche Mädchen weinten, während die Schwestern beteten und immer wieder mit einem Bäseli Wasser über uns träufelten. Dann zuckte ein gewaltiger, heller Strahl durch das Zimmer und verstreute kleine, rote Funken. Es roch nach Rauch und krachte über uns, als würde das Gebäude einstürzen. Die Gebete verstummten, und wir wurden alle mit lautem Geschrei in die wütende Nacht hinausgetrieben. Ich war barfuss und trug nur mein dünnes Kleidchen, in meiner Faust die rote Kette. Die anderen rannten weiter, nur ich blieb auf der Wiese vor dem Haus stehen. Der Himmel war immer noch voller Wut, und das Haus spuckte Feuer aus dem Dach. Es sah aus, als würden das Haus und der Himmel sich streiten. Der Himmel liess die hellen Strahlen zucken, das Haus liess die Flammen tanzen, und je roter die Flammen wurden, desto weniger zuckte der Himmel, und schliesslich verzog sich das Donnerwetter. Mit der Kette in der Hand sah ich zu, wie die Flammen das Haus verschlangen. Bis ich die Hand einer Schwester spürte, die mich vom Haus wegführte.

      Am Morgen hielt ich meine Kette immer noch fest in der Hand. Die Schwester sah sie und zwang mich, sie ihr zu geben. Sie habe mich ja gewarnt vor Gottes Zorn, sagte sie. Gott musste dieses grelle Licht gewesen sein, das am Himmel gezuckt und das Haus mit den Flammen hatte tanzen lassen. Meine rote, glänzende Kette sah ich nie wieder.

      *

      Als wir aus den Ferien zurückkamen, war Arabat nicht mehr in der Bubengruppe. Das grosse Haus hatte ihn verschluckt, und für mich war das die schlimmste Gottesstrafe. Die Tage vergin­gen, und meine Einsamkeit wurde immer grösser, nur meine innere Welt konnte mich am Leben halten. Meine Fantasie brachte ab und zu Farbe in das dunkle Heim. So oft wie nur möglich hielt ich mich im grossen Garten auf. Oder ich machte das Versteckisspielen zu meinem Abenteuer, denn immer, wenn man mich suchte, wurden alle Mädchen eingespannt. Ich konnte mich gut verstecken. Es gab in dem grossen Haus so vie­le Ecken, die nur darauf warteten, endlich entdeckt zu werden.

      Eines Tages musste ich von Kopf bis Fuss Sonntagskleider anziehen. Ich durfte mit einer Schwester in die Stadt fahren, denn es musste abgeklärt werden, ob in meinem kleinen Kopf alles mit rechten Dingen zuging. Ich sprach viel und gerne mit mir selbst, mein Kopf war ja voller Fragen, die ich mir selbst beantworten musste.

      Als ich mit der Schwester in der Stadt war, durfte ich bei einer Frau spielen und zeichnen. Diese Frau nahm sich viel Zeit für mich, aber ihre Fragerei war mir zu viel, und ich weiger­te mich zu sprechen. Trotzdem fand sie, dass es mir vielleicht ganz guttäte, den öffentlichen Kindergarten zu besuchen. Man woll­te mir die Chance geben, mich nicht mehr wie ein wildes Mädchen zu benehmen, sondern mich anzupassen, sodass man Freude an mir bekommen könne. Obwohl es natürlich schwierig sei, Vaganten beizubringen, was normal und sauber und korrekt sei.

      Im Kindergarten gefiel es mir. Nur das lange Sitzen und Zuhören machte mir Mühe. Ich wollte viel lieber mit den vielen schönen Spielsachen spielen, da wir im Heim doch nur so wenige hatten. Die Glaskugeln waren besonders verführerisch mit all diesen Farben drin, und sie hatten auch so gut Platz in meiner Rocktasche. Also sammelte ich Stück für Stück, nahm sie mit ins Heim und versteckte sie im grossen Garten unter einem Strauch. Für mich waren sie ein Schatz. Wenn ich konnte, lief ich zu ihm, spielte