Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie


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Varro … insertis … septingentorum illustrium … imaginibus: non passus intercidere figuras, aut vetustatem aevi contra homines valere, inventor muneris etiam diis invidiosi, quando immortalitatem non solum dedit, verum etiam in omnes terras misit, ut praesentes esse ubique credi passent.

      Aus der juristischen Literatur des 1. Jahrhunderts sind einige wenige Stellen belegt, die figurafigura als «leere äußere Form», ja als «Anschein» zeigen: Dig. 28, 5, 70 non solum figuras sed vim quoque condicionis continere (ProculusProculus) und Dig. 50, 16, 116 Mihi Labeo videtur verborum figuram sequi, Proculus mentem (JavolenusJavolenus).

      Das Bedeutendste aber und Folgenreichste, was für die Entwicklung des Wortes im 1. Jahrhundert geschah, war die Ausbildung des rhetorischenRhetorik Figurbegriffes, deren Niederschlag wir im 9. Buch QuintiliansQuintilian besitzen. Die Sache ist älter, sie ist griechisch, und sie war, wie wir oben feststellten, schon von CiceroCicero latinisiert worden; doch CiceroCicero brauchte dafür das Wort figurafigura noch nicht, und überdies scheint in der Zwischenzeit die unablässige Diskussion über rhetorische FragenRhetorische Frage die Figuraltechnik noch sehr verfeinert zu haben. Wann für die Sache zuerst das Wort verwendet wurde, ist nicht genau zu bestimmen, wahrscheinlich schon bald nach CiceroCicero, wie sich aus einem bei GelliusGellius 9, 10, 5 erhaltenen Buchtitel (de figuris sententiarum) von Annaeus CornutusCornutus, A. und aus den Bemerkungen und Anspielungen bei beiden SenecaSeneca (Philosoph)Seneca (pater)15 und dem jüngeren PliniusPlinius (jüngerer) vermuten läßt. Es lag ja nahe, da der griechische Ausdruck σχῆμασχῆμα war. Man muß überhaupt annehmen, daß der wissenschaftstechnische Gebrauch des Wortes schon früher und reicher entwickelt worden ist, als die erhaltenen Schriften es bezeugen; daß zum Beispiel von den Figuren des SyllogismusSyllogismus (die σχῆματα συλλογισμοῦ stammen von AristotelesAristoteles selbst) im Lateinischen schon weit früher gesprochen wurde als bei BoethiusBoethius oder in dem pseudo-augustinischen Kategorienbuche.

      Im letzten Abschnitt des 8. und im 9. Buche der Institutio oratoria also gibt QuintilianQuintilian eine eingehende Darstellung der TropenTropenFiguren- und FigurenlehreFigurenlehre, die einerseits, wie es scheint, eine zusammenfassende Auseinandersetzung mit früheren Meinungen und Arbeiten darstellt, andrerseits für die späteren Bemühungen um den Gegenstand grundlegend wurde. Er scheidet die Tropen von den Figuren; Tropus ist der engere Begriff und bezieht sich nur auf die uneigentliche Bedeutung von Worten und Redewendungen; Figur hingegen ist jede Formung der Rede, die vom gewöhnlichen und nächstliegenden Gebrauch abweicht. Es handelt sich bei der Figur nicht darum, Worte statt anderer Worte zu setzen, wie bei allen TropenTropenFiguren; es lassen sich auch aus Worten in ihrer eigentlichen Bedeutung und Anordnung Figuren bilden. Im Grunde sei jede Rede eine Formung, eine Figur, man brauche das Wort aber nur für poetisch oder rhetorischRhetorik besonders ausgebildete Formungen, und so unterscheide man einfache (carens figuris, ἀσχματιστόςἀσχματιτός (carens figuris)) und figürliche (figuratus, ἐσχηματσμένοςἐσχηματισμένος) Redeweisen. Die Unterscheidung zwischen Tropus und Figur gelingt nur mühsam. QuintilianQuintilian selbst schwankt häufig, zu welchem der beiden eine Redeform zu rechnen sei; der spätere Sprachgebrauch hat sich vielfach dafür entschieden, figurafigura als den Oberbegriff anzusehen, der den Tropus miteinschließt und also jede uneigentliche oder mittelbare Ausdrucksweise als figürlich zu bezeichnen. Als Tropen nennt und beschreibt er die MetapherMetapher, die SynekdocheSynekdoche (mucronem pro gladio; puppim pro navi), die MetonymieMetonymie (Mars für den Krieg, VergilVergil für VergilsVergil Werke), die AntonomasieAntonomasie (der Pelide für Achill) und vieles Ähnliche; die Figuren teilt er in solche, die den Inhalt, und solche, die die Worte betreffen (figurae sententiarum und verborumfigurafigurae verborum, figurae sententiarum). Als figurae sententiarum zählt er auf: die rhetorische FrageRhetorische Frage, mit der dazu selbstgegebenen Antwort; die verschiedenen Arten der Vorwegnahme von Einwänden (prolepsisProlepsis); das scheinbare Ins-Vertrauen-Ziehen der Richter oder Hörer oder sogar des Gegners; die ProsopopöeProsopopöe, in der man andere Personen, etwa den Gegner, oder Personifikationen wie das Vaterland selbst sprechen läßt; die feierliche ApostropheApostrophe; die konkretisierende Ausmalung eines Vorgangs, evidentiaevidentia oder illustratioillustratio; die verschiedenen Formen der IronieIronie; die AposiopeseAposiopese oder obticentiaobticentia oder interruptiointerruptio, bei der man etwas «hinunterschluckt»; die gespielte Reue über etwas, was man gesagt hat; und vieles in der gleichen Art; vor allem aber diejenige Figur, die man damals als die wichtigste ansah, die den Namen Figur vor allem zu verdienen schien: die versteckte AnspielungAnspielung (versteckte) in ihren verschiedenen Formen. Man hatte eine raffinierte Technik ausgebildet, etwas auszudrücken oder zu insinuieren, ohne es auszusprechen, und zwar natürlich etwas, was aus politischen oder aus taktischen Gründen oder einfach um der größeren Wirkung willen verborgen oder wenigstens unausgesprochen bleiben sollte. QuintilianQuintilian beschreibt, welch große Bedeutung die Übung in dieser Technik in den Rhetorenschulen besaß und daß man eigens Fälle konstruierte, die controversiae figurataecontroversiae figuratae, um sich darin zu vervollkommnen und auszuzeichnen. Als Wortfiguren schließlich nennt er absichtliche SoloecismenSoloecismus, rhetorische WiederholungenWiederholung (rhetorisch), AntithesenAntithese, GleichklängeGleichklang, Auslassungen eines Wortes, AsyndetonAsyndeton, KlimaxKlimax und einiges Verwandte.

