Charakter, indem drei von den vier Bedeutungen konkret ereignishaften, miteinander verknüpften Sinn gewinnen, und nur eine rein moralisch-allegorisch bleibt, wie AugustinAugustinus dies in der Schrift de gen. ad litt. 1,1 auseinandersetzt: In libris autem omnibus sanctis intueri oportet, quae ibi aeterna intimentur (Weltende und ewiges Leben, analogischer Sinn), quae facta narrentur (wörtlich-geschichtlicher Sinn), quae futura praenuntientur (Figuralsinn im engeren Verstande, im AT die RealprophezeiungenRealprophetie des Erscheinens Christi), quae agenda praecipiantur vel moneantur (moralischer Sinn).
Wenn nun zwar AugustinAugustinus den abstrakt allegorischenAllegorie SpiritualismusSpiritualismus weit von sich weist und die gesamte Deutung des ATAltes Testament bei ihm aus dem konkret Innergeschichtlichen entwickelt wird, so besitzt er doch eine Idealität, die das konkrete Ereignis, so vollständig es auch erhalten bleibt, als figurafigura aus der Zeit heraus und in die Perspektive der Jederzeitlichkeit und Ewigkeit versetzt. Solche Gedanken waren in dem Gegenstand der Fleischwerdung des Wortes an sich beschlossen, die figurale Deutung der Geschichte legte sie nahe, und sie zeigen sich auch schon sehr bald; wenn etwa TertullianTertullian sagt (adv. Marc. 3, 5), daß in Jes. 50, 6 dorsum meum posui in flagella (VulgataVulgata corpus meum dedi percutientibus) das Zukünftige als schon Geschehenes, Vergangenes figural dargestellt wird, so fügt er hinzu, daß es bei Gott keine differentia temporis gebe. Aber es scheint doch niemand unter den Vorgängern und Zeitgenossen diesen Gedanken so tief und vollständig entwickelt zu haben wie Augustin. Den Gegensatz, den TertullianTertullian hier nur wegen der Perfektform der Aussage empfindet, hat er grundsätzlich immer wieder herausgestellt; etwa de civ. 17, 8: Scriptura sancta etiam de rebus gestis prophetans quodammodo in eo figuram delineat futurorum: oder, bei Gelegenheit einer Diskrepanz zwischen dem Psalm 113 In exitu und der entsprechenden Erzählung im Exodus (Enarr. in Psalm. 113, 1): ne arbitremini nobis narrari praeterita, sed potius futura praedici … ut id, quod in fine saeculorum manifestandum reservabatur, figuris rerum atque verborum praecurrentibus nuntiaretur. Und die Gesinnung, in welcher das Jederzeitliche der Figuren aufgefaßt wird, läßt sich am besten durch eine Stelle beschreiben, die freilich auf die FiguraldeutungFiguraldeutung nicht ausdrücklich Bezug nimmt: Quid enim est praescientia nisi scientia futurorum? Quid autem futurum est Deo qui omnia supergreditur tempora? Si enim scientia Dei res ipsas habet, non sunt ei futurae sed praesentes; et per hoc non praescientia, sed tantum scientia dici potest. (De div. quaest. ad Simpl. II qu. 2 n. 2).
Für die Mission des vierten und der folgenden Jahrhunderte war die FiguraldeutungFiguraldeutung von großem praktischen Nutzen; in Predigt und Unterweisung wird sie ständig verwandt, oft freilich vermischt mit rein allegorischen und moralischen Deutungen. Ein schulmäßiges Lehrbuch der figuralen und moralischen Erklärung sind die Formulae spiritalis intelligentiae des in Lérins ausgebildeten Bischofs Eucherius von LyonEucherius v. Lyon (Anf. 5. Jh.);29 aus dem 6. Jahrhundert stammen die Instituta regularia divinae legis des Quaestors sacri palatii JuniliusJunilius (PL 68), Übertragung einer von der antiochenischen Schule beeinflußten griechischen Schrift; in ihrem ersten Kapitel findet sich folgender Lehrsatz: Veteris Testamenti intentio est Novum figuris praenuntiationibusque monstrare; Novi autem ad aeternae beatitudinis gloriam humanas mentes accendere. Ein praktisches Beispiel, wie gegenüber Neubekehrten die figurale Unterweisung angewandt wurde, bietet etwa die Erklärung des Passahopfers im zweiten Sermon des Bischofs GaudentiusGaudentius v. Brescia von Brescia (PL 20, 855 A), in der sich ein vielleicht unbewußter Ausdruck des figuralen Zeitperspektivismus findet, indem von der (zeitlich vorausgehenden) figurafigura gesagt wird, sie sei nicht veritasveritas, sondern imitatio veritatis. Vielfach sind auch seltsame und gesuchte Figuraldeutungen zu finden, und die rein abstrakte und moralische AllegorieAllegorie mischt sich immer wieder hinein; doch ist die zugrundeliegende Anschauung, das ATAltes Testament sei eine geschichtlich konkrete Praefiguration des Evangeliums, sowohl im ganzen wie in ihren wichtigsten Einzelbeispielen zur festen Überlieferung geworden.
