Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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bei der angewandten Methode mit grosser Sicherheit anzunehmen. Wenn man in der fremden Sprache spielte, betete u. s. w., warum sollte man denn nicht auch in ihren Lauten singen?20

      Auch das Lesen und Schreiben erfolgen unter Umgehung der Muttersprache und der Vermeidung grammatischer Übungen. Trapps bedingslose Anwendung der Einsprachigkeit, die Schmeck als „Radikalismus“ bezeichnet,21 findet einhundert Jahre später in der Méthode Berlitz ihre Anwendung, worauf Schmeck hinweist.22 In den Lehrbüchern dieser in den USA entwickelten Sprachlehrmethode wird darauf verwiesen, dass eine Orientierung am Erstspracherwerb erfolgt: „La Méthode Berlitz est l’imitation dans la pratique de la manière dont la nature enseigne la langue maternelle aux enfants.“23

      In den 1770er Jahren waren Lesebuchsammlungen für Kinder, die sich an den Philanthropen orientieren, sehr beliebt. Der deutsche Buchhändler Gottlieb August Lange gab in seiner 1749 gegründeten Lange’schen Verlagsbuchhandlung mehrere fremdsprachige Lesebücher speziell für Kinder heraus. Es handelt sich um eine Sammlung kurzer Lesestücke, denen wie bei Hauchecorne und Rochow ein katechisierendes Gespräch zwischen Kind und Lehrer vorangestellt wird:

      Anweisung zum Franzoesischen Lesen.

      Erstes Gespraech. Das Kind und der Lehrer.

      Kind. Liebster Lehrer, ich moechte gern Franzoesisch lesen lernen. Karl lieset schon recht gut, wie Papa sagt.

      Lehrer. Das ist schoen. Da hab ich eben ein franzoesisches Alphabet.24

      Wie bei Wolke und Trapp folgen nun mehrere Gespräche zur Aussprache.25 Im Vorwort verweist der Herausgeber auf die kinder- und lehrerfreundliche Intention seines Lehrwerks: „Dieses Lesebuch ist eigentlich nur zum Behuf einer Privatanstalt gedruckt worden. Es enthaelt solche Stuecke, von denen man gemerkt hat, daß sie theils den Kindern gefallen, theils den Unterricht sehr erleichtern.“26

      Lange nennt explizit als Textsorte Lieder, die nicht nur förderlich zum Lesenlernen sind und den Lernprozess akzelerieren, sondern vor allem als Gesprächsanlass dienen:

      Durch die Lieder z. B. kann man die Kinder nicht nur geschwinder lesen lehren, sondern man hat auch Gelegenheit, bei der unumgaenglich nothwendigen Erklaerung eines jeden Wortes, ihnen mancherlei Belehrungen ueber Gott, Natur und Religion zu ertheilen, die sich um so fester in ihr weiches Gehirn eindruekken, als sie ueberhaupt Verse leichter und lieber im Gedaechtnisse behalten denn Prosa.27

      Der Bezug zu John Lockes Empirismus und seiner sensualistischen Theorie der tabula rasa wird deutlich durch das „Eindrücken“ der Erkenntnisse, das bessere Memorisieren durch den Einsatz von Liedern und Gedichten. Hiermit wird der Liedeinsatz mit einer Lerntheorie verbunden. Locke beeinflusste entscheidend die philanthropische Bewegung, denn Basedow beruft sich in Bezug auf das spielerische Lernen auf Lockes 1693 erschienene Erziehungsschrift Some thoughts on education. Für den englischen Philosophen ist das Lernen – vor allem bei Kindern – im besten Falle fröhliches Spiel und eine Quelle des persönlichen und gesellschaftlichen Glücks.

      I. 7 Musikalische Elemente in Salons, Konversationszirkeln, Sprachgesellschaften und Damenorden

      Das Französische wurde in Deutschland in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur „mit großem Abstand wichtigsten neueren Fremdsprache – eine Position, die es zweieinhalb Jahrhunderte lang halten sollte.“1 Die französische Sprache nahm eine wichtige Stellung als langue véhiculaire des europäischen Adels ein und fungierte beispielsweise am kursächsischen Hof in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts als lingua franca der Aristokratie. Koldau2 und Kuhfuß3 berichten über frankophile Damenkränzchen am anhaltinischen Hof von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Am Hof wurde die Bildung in verschiedenen europäischen Sprachen durch Übersetzung, Schulversuche und Damenorden gepflegt.4 Als Gegenreaktion auf die starke Französierung am anhaltinischen Hof wurde 1617 die Fruchtbringende Gesellschaft5 von Fürst Ludwig I. gegründet. Nach dem Vorbild der italienischen Accademia della Crusca sollte sich die älteste deutsche Sprachgesellschaft der Pflege der deutschen Hoch-Sprache und Literatur widmen.6 Die Fruchtbringende Gesellschaft war mit 890 Mitgliedern die größte und bedeutendste der deutschen Sprachgesellschaften des Barocks.7 Bei diesem Palmenorden handelte es sich fast ausschließlich um einen Männerorden. Koldau zeigt, dass in der Fruchtbringenden Gesellschaft „künstlerisch besonders begabte Ehefrauen der Mitglieder zwar an den Sitzungen teilnehmen [konnten], jedoch nur unter dem Gesellschaftsnamen ihres Mannes und nicht als ordentliche Mitglieder.“8 Musik spielte in der Fruchtbringenden Gesellschaft eine geringe Rolle. Wenn Musik „überhaupt in den Statuten erwähnt wird, dann nur als geringfügiger Zeitvertreib – zu Beginn des 17. Jahrhunderts dennoch ein wichtiger Hinweis, dass die Adelsdamen selbstverständlich gewohnt waren, zu musizieren und dies auch häufig in Gesellschaft taten.“9

      In allen Sprachgesellschaften bekam das neue Mitglied bei seiner Hänselung (wie die Aufnahmezeremonie genannt wurde) einen Gesellschaftsnamen, der immer der Pflanzenwelt entnommen war, einen Spruch und ein Emblem. Fürst Ludwig I. erhielt als Gründungsmitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft den Beinamen Der Nährende.10

      Als Gegenentwurf zur männlich dominierten Fruchtbringenden Gesellschaft erfolgte am 21. 10. 1617, also nicht einmal zwei Monate nach Gründung des Palmenordens, die Gegengründung der frankophilen Noble Académie des Loyales11 durch Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, die Schwägerin von Fürst Ludwig I. Es handelt sich um eine geheimgehaltene Gesellschaft, die exklusiv Frauen und Angehörigen von Adelsfamilien vorbehalten waren. Die Akademie „hielt sich […] im Rahmen der damals modernen französischen Bildung.“12 Ziel war es, die Errungenschaften der französischen Kultur und Bildung unter den vornehmen, adeligen Damen zu verbreiten.13 Es gibt mehrere Indizien dafür, dass es sich um eine Replik auf den Palmenorden handelte, hatte die Fruchtbringende Gesellschaft als Emblem eine Kokospalme, wählte die Noble Académie des Loyales als Ordenszeichen „eine goldene Palme, die mit dem Phönix als Sinnbild wechselte […] und nannte sich auch L’ordre de la Palme d’or, sie führte den Wahlspruch ,sans varier‘ und als Unterschrift unter dem Phönix ,Rare mais perpétuel‘ […].“14

      Ein bewusster Gegensatz zum Palmenorden ist hier die starke Betonung der französischen Sprache. So wurden die Statuten ursprünglich nur auf französisch verfasst und „erst 1633 in revidierter Fassung ins Deutsche übertragen […].“15 Christian I., der Gatte von Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, korrespondierte selbst mit seinem Bruder Ludwig in französischer Sprache.16

      Die Akademie bestand aus 20 Mitgliedern, „wobei genaue Vorgaben für die Verteilung auf fürstliche (10), gräfliche (7) und ritterbürtige (3) Damen bestanden und die ständischen Differenzen strikt zu beachten waren […].“17 Außerdem mussten alle Mitglieder reformierten Glaubens18 sein. Im Gegensatz zu anderen Sprachgesellschaften sollten die Mitglieder nach den Satzungen der Noble Académie des Loyales

      […] ihre Zeit / wie auch sonsten / mit Ehrlichen / Ihnen und ihrem Stande wohl anstehenden auch frölichen Ubungen [sic] und Gesprächen zubringen / unter welchen auch diese sein sollen / daß sie sich befleißigen / unterschiedlicher Sprachen / allerhand schöner Hand-Arbeit / auch anderer feiner künstlicher Sachen / darunter auch die Musick / Gedichte / und ingemein in allen dem / was ihnen und ihres gleichen rühmlich ist / und wohl anstehet / nach einer jeden Fähigkeit.“19

      Die Mitglieder wählten sich französische Beinamen wie la Pourvoyante, la Constante, la Paisible, l’Obéissante, la Concorde, l’Invariable, la Débonnaire und eine französische Devise.20 Heinz Engels vermutet, dass „die Musik