Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie


Скачать книгу

annorum mille determinat. Eodem modo figuratio terreni hominis caelestis populi praeferebat in posterum fictionem.24

      Bei den meisten Autoren der gleichen Zeit findet sich die FiguraldeutungFiguraldeutung mit ihren berühmtesten Beispielen gleichsam als tägliches Brot,25 und ebenso auch der Gegensatz figurafigura und veritasveritas. Doch trifft man auch zuweilen eine stärker spiritualistischeSpiritualismus, allegorischeAllegorie und moralische Deutungsweise – etwa in den Bibelkommentaren von OrigenesOrigenes. An einer Stelle, die vom Opfer Isaaks handelt – es ist dies sonst eines der berühmtesten Beispiele realistischer Figuraldeutung – steht bei seinem lateinischen Übersetzer RufinusRufinus (PG 12, 209 B; das griechische Original ist verloren) Folgendes: Sicut in Domino corporeum nihil est, etiam tu in his omnibus corporeum nihil sentias: sed in spiritu generes tu filium Isaac, cum habere coeperis fructum spiritus, gaudium, pacem. Zwar ist auch OrigeOrigenesnes keineswegs so abstrakt allegorisch wie etwa PhiloPhilo; lebendig und unmittelbar den wirklichen Leser und sein wirkliches Leben betreffend erscheinen auch bei ihm die Ereignisse des Alten TestamentsAltes Testament; allein wenn man beispielsweise seine schöne Erklärung des dreitägigen Weges im Exodus liest (a. a. O. p. 313ss.), so ist doch das Überwiegen des Mystischen und Moralischen vor dem eigentlich Geschichtlichen sehr deutlich zu fühlen.26 In dem Unterschied zwischen der mehr innergeschichtlich-realistisehen Deutungsweise TertulliansTertullian und der mehr allegorisch-moralischen Origenes’Origenes tritt ein auch sonst bekannter Konflikt innerhalb des frühen Christentums zutage: die einen strebten danach, den Inhalt der neuen Lehre, insbesondere aber den Inhalt des Alten TestamentsAltes Testament ins rein Geistige zu wenden und ihren geschichtlichen Charakter gleichsam zu verflüchtigen – während die anderen ihn in seiner vollen, freilich tief bedeutungserfüllten Innergeschichtlichkeit zu bewahren wünschten. Im Westen ist diese letztere Tendenz unbedingt siegreich geblieben, obgleich auch die andere nie ihren Einfluß verloren hat, was sich ja schon in dem Eindringen der Lehre von den verschiedenen Schriftsinnen zeigt; denn diese läßt zwar den wörtlichen oder historischen Sinn bestehen, reißt aber seinen Zusammenhang mit der ebenso wirklichen Praefiguration auseinander, indem sie anstelle und neben die praefigurale Deutung andere rein abstrakte Deutungen setzt. An dem Ausgleich beider Gesinnungen, der doch im ganzen zugunsten der lebendig figuralen Deutung ausfiel, ist entscheidend AugustinAugustinus beteiligt, dessen Geistigkeit viel zu lebendig und geschichtlich war, um sich mit dem bloß abstrakt AllegorischenAllegorie zu begnügen.

      Daß die ganze antike Tradition in AugustinAugustinus lebte, erkennt man auch bei dieser Gelegenheit, in seinem Gebrauche des Wortes figurafigura. Es erscheint als allgemeiner Gestaltbegriff in all seiner ererbten Vielfalt, statisch und in Bewegung, als Umriß und plastisch, für Welt oder Natur im ganzen und für den einzelnen Gegenstand; als das Äußerlich-Sinnliche, neben forma, color u. ä. (epist. 120, 10 oder 146, 3), damit aber auch als das Wandelbare gegenüber dem unvergänglichen Wesen, und in diesem Sinne interpretiert er 1. Cor. 7, 31: Peracto quippe iudicio tunc esse desinet hoc coelum et haec terra, quando incipiet esse coelum novum et terra nova. Mutatione namque rerum non omni modo interitu transibit hic mundus. Unde et apostolus dicit: praeterit enim figura huius mundi, volo vos sine sollicitudine esse. Figura enim praeterit, non natura (De civ. 20, 14). Figura erscheint ferner als Götzenbild, als Traumgestalt oder Vision, als mathematische Form; es fehlt kaum eine der vielen bekannten Abwandlungen. Weitaus am häufigsten aber erscheint es als RealprophetieRealprophetie. Augustin übernimmt ausdrücklich die figurale Interpretation des ATAltes Testament, empfiehlt sie mit Nachdruck für Predigt und Mission (z. B. de catichizandis rudibus 3, 6) und gestaltet sie selbst weiter aus; die ganze Fülle ihrer Deutungen zieht in seinem Werke an uns vorüber: die Arche Noah ist praefiguratio ecclesiae (De civ. 15, 27); Moses ist auf mehrfache Art figura Christi (z. B. de civ. 10, 6 od. 18, 11); das sacerdotium Arons ist umbra et figura aeterni sacerdotii (ib. 17, 6); Hagar, die Sklavin, ist figurafigura des Alten Testaments, der terrena Jerusalem, Sarah aber des Neuen, supernae Jerusalem, civitatis Dei (ib. 16, 31; 17, 3; expos. ad. Gal. 40); Jacob und Esau figuram praebuerunt duorum populorum in Christianis et ludeis (de civ. 16, 42); die gesalbten Könige von Juda (Christi) figuram prophetica unctione gestabant (ib. 17, 4). Das sind nur wenige Beispiele; das ganze ATAltes Testament, zumindest die entscheidenden Gestalten und Ereignisse werden einheitlich figural interpretiert; auch da, wo Worte und Wortprophezeiungen in ihrem verborgenen Sinn erläutert werden, wie z. B. das Dankgebet Annas (1. Sam. 2, 1–10) in de civ. 17, 4, ist die Deutung meist nicht nur allegorisch, sondern figural; die Lobpreisung Annas über die Geburt ihres Sohnes Samuel wird als Figur der Verwandlung des alten irdischen Königs- und Priestertums in das neue himmlische erklärt, wobei sie selbst zur figurafigura ecclesiae wird.