Wir kehren hier noch einmal zur semantischen Untersuchung zurück und fragen, wie figurafigurafigura bei den Kirchenvätern zu seiner neuen Bedeutung bei den KirchenväternKirchenväter gekommen ist. Die ältesten Schriften der altchristlichen Literatur sind griechisch geschrieben, und das Wort, das dort zumeist für «RealprophetieRealprophetie» gebraucht wird – z. B. im Barnabasbrief – ist τύποςτύπος. Dies führt zu der Vermutung – die vielleicht dem Leser schon bei einigen unserer Zitate, etwa den LactanzLactanzstellen, gekommen sein mag –, daß figurafigura unmittelbar aus seiner allgemeinen Bedeutung «Bildung», «Formung», «Gestalt» zu seinem neuen Inhalt kam, und in der Tat legt der Sprachgebrauch gerade bei den ältesten lateinischen Kirchenschriftstellern dies nahe: wenn etwa häufig von Personen oder Ereignissen des ATAltes Testament gesagt wird, daß sie figuram Christi (ecclesiae, baptismi etc.) gerunt oder gestant, daß das jüdische Volk in allem figuram nostram portat, daß die Heilige Schrift figuram delineat futurorum, so läßt sich figura in diesen Sätzen ohne weiteres mit «Gestalt» übersetzen. Doch sogleich mischt sich auch die σχῆμασχῆμα-Vorstellung der bildlich-rhetorischen Umschreibung, der Verhüllung und Verwandlung hinein, ja sogar der Täuschung, wie dies alles die vorchristliche Dichtung und Beredsamkeit ausgebildet hatte. Der Gegensatz figurafigurafigura bei den Kirchenvätern und veritasveritas, das Deuten (exponere) und Enthüllen (aperire, revelare)30 der Figuren, das Gleichsetzen von figura mit umbraumbra, von sub figura mit sub umbra (etwa ciborum oder allgemeiner legis, unter welcher figura etwas anderes, Zukünftiges, Wahres verdeckt liegt) – das alles zeigt in dem neuen Gestaltbegriff figurafigura, der eine praefiguratio ist, das Weiterleben des rhetorisch-bildlichen Gebrauchs, nur daß er aus der rein nominalistischenNominalismus Welt der Rednerschulen und aus dem halb spielenden Mythos OvidsOvid ins Wirkliche und zugleich Geistige, also ins Eigentliche, Bedeutende und Existentielle gelangt ist. Auch der Gegensatz zwischen den Wort- und den Inhaltsfiguren, den wir bei QuintilianQuintilian trafen, ist in der Unterscheidung von figurae verborumfigurafigurae verborum, figurae senentiarum, prophetischen Worten, Gleichnissen u.ä. und figurae rerumfigurae rerum, eigentlichen RealprophetienRealprophetie, wiederaufgenommen worden. Zugleich ist der Pendelausschlag der potestas verbi auf der neuen Grundlage recht weit geworden. Wir finden figura als «tiefere Bedeutung» etwa bei SeduliusSedulius (ista res habet egregiam figuram. Carm. pasch. 5, 348f.) und bei LactanzLactanz (oben S. 454); als «Täuschung» oder «täuschende Gestalt» (FilastriusFilastrius 61, 4 sub figura confessionis christianae «indem sie vorgeben, Christen zu sein», oder Sulpicius SeverusSulpicius Severus de vita b. Martini 21, 1 vom Teufel sive se in diversas figuras spiritalis nequitiae transtulisset, oder Leo MagnusLeo d. Große epist. 98, 3, PL 54, 955 A, lupum pastorali pelle nudantes qua prius quoque figura tantummodo convincebatur obtectus); als «leere» oder «täuschende Redensart», «Ausflucht» (per tot figuras ludimur, PrudentiusPrudentius, peristeph. 2, 315, oder RufinusRufinus, apol. adv. Hier. 2, 22 qualibus [Ambrosium] figuris laceret); auch als «Rede» oder «Wort» schlechthin (te … incauta violare figura, Paul. Nol. carm. 11, 12); und schließlich auch in Abwandlungen der neuen Bedeutung, die eine angemessene Übersetzung kaum gestatten: in der Dichtung de actibus apostolorum des Subdiakons AratorArator (Subdiakon), aus dem 6. Jahrhundert, PL 68, finden sich die Verse tamen illa figura, qua sine nulla vetus (i. e. Veteris Testamenti) subsistit littera, hac melius novitate manet (2, 365); und etwa aus gleicher Zeit stammt eine Stelle aus den Dichtungen des Bischofs Avitus von VienneAvitus v. Vienne (carm. 5, 254, MG Auct. ant. VI, 2),31 wo vom Jüngsten Gericht die Rede ist: wie Gott bei der Tötung der Erstgeburt in Ägypten die mit Blut bestrichenen Häuser verschont hat, so möge er dann auch die Gläubigen an dem Zeichen der Eucharistie erkennen und verschonen: Tu cognosce tuam servanda in plebe figuram. – Es ist zuletzt auch noch darauf hinzuweisen, daß neben dem Gegensatz von Figur einerseits und Erfüllung, Wahrheit andererseits noch ein anderer Gegensatz, der zwischen figurafigura und historiahistoria, auftritt; historia, oder auch litteralittera, ist der Wortsinn bzw. das durch ihn erzählte Ereignis, figurafigurafigura