      Seine Darstellung der TropenTropenFiguren und Figuren, aus der hier nur das Allerwesentlichste zusammengefaßt wurde, ist mit einer Fülle von Beispielen und mit genauen Untersuchungen über Art und Unterscheidung der einzelnen Formen ausgestattet; sie nimmt einen großen Teil des 8. und des 9. Buches in Anspruch. Es handelt sich um ein ausgebildetes System, eine Lehre, auf die der größte Wert gelegt wurde, und dabei ist zu vermuten, daß QuintilianQuintilian unter den Rhetoren eine vergleichsweise freie Stellung einnimmt und, soweit es die Neigung der Zeit erlaubte, dem Übermaß der Haarspaltereien abgeneigt war. Die Kunst der uneigentlichen, umschreibenden, andeutenden, insinuierenden und verbergenden Redeweisen, durch die der Gegenstand, sei es geschmückt, sei es wirksamer oder perfider, herausgearbeitet werden sollte, war in der spätantiken Beredsamkeit zu einer uns fast unbegreiflichen und seltsam, ja oft albern erscheinenden Vollendung und Elastizität gediehen, und jene Redeweisen hießen figurae. Die Lehre von den Figuren der Rede hat, wie bekannt, noch im MittelalterMittelalter und in der RenaissanceRenaissance große Bedeutung gehabt; für die Stiltheoretiker des 12. und 13. Jahrhunderts dient als Hauptquelle die Schrift ad HerenniumAuctor ad Herennium.16

      Damit ist die Bedeutungsgeschichte von figurafigura in der heidnischen Antike abgeschlossen; einige grammatische, rhetorische und logische Weiterbildungen ergeben sich von selbst aus dem schon Gesagten und sind zum Teil auch schon erwähnt worden.17 18

      Geschichtlich bedeutend wurde der Sinn, den die KirchenväterKirchenväter dem Wort auf Grund seiner auf den vorhergehenden Seiten beschriebenen Entwicklung zu geben vermochten.

      II. «Figurafigura» als RealprophetieRealprophetie bei den KirchenväternKirchenväter

      Die eigentümlich neue Bedeutung des Wortes in der christlichen Welt findet sich zuerst, und zwar sogleich sehr häufig, bei TertullianTertullian. Um ihren Inhalt zu entwickeln, sollen einige Stellen besprochen werden.

      In der Schrift adversus Marcionem 3, 16 spricht TertullianTertullian von Hosea, dem Sohne Nuns, der von Moses Josua genannt wird (nach 4. Mos. 13, 16): … et incipit vocari Jesus … Hanc prius dicimus figuram futurorum fuisse. Nam quia Jesus Christus secundum populum, quod sumus nos, nati in saeculi desertis, introducturus erat in terram promissionis, melle et Jacte manantem, id est vitae aeternae possessionem, qua nihil dulcius; idque non per Moysen, id est, non per legis disciplinam, sed per Jesum, id est per evangelii gratiam provenire habebat (vulgärlat. Form für «geschehen sollte»), circumcisis nobis petrina acie, id est Christi praeceptis; Petra enim Christus; ideo is vir, qui in huius sacramenti imagines parabatur, etiam nominis dominici inauguratus est figura, Jesus cognominatus. Es handelt sich hier um die Namengebung Josua-Jesus als prophetischen Vorgang, der Späteres vorausverkündigt.19 So wie Josua, und nicht Moses, das Volk Israel ins gelobte Land Palästina führte,