      Auf das eindringlichste wehrt sich AugustinAugustinus gegen die rein allegorischeAllegorie Auffassung der heiligen Schriften und gegen die Meinung, es sei das Alte TestamentAltes Testament gleichsam eine hermetische Schrift, die nur durch eine den wörtlich-historischen Sinn und das gemeine Verständnis ausschließende Deutung zu begreifen sei: jeder Gläubige könne gleichsam stufenweise zu ihrem erhabenen Inhalt vordringen: … sancta scriptura parvulis congruens nullius generis rerum verba vitavit, ex quibus quasi gradatim ad divina atque subliiam noster intellectus velut nutritus assurgeret, heißt es de trin. 1, 2, und mit noch deutlicherem Bezug auf das hier in Rede stehende Figuralproblem: Ante omnia, frater, hoc in nomine Domini admonemus et praecipimus, ut quando auditis exponi sacramentum scripturae quae gesta sunt, prius illud quod lectum est credatis sic gestum quomodo lectum est; ne substrato fundamento rei gestae quasi in aere quaeratis aedificare (Serm. 2, 6f.).27 Auch nach seiner, damals schon längst zur Tradition gewordenen Auffassung ist das ATAltes Testament rein realprophetischRealprophetie, und mit noch größerem Nachdruck als andere beruft er sich dafür auf einige Stellen der PaulusbriefePaulus (Apostel), von denen wir noch zu handeln haben werden. Die Gesetzesbeobachtungen, quas tamquam umbras futuri saeculi nunc respuunt Christiani, id tenentes, quod per illas umbras figurate promittebatur, und die Sakramente, quae habuerunt promissivas figuras, sind Buchstabe, und zwar eben in dem Sinne, daß ihre unbezweifelte fleischlich-geschichtliche Wirklichkeit durch die christliche Erfüllung, nicht minder geschichtlich, enthüllt und geistig gedeutet – und, wie wir gleich sehen werden, durch eine neue, vollständigere, klarere Versprechung ersetzt worden ist; und daher habe der Christ sich zu verhalten non ad legem operum, ex qua nemo iustificatur, sed ad legem fidei, ex qua iustus vivit (de spir. et litt. 54, 23). Die alten Juden, quando adhuc sacrificium verum, quod fideles norunt, in figuris praenuntiabatur, celebrabant figuram futurae rei; multi scientes, plures ignorantes (Enarr. in Psalm. 39, 12); die gegenwärtigen Juden, und hier klingt das in der gesamten späteren Judenpolemik immer wiederkehrende Thema an,28 sträubten sich in starrer Verblendung, dies anzuerkennen: Non enim frustra Dominus ait Judaeis: si crederetis Moysi, crederetis et mihi; de me enim ille scripsit (Joan. 5, 46): carnaliter quippe accipiendo legem, et eius promissa terrena rerum coelestium figuras esse nescientes (de civ. 20, 28). Noch aber ist die Erfüllung durch das «Himmlische» nicht vollbracht; und so zeigt sich, wie schon bei einigen Früheren, noch ausgeprägter bei AugustinAugustinus, daß die Gegenüberstellung zweier Pole, Figur und Erfüllung, zuweilen ersetzt wird durch einen dreistufigen Vollzug: das Gesetz oder die Geschichte der Juden als prophetische figurafigura für Christi Erscheinen; die Inkarnation als Erfüllung dieser figura, und zugleich als neue Verheißung von Weltende und Jüngstem Gericht; und schließlich das künftige Eintreffen dieser Ereignisse als endgültige Erfüllung. Vetus enim Testamentum est promissio figurata, novum Testamentum est promissio spiritualiter intellecta heißt es Serm. 4, 9, und noch deutlicher contra Faustinum 4, 2: Temporalium quidem rerum promissiones Testamento Veteri contineri, et ideo Vetus Testamentum appellari nemo nostrum ambigit; et quod aeternae vitae promissio regnumque coelorum ad Novum pertinet Testamentum: sed in illis temporalibus figuras fuisse futurorum quae implerentur in nobis, in quos finis saeculorum obvenit, non suspicio mea, sed apostolicus intellectus est, dicente Paulo, cum de talibus loqueretur: Haec autem … (folgt 1. Cor, 10, 6 und 11). Obgleich hier auch die endgültige Erfüllung als unmittelbar bevorstehend angesehen wird, ist es doch deutlich, daß es sich um zwei Versprechungen handelt, eine scheinbar zeitliche, verhüllte im ATAltes Testament und eine klar ausgesprochene überzeitliche