Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie


Скачать книгу

mit dem Glockenwerk, das zur Matutin ruft, am Ende des 10. Gesanges:

      Indi, come orologio che ne chiami

      Nell’ora che la sposa di Dio surge

      A mattinar lo sposo perchè l’ami,

      Che l’uma parte l’altra tira ed urge

      Tin tin sonando con si dolce nota,

      Che’l ben disposto spirto d’amor turge;

      Cosi vid’io la gloriosa rota

      Muoversi …

      Hier ist das Motiv nur in einem Vergleich angedeutet, aber doch in all seiner lieblichen Freude, seiner dolcezza konkret geworden; hier wie in der folgenden Stelle ist der Bräutigam Christus, und die Kirche, das heißt die Christenheit, ist die Braut. In der zweiten Stelle, unmittelbar vor dem Beginn der Vita Francisci, wird es dramatischer, grundsätzlicher und bedeutender: es ist die Kreuzeshochzeit selbst, um die es geht. Thomas will, zu Beginn seiner kommentierenden Rede, DanteDante die Absicht der Vorsehung verdeutlichen. Zwei Führer, so sagt er (nämlich Franciscus und DominicusDominicus, Hl.), sandte die Vorsehung, damit die Kirche sicherer und treuer ihrem Weg zu Christus folgen könne: und dieser «Damit»-Satz lautet:

      Però che andasse vêr lo suo diletto

      La sposa di colui ch’ad alte grida

      Disposò lei col sangue benedetto

      In sè sicura ed anche a lui più fida …

      Das ist nicht mehr lieblich, das ist feierlich und erhaben; die ganze nachchristliche Weltgeschichte ist für DanteDante beschlossen in dem Bilde von der Braut, die zu ihrem Geliebten geht. Auch hier ist das Freudige, die jubelnde Bewegung des Hochzeitlichen sehr stark; zwar auch das Bittere der Qual jener Kreuzeshochzeit klingt auf; mit lautem Schrei, durch das heilige Blut ward sie vollzogen; aber nun «ist es vollbracht», und der Triumph Christi ist entschieden.

      Das eine Mal lieblich, das zweite Mal feierlich-erhaben, beide Male voll hochzeitlicher Freude, stehen beide Vorankündigungen, ebenso wie die Sonnengeburt, ästhetisch in scharfem Gegensatz zu der Hochzeit, die sie vorbereiten. Schrill, mit einem Mißton, dem Streit mit dem Vater, den harten Reimworten guerra und morte beginnt dieses Fest. Und vollends die Braut: sie wird nicht genannt und nicht beschrieben, aber sie ist so, daß ihr niemand die Pforte der Lust öffnen will – ebensowenig wie dem Tode (la morte). Es erscheint mir durchaus erforderlich, das Eröffnen der Pforte der Lust im eigentlichsten Sinne, als geschlechtlichen Vorgang zu verstehen, porta also als Tor des weiblichen Körpers. Die andere, von manchen Kommentatoren vorgezogene Erklärung, daß es sich um das Tor des Hauses desjenigen handelt, der der Armut oder dem Tode den Eintritt verweigert, läßt sich zwar durch manche Stellen aus verschiedenen Texten stützen, wo gesagt wird, daß dem anpochenden Tod oder der anpochenden Armut niemand öffnen will; sie paßt aber nicht in den hochzeitlichen Zusammenhang und erklärt nicht ausreichend porta del piacere; DanteDante hätte überdies die so stark sich aufdrängende Möglichkeit der geschlechtlichen Erklärung gewiß vermieden, wenn er sie nicht eben ausdrücklich beabsichtigt hätte: sie paßt vollkommen zu dem konkreten Eindruck des Bitter-Abstoßenden, den er hier überhaupt hervorrufen will. Keiner also mag die Frau, die Franciscus sich erwählt hat, sie ist verachtet und gemieden, seit Jahrhunderten wartet sie vergeblich auf einen Liebhaber – einer der alten Kommentatoren, Jacopo della LanaJacopo della Lana, betont noch ausdrücklich, daß sie nie jemandem nein gesagt hat –, aber Franciscus, die aufgehende Sonne vom Berg Subasio, vereinigt sich öffentlich mit dieser Frau, deren Namen noch nicht genannt wird, deren Darstellung aber in jedem Hörer das Bild einer alten und verachteten, häßlichen und doch noch liebesdurstigen Dirne wecken muß. Seither liebt er sie von Tag zu Tag mehr. Seit mehr als einem Jahrtausend ist sie ihres ersten Gemahls (Christi, der aber noch nicht genannt wird) beraubt, inzwischen lebte sie verachtet und verlassen, bis Franciscus erschien; es hat ihr nichts genutzt, daß sie beim Besuch CaesarsCaesar ihrem damaligen Gefährten, dem Fischer Amiclates (nach LucanLukan) ruhige Sicherheit verlieh; auch nicht, daß sie, stark und mutig, mit Christus aufs Kreuz stieg, als selbst Maria unten blieb. Nun wird es freilich klar, um wen es sich handelt, und nun nennt Thomas auch den Namen; aber auch jetzt ist das Erhaben-Heroische der paupertaspaupertas nicht frei von einem grotesken und bitteren Beigeschmack. Daß eine Frau mit Christus aufs Kreuz steigt, ist schon eine etwas seltsame Vorstellung;3 noch seltsamer ist die Durchführung der Allegorie bei der Gewinnung der ersten Gefährten. Wie man auch den syntaktisch nicht ganz deutlichen Satz v. 76–78 verstehen mag, der allgemeine Sinn ist ganz klar: die einträchtige Liebesgemeinschaft in der Ehe zwischen Francesco und Povertà erregt bei anderen den Wunsch, an solchem Glücke teilzunehmen; zuerst legte Bernardo (von Quintavalle) seine Schuhe ab und begann «diesem Frieden nachzulaufen, und während er lief, schien er sich selbst noch allzu langsam»; dann ziehen auch Egidio und Silvestro die Schuhe aus und folgen dem sposo, dem jungen Gatten; so sehr gefällt ihnen die sposa!

      Zu der grotesken und schauerlichen Vorstellung der geschlechtlichen Vereinigung mit einem verachteten Weibe, welches Armut oder Tod heißt und diese Inhalte auch in ihrer Gestalt verwirklicht, gesellt sich hier ein Bild, das für spätere Geschmacksrichtungen bis zur Unerträglichkeit ungehörig gewesen wäre; die fromm-ekstatische Nachfolge der ersten jünger wird dargestellt als liebesdurstige Verfolgung des Weibes eines anderen. Solche Bilder waren im christlichen MittelalterMittelalter, zu Beginn des 14. Jahrhunderts, sicher ebenso eindrucksvoll, wie sie später gewesen wären, aber die Art des Eindrucks war eine andere. Das Leibliche, Intensive und Plastische, welches in Vorstellungen erotischer Art liegt: einem Weibe nachlaufen, sich mit ihr geschlechtlich vereinigen, wurde nicht als ungehörig, sondern, wie in der Deutung des Hohen Liedes, als Versinnbildlichung des Inbrünstigen empfunden. Für späteres Empfinden ist freilich die Verflechtung so verschiedener Bereiche, die Mischung des bis zum Würdelosen Leiblichen mit der höchsten geistigen Würde schwer zu ertragen, und selbst heutzutage, wo man wieder weit eher geneigt ist, auch extreme Formen der StilmischungStilmischung in der modernen Kunst zu bewundern, werden bei einem älteren, allgemein verehrten Dichter wie DanteDante solche Stellen selten in ihrem Inhalt voll ausgeschöpft; meist werden sie nicht bemerkt und überlesen. Noch verkehrter wäre es freilich, wenn man sie im Sinne eines anarchischen Extremismus deuten wollte, wie er sich, oft sehr ehrlich und aus sehr ernsten Ursachen, in unserer Epoche bemerkbar macht; DanteDante ist zwar oft bis zum äußersten «expressionistisch», aber dieser Expressionismus lebt aus einer vielschichtigen Überlieferung und weiß, was er ausdrücken will und soll.

      Das Vorbild eines Stils, in dem sich die äußerste Erhabenheit mit der äußersten Entwürdigung im Sinne dieser Welt verband, war die Geschichte Christi, und dies führt uns zu unserem Text zurück. Franz, der Nachfolger Christi, lebt nun mit seiner Geliebten und seinen Gefährten, alle bekleidet mit dem Strick der Demut – auch er ist, wie seine Geliebte, dem äußeren Anschein nach überaus verächtlich und von geringer Abkunft; aber das erfüllt ihn nicht mit Kleinmut, sondern wie ein König offenbart er seine «harte Absicht», nämlich die Gründung eines Bettelordens, dem Papst. Denn auch er ist, wie Christus, zugleich der Ärmste und Verachtetste der Armen und ein König – und wenn im ersten Teil der Vita mehr das Verächtliche zum Ausdruck kommt, so tritt in dem zweiten, der von den päpstlichen Bestätigungen, seiner Missionsfahrt, seinen Wundmalen und seinem Tode handelt, Triumph und Verklärung stärker hervor. Königlich eröffnet er seinen Plan dem Papst und erhält dessen Bestätigung; die Schar der MinoritenMinoriten wächst, die ihm folgt, ihm, dessen Leben besser in der Glorie des Himmels zu besingen wäre; der heilige Geist krönt sein Werk durch den Papst HonoriusHonorius (Papst); und nachdem er vergeblich bei den Heiden das Martyrium gesucht hat, empfängt er in der Heimat, auf dem rauhen Fels zwischen Tiber und Arno, von Christus selbst das letzte Siegel, das seine Nachfolge bestätigt: die Wundmale. Als es Gott gefällt, ihn für seine Demut durch den Tod, durch die ewige Seligkeit zu belohnen, empfiehlt er seine Geliebte der treuen Liebe seiner Brüder, seiner rechten Erben; und aus ihrem, der Armut Schoß steigt seine herrliche Seele empor, um in ihr Reich zurückzukehren; für den Leib wünscht er keine andere Bahre als eben den Schoß der Armut. Das Ganze klingt aus in eine starke rhythmisch-rhetorische Bewegung, die zu der Anklage gegen die späteren Dominikaner überleitet; Thomas fordert seinen Hörer DanteDante auf, an der Größe Franzens