sehr oft von den figurae dicendi. Natürlich besitzen auch die geometrischen und stereometrischen Gebilde eine figurafigura. Dagegen ist figura als Abbild bei ihm noch kaum entwickelt. Zwar ist de nat. Deor. 1, 71 davon die Rede, daß Cotta, einer der Unterredner, den Ausdruck quasi corpus der Götter eher verstehen könnte, si in cereis fingeretur auf fictilibus figuris, und de Div. 1, 23 handelt es sich um die figura eines Felsstücks, die einem kleinen Pan nicht unähnlich sein soll. Aber das genügt nicht, denn es ist eben die figura des Tones und des Steines, nicht die des Dargestellten, von der gesprochen wird.10 Die sich vom Körper ablösenden Schemen DemokritsDemokrit, von denen bei LucrezLukrez die Rede war, nennt er imagines (a corporibus enim solidis et a certis figuris vult fluere imagines Democritus. De Div. 2, 137),11 und die Götterbilder heißen bei ihm zumeist signa, nie figurae. Man kann als Beispiel dafür den bösen Witz gegen Verres 3, 89 anführen: Verres wollte in einer sizilischen Stadt ein kostbares Götterstandbild rauben, verliebte sich aber in die Frau seines Wirtes: contemnere etiam signum illud Himerae jam videbatur quod eum multo magis figura et lineamenta hospitae delectabant.12 Von so kühnen Neuerungen wie den lucrezischen Grundelementen ist vollends nichts zu finden, und so zeigt sich, daß CicerosCicero Beitrag vor allem in der Einführung, Anpassung und Nutzbarmachung des sinnlichen Gestaltbegriffs figurafigura für die Sprache der Gebildeten bestanden hat. Er hat es hauptsächlich in den philosophischen und rhetorischen Schriften verwendet, am häufigsten in der Schrift über das Wesen der Götter, und er hat sich dabei um etwas bemüht, was wir heute einen ganzheitlichen Gestaltbegriff nennen würden. Es ist nicht nur sein bekanntes Streben nach rednerischer Fülle, wenn er sich selten mit figura allein begnügt, sondern mehrere ähnliche, auf den Ausdruck eines Ganzen gerichtete Worte häuft: forma et figura, conformatio quaedam et figura totius oris et corporis, habitus et figura, humana species et figura, vis et figura, und vieles in dieser Art. Sein Streben nach einer Gesamtauffassung der Erscheinungen ist unverkennbar, und es mag sich davon auch etwas dem römischen Leser mitgeteilt haben. Zu einer energischen Begründung und Formulierung solchen Gestaltbegriffs befähigten ihn freilich weder sein Talent noch seine eklektische Haltung, und so bleibt sein Bemühen unscharf; man muß sich mit dem Vergnügen an der Fülle und der Ausgewogenheit der Worte begnügen. Noch wichtiger für die weitere Entwicklung von figurafigura ist etwas anderes: bei CiceroCicero und bei dem Auctor ad HerenniumAuctor ad Herennium findet es sich zum ersten Male als technischer Ausdruck der RhetorikRhetorik, und zwar für die σχῆματα oder χαραϰτῆρες λέξεως, die drei Höhenlagen des Stils, die ad Her. 4, 8, 11 als figura gravis, mediocrisfigurafigura gravis, mediocris, tenuis und attenuata, de or. 3, 199 und 212 als plena, mediocris und tenuis bezeichnet werden. Dagegen benutzt CiceroCicero (wie VetterVetter, E., der Verfasser des Artikels figura im ThLL, dort 731, 80f. ausdrücklich bemerkt) das Wort noch nicht als Fachausdruck für die umschreibenden und schmückenden, die eigentlich «figürlichen» Redeweisen. Diese kennt und beschreibt er ausführlich, aber er nennt sie noch nicht, wie die Späteren, figurae, sondern zumeist formae et lumina orationis, also auch hier pleonastisch. Übrigens braucht er den Ausdruck figura dicendi – meist forma et figura dicendi – auch häufig ohne genaue fachliche Festlegung, einfach als Art und Weise der Beredsamkeit; sowohl allgemein, wenn er ausdrücken will, es gebe unzählige Arten derselben (de or. 3, 34), als auch individuell, wo er von Curio sagt: suam quandam expressit formam figuramque dicendi (ib. 2, 98): so daß die Studenten in den Rhetorenschulen, für die Ciceros Schriften über die Beredsamkeit bald als Kanon galten, sich an diese Zusammenstellung gewöhnten.
