Peter Payer

Auf nach Wien


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      Der Erfolg sprach für sich. Und auch der Neid. Eine politische Debatte entbrannte, in der konservative Politiker Esders großkapitalistische Ausbeutung vorwarfen – allen voran die Christlichsozialen, die ihr kleinbürgerliches Klientel gefährdet sahen und dabei auch antisemitische Ressentiments schürten, die allerdings ins Leere gingen, da der Kaufhausbesitzer Katholik war.

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      Warenhaus Esders, um 1930

      Bei seinen Angestellten schien Esders durchaus beliebt gewesen zu sein. Auch hier bahnbrechend, führte er ein System der Gewinnbeteiligung mittels Prämien ein, und zu seinem 60. Geburtstag stiftete er 100.000 Kronen für den Pensionsfonds seiner Belegschaft.

      Der Ruf des Unternehmens ging bald weit über die Grenzen Wiens hinaus. Auch Alfred Wiener, Autor eines 1912 erschienenen Standardwerks zur Geschichte des Warenhauses, hebt das Konfektionshaus Esders im internationalen Vergleich lobend hervor.

      Nach Stefan Esders Tod führte sein Sohn und danach sein Enkel die Firma weiter. Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu umfangreichen Beschädigungen und Plünderungen, 1964 schließlich kaufte die aus St. Pölten stammende Firma Leiner das Gebäude und nahm in der Folge umfangreiche Modernisierungen und Umbauten vor.

      Danach präsentierte sich das Warenhaus als relativ nüchterner Bau, bei dem nur noch die großen Fensterscheiben in den unteren Geschoßen an die dort einst zelebrierte Schaulust erinnerten. »Vollgefressene Pupillen«, wie Joseph Roth so einnehmend formulierte, wurden durch sie keine mehr hervorgerufen. Im Inneren allerdings war noch bis vor Kurzem ein kleiner Teil der Treppenanlage original erhalten, eine reich gegliederte Eisenkonstruktion mit Geländer und filigranen Jugendstil-Verzierungen. Und dieser älteste Teil des Hauses vermochte zumindest noch ansatzweise den Glamour vergangener Tage wachzurufen. So bemerkte eine Verkäuferin spontan, dass es immer wieder ein erhabenes Gefühl sei, diese Stufen hinunterzuschreiten. Sie fühle sich stets wie ein Star. Welch schönes Kompliment für ein Gebäude am Vorabend seines Todes.

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      Kaufhaus Leiner, Historische Treppenanlage, 2020

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      Life Ball, Eröffnung 2019, Foto: Peter Payer

      DIE STADT ALS EVENT

      Das Ende des Life Balls hat es einmal mehr deutlich gemacht: Die Eventisierung des öffentlichen Raumes ist längst auch in Wien zur Selbstverständlichkeit geworden, zu einem bedeutsamen kulturellen und wohl auch wirtschaftlichen Faktor. Läuft ein derart renommierter Fixstarter im jährlichen urbanen Veranstaltungskalender aus, wie der seit mehr als einem Vierteljahrhundert bestehende Megaevent zugunsten der Aids-Hilfe, wird dies von vielen als unwiederbringlicher Verlust erlebt. Zumal die TV-Ausstrahlung dieses außergewöhnlichen Ereignisses, das sich von Beginn an als bunt, exaltiert und vor allem auch politisch verstand, weit über die österreichische Hauptstadt hinausreichte und man damit letztlich weltweite Aufmerksamkeit genoss. Eine zweifellos beachtenswerte Leistung in unserer zunehmend kompetitiven und markenorientierten Zeit. Wien war mit dem Life Ball auf der internationalen Landkarte präsent, er passte perfekt zum Image der Kulturmetropole an der Donau und veranschaulichte so ganz nebenbei, wie sehr sich die Stadt und das Lebensgefühl in ihr in den letzten Jahrzehnten verändert hatten. Alt und neu in perfekter Symbiose.

      Dass die Straßen und Plätze der Metropolen zu Schauplätzen von Großveranstaltungen werden, ist natürlich nicht neu. Allein die Anlässe und Häufigkeiten der Ereignisse und damit zusammenhängend das Verständnis von Urbanität haben sich grundlegend gewandelt. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich die westlichen Großstädte teils in rasendem Tempo herauszubilden begannen, kam dem öffentlichen Spektakel eine immer größere Bedeutung zu. Die Kulturwissenschaftlerin Regina Bittner bringt hier den Begriff der »urbanen Paradiese« ein, die sich in den verschiedensten Ausprägungen manifestierten, von High-Tech-Vergnügungsparks und modernen Warenhäusern bis hin zu groß inszenierten Festen und Weltausstellungen. Schon damals ging es angesichts steigender Städtekonkurrenz um Repräsentation und die Suche nach klarer Unterscheidbarkeit, gepaart mit dem Faszinosum von Differenz und Vielfalt, des Aufeinanderprallens von Vertrautem und Fremdem. Der deutsche Architekt August Endell proklamierte in seinem berühmten, 1908 erschienenen Buch eine Lobeshymne auf ebendiese »Schönheit der großen Stadt«: »Unsere Städte leben, sie umgeben uns mit der ganzen Macht der Gegenwart, des Daseins, des Heuteseins. Und gegen ihre bunte Unendlichkeit ist alle Überlieferung, sind auch die kostbarsten Trümmer tot, gespenstig und arm. Unsere Städte sind uns so unerschöpflich wie das Leben selbst.«

