Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie


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ewigen Seligkeit. Der Mann, der als prophetische Vorankündigung dieses noch verborgenen Mysteriums auftrat, qui in huius sacramenti imagines parabatur, wurde unter der figurafigura des Gottesnamens eingeführt. Die Namengebung Josua-Jesus ist also eine RealprophetieRealprophetie oder vorausdeutende Gestalt des Zukünftigen; figurafigura ist etwas Wirkliches, Geschichtliches, welches etwas anderes, ebenfalls Wirkliches und Geschichtliches darstellt und ankündigt. Das gegenseitige Verhältnis der beiden Ereignisse wird durch eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit erkennbar; so sagt TertullianTertullian etwa adv. Marc. 5, 7: Quare Pascha Christus, si non Pascha figura Christi per similitudinem sanguinis salutaris et pecoris Christi? Oft genügen schattenhafte Ähnlichkeiten in der Struktur der Vorgänge oder in ihren Begleitumständen, um die figura erkennbar zu machen; es war ein bestimmter Interpretationswille erforderlich, um sie jeweils zu finden. So etwa, wenn ib. 3, 17 oder adv. Iudaeos 14 die beiden Opferböcke aus 3. Mos. 16, 7ff. als Figuren der ersten und zweiten Ankunft Christi gedeutet werden; oder wenn aus Adam als figura Christi Eva als figura Ecclesiae entwickelt wird, wie es De anima 43 (vgl. auch De monogamia 5) geschieht: Si enim Adam de Christo figuram dabat, somnus Adae mors erat Christi dormituri in mortem, ut de iniuria (Wunde) perinde lateris eius vera mater viventium figuraretur ecclesia.20 Über die Entstehung dieses Interpretationswillens werden wir noch sprechen. Die Art der Interpretation zielte darauf ab, die im Alten TestamentAltes Testament auftretenden Personen und Ereignisse als Figuren oder RealprophetienRealprophetie der Heilsgeschichte des Neuen zu deuten. Dabei ist zu beachten, daß TertullianTertullian ausdrücklich es ablehnt, die wörtliche und geschichtliche Geltung des Alten Testaments durch die FiguraldeutungFiguraldeutung zu entkräften. Es besteht vielmehr bei ihm eine entschiedene Abneigung gegen etwaige Übergriffe des SpiritualismusSpiritualismus; er will keineswegs das ATAltes Testament als bloße AllegorieAllegorie verstehen; überall habe es wörtlichen Wirklichkeitssinn, und auch da, wo es sich um figurale Prophetie handle, sei die Figur ebenso geschichtliche Wirklichkeit wie das durch sie Prophezeite. Die prophetische Figur ist sinnlich-geschichtliche Tatsache, und sie wird durch sinnlich-geschichtliche Tatsachen erfüllt: TertullianTertullian gebraucht hierfür den Ausdruck figuram implere (adv. Marc. 4, 40 figuram sanguinis sui salutaris implere) oder confirmare (de fuga in pers. 11 Christo confirmante figuras suas): wir wollen die beiden Ereignisse von nun an als Figur und Erfüllung bezeichnen.