Somit war figurafigura am Ende der republikanischen Zeit zum festen Besitz der gebildeten und philosophischen Sprache geworden, und das erste Jahrhundert des Kaiserreichs hat die Bedeutungs- und Verwendungsmöglichkeiten des Wortes noch weiter ausgeschöpft. An dem Spiel zwischen Urbild und Abbild, dem Gestaltwandel, dem täuschend nachahmenden Traumbild sind, wie sich denken läßt, besonders die Dichter beteiligt. Schon CatullCatull hat de Aty. 62 die charakteristische Stelle: quod enim genus figurae est ego quod non obierim? ProperzProperz sagt13 3, 24, 5 mixtam te varia laudavi semper figura oder 4, 2, 21 opportuna meast cunctis natura figuris; in dem schönen Schluß des Panegyricus ad Messalam findet sich, wo von der gestaltwandelnden Kraft des Todes gesprochen wird, mutata figura; und VergilVergil beschreibt Aeneis 10, 641 das Trugbild, das dem Turnus die Gestalt des Aeneas vorspiegelt, morte obita qualis fama est volitare figuras. Aber die ergiebigste Quelle für figurafigura im Gestaltwandel ist natürlich OvidOvid. Zwar braucht er unbedenklich, wenn der Vers ein zweisilbiges Wort verlangt, auch forma; aber meist ist es doch figura, und ein bewunderungswürdiger Reichtum an Kombinationen steht ihm dabei zur Verfügung: er sagt figuram mutare, variare, vertere, retinere, inducere, sumere, deponere, perderefigurafiguram mutare, variare, vertere, retinere, inducere, sumere, deponere, perdere; und die folgende kleine Sammlung mag von seiner Mannigfaltigkeit eine Vorstellung geben:
… tellus … partimque figuras/rettulit antiquas (Met. 1, 436);
… se mentitis superos celasse figuris (ib. 5, 326);
sunt quibus in plures ius est transire figuras (ib. 8, 730);
… artificem simulatoremque figurae/Morphea (ib. 11, 634);
ex alias alias reparat natura figuras (ib. 15, 253);
animam … in varias doceo migrare figuras (ib. 15, 172);
lympha figuras/datque capitque novas (ib. 15, 308).
Auch das Bild vom Siegel ist aufs schönste vertreten:
Utque novis facilis signatur cera figuris
Nec manet ut fuerat nec formas servat easdem,
Sed tamen ipsa eadem est … (ib. 15, 169ss).
Ferner findet sich schon recht deutlich bei ihm figurafigura als «Abbild», etwa fast. 9, 278 globusimmensi parva figura poli, oder Her. 14, 97 und Pont. 2, 8, 64; als «Buchstabe», wie schon übrigens bei VarroVarro, ducere consuescat multas manus una figuras (ars, 3,493); schließlich als Stellung im Liebesspiel: Venerem iungunt per mille figuras. Ars, 2, 679. Überall erscheint bei ihm figura bewegt, wandelbar, vielfältig und zu Täuschung geneigt. Sehr kunstvoll verwendet das Wort auch der Dichter der Astronomica, ManiliusManilius, bei dem figura, außer in den schon erwähnten Bedeutungen, als «Sternbild» und als «Konstellation» (neben signumsignum und forma) erscheint. Als «Traumbild» trifft man es bei LucanLukan und bei StatiusStatius.
Sehr verschieden hiervon, und auch von dem, was uns die RhetorikerRhetorik zeigen werden, ist das Bild bei dem Architekten VitruvVitruv. Bei ihm ist figurafigura die architektonische und die plastische Gestalt, allenfalls die Nachbildung davon oder der Grundriß; von Täuschung und Verwandlung ist bei ihm nichts zu spüren, und figurata similitudine, 7, heißt in seiner Sprache keineswegs «durch Vortäuschung», sondern «durch formende Herstellung einer Ähnlichkeit». Oft heißt figura «Grundriß», «Plan» (modice picta operis futuri figura, 1, 2, 2), und universae figurae species oder auch summa figuratiofiguratio ist die Gesamtgestalt eines Gebäudes oder eines Menschen (er vergleicht gern beides unter dem Gesichtspunkt der Symmetrie). Trotz gelegentlicher mathematischer Verwendung hat figura (und auch fingerefingere) bei ihm und den anderen zeitgenössischen Fachschriftstellern eine sehr fest plastisch-sinnliche Bedeutung; so bei FestusFestus p. 98 crustulum cymbi figura,14 bei CelsusCelsus venter reddit mollia, figurata (2, 5, 5), bei ColumellaColumella ficos comprimunt in figuram stellarum floscularumque (12, 5, 5). Weit großzügiger geht es auch in dieser Einzelheit bei dem älteren PliniusPlinius (älterer) zu, der ja einer anderen Gesellschafts- und Bildungsschicht angehörte; alle Abstufungen des Gestalt- und Artbegriffs sind vertreten. Ausgezeichnet läßt sich bei ihm, in dem bemerkenswerten Anfang des 35. Buches, wo er den Verfall der Porträtmalerei beklagt, der Übergang von Gestalt zu Porträt beobachten: Imaginum quidem pictura, qua maxime similes in aevum propagantur figurae …,