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      Sängerbundfest am Praterstern, Ansichtskarte, 1928

      Der im modernen Städtebau neu konzipierte öffentliche Raum rezipierte dieses Bestreben nach umfassender Selbstdarstellung, indem er in den imperialen Zentren breite Boulevards und großzügig angelegte Plätze vorsah. Sie dienten in der Folge als repräsentative Kulisse für jene Großveranstaltungen, die zumeist zu Ehren von Herrschenden abgehalten wurden. Kaiserliche Geburtstage, Hochzeiten und Thronjubiläen fungierten als Anlässe für prächtige Umzüge und Massenspektakel. In Wien war das etwa der opulente Makart-Festzug im Jahr 1879 anlässlich des 25. Hochzeitstags des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth oder die Jahre 1898, 1900 und 1908, in denen – ebenfalls für Kaiser Franz Joseph – groß angelegte Events abgehalten wurden, die sich über die festlich geschmückte Ringstraße und weite Bereiche der Innenstadt erstreckten. Spektakuläre Einzelereignisse, die Hunderttausende Menschen in ihren Bann zogen, wurden schon damals geschickt vermarktet und prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Stadt ein.

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      Lichterlfest am Donaukanal, Plakat, 1983

      In der republikanischen Stadt der Zwischenkriegszeit verstärkte sich die Politisierung des öffentlichen Raumes. Aufmärsche der sich formierenden Massenparteien, aber auch Demonstrationen und teils gewaltsame Auseinandersetzungen gehörten im »Roten Wien« zum Alltag. Jährliche Höhepunkte waren die Maikundgebungen von Arbeiterschaft und Sozialdemokratie, die die Ringstraße und den Prater propagandawirksam in Besitz nahmen. Hinzu kamen groß inszenierte Sport- und Kulturevents wie der Schwimm- und Ruderwettbewerb »Quer durch Wien«, dem am Donaukanal Hunderttausende Zuschauer beiwohnten, das Sängerbundfest 1928 oder der im Juni 1929 abgehaltene Gewerbefestzug.

      Die Ringstraße und vor allem der Heldenplatz blieben bekanntermaßen auch die wichtigsten politischen Bühnen im austrofaschistischen Ständestaat und in der NS-Zeit, ehe sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges und erfolgreichem Wiederaufbau allmählich eine deutlich entpolitisierte, mehr konsum- und freizeitorientierte Nutzung des Stadtraumes abzeichnete. Allerdings zunächst noch mit starker Stimulanz durch die politischen Parteien. Als Nachkriegspionier gilt das von der KPÖ initiierte Volksstimmefest, das 1946 erstmals im Praterstadion stattfand und seither auf der Jesuitenwiese im Prater abgehalten wird. Die SPÖ reaktivierte ihre Maikundgebungen und die Wiener Festwochen starteten ab 1951 erneut mit einem umfangreichen, mehrwöchentlichen Kulturprogramm. Im Jahr 1975 wurde der Christkindlmarkt auf den Rathausplatz verlegt, wo er sich rasch als beliebter Winterevent etablierte. Die ÖVP wiederum konnte erst Jahrzehnte später mit Erhard Busek und seinen »Bunten Vögeln« veranstaltungsmäßige Akzente setzen. Sie begründete 1978 das Wiener Stadtfest, dessen Darbietungen in der Innenstadt sogleich großen Anklang fanden, sowie ab 1983 ein Lichterlfest am Donaukanal, das heutige Donaukanaltreiben.

      Kaum mehr vorstellbar ist aus heutiger Sicht, wie leer und »unbespielt« der Wiener Stadtraum noch um 1980 herum war. Wien galt als »Shrinking City«, die Einwohnerzahl der am Rand des Eisernen Vorhangs gelegenen Stadt sank kontinuierlich, kulturelle Impulse und Belebungen wurden dringend gebraucht. Das 1984 ins Leben gerufene Donauinselfest sollte in diese Richtung wirken und ein deutliches Signal