      Der energische RealismusRealismus TertulliansTertullian ist auch sonst bekannt. Für ihn ist die figurafigura, im einfachen Sinne von «Gestalt», ein Teil der Substanz, und diese setzt er adv. Marc. 5, 20 gleich mit dem Fleisch. Kurz zuvor (4, 40) spricht er vom Brot in der Eucharistie Corpus ilium suum fecit «hoc est corpus meum» dicendo, «id est figura corporis mei». Figura autem non fuisset, nisi veritatis esset corpus. Ceterum vacua res, quod est phantasma, figuram capere non posset. Aut si propterea panem corpus sibi finxit, quia corporis carebat veritate, ergo panem debuit tradere pro nobis. Faciebat ad vanitatem Marcionis, ut panis crucifigeretur. Cur autem panem corpus suum appellat, et non magis peponem, quem Marcion cordis loco habuit? Non intelligens veterem fuisse istam figuram corporis Christi, dicentis per Ieremiam (11, 19): Adversus me cogitaverunt cogitatum dicentes, Venite, coniiciamus lignum in panem eius, scilicet crucem in corpus eius. Diese lebendigen Sätze – im folgenden wird dann, nicht minder energisch, nach Gen. 49, 11 und Jes. 63, 1 der Wein, figura sanguinis, als probatio carnis verstanden21 – geben den klarsten Begriff von der Sinnlichkeit beider Pole der FiguraldeutungFiguraldeutung TertulliansTertullian; spiritual ist jeweils nur das Verständnis, intellectus spiritalisintellectus spiritalis, der die Figur in der Erfüllung wiedererkennt. Die Propheten haben, so sagt er de resurr. carnis 19ff., keineswegs nur in Bildern gesprochen, sonst könnte man ja die Bilder gar nicht erkennen; vieles sei ganz wörtlich zu verstehen, wie auch im Neuen TestamentNeues Testament: nec omnia umbrae, sed et corpora; ut in ipsum quoque Dominum insigniora quaeque luce claius praedicantur; nam et virgo concepit in utero, non figurate; et peperit Emanuelem nobiscum Jesum Christum, non oblique. Und er wendet sich eifrig gegen diejenigen, die die klar verkündigte Auferstehung der Toten in imaginariam significationem distorquent. In dieser Art finden sich viele Stellen, in denen er die spiritualisierendenSpiritualismus Neigungen zeitgenössischer Gruppen bekämpft. Sein RealismusRealismus läßt sich noch genauer an dem Verhältnis der Figur zur Erfüllung erweisen, da zuweilen das eine, zuweilen das andere einen höheren Grad von geschichtlicher Konkretion zu haben scheint. Wenn zum Beispiel in dem Satz adv. Marc. 4, 40 an ipse erat, qui tamquam ovis coram tendente sic os non aperturus figuram sanguinis sui salutaris implere concupiscebat? die Figur ein bloßes Gleichnis, der Knecht Gottes als Lamm, zu sein scheint – oder wenn ein anderes Mal das Gesetz im ganzen Christo als Erfüllung gegenübergestellt wird (ib. 5, 19 de umbra transfertur ad corpus, id est de figuris ad veritatem) so scheint es vielleicht, daß das Gleichnis im ersten Fall und das Abstractum im zweiten der Figur geringere Wirklichkeitskraft zumessen. Doch fehlt es auch nicht an Beispielen, in denen die Figur als das sinnlich Stärkere erscheint. So finden wir De bapt. 5, wo der Teich Bethesda als Figur der Taufe auftritt, den Satz: figurafigura ista medicinae corporalis spiritalem medicinam canebat, ea forma qua semper carnalia in figuram spiritalium antecedunt. Doch ist eines und das andere, der Teich Bethesda und die Taufe, ein sinnlich wirklicher Gegenstand oder Vorgang, und geistig daran ist nur die Deutung oder Wirkung; denn auch die Taufe ist, wie TertullianTertullian selbst sogleich (ib. 7) hinzufügt, eine fleischliche Handlung: sic et in nobis carnaliter crurit unctio, sed spiritaliter proficit; quomodo et ipsius baptismi carnalis actus, quod in aqua mergimur, spiritalis effectus, quod delictis liberamur. Man fühlt aus diesen Beispielen, daß TertullianTertullian auch in den ersterwähnten Fällen das Lamm nicht nur gleichnishaft, sondern wirklich, das Gesetz nicht nur abstrakt, sondern die Zeit des Gesetzes als geschichtlichen Zustand im Auge hatte. Zuweilen geschieht es auch, daß zwei Aussprüche zueinander im Verhältnis von Figur und Erfüllung stehen, wie defuga in pers. 11: certe quidem bonus pastor animam pro pecoribus ponit; ut Moyses, non domino adhuc Christo revelato, etiam in se figurato, ait: Si perdis hunc populum, inquit, et me pariter cum eo disperde (Exod. 32, 32). Ceterum, Christo confirmante figuras suas, malus pastor est, etc. (Joh. 10, 12) – doch sind beide Aussprüche geschichtliche Vorgänge, und überdies sind es ja weniger sie, als Moses und Christus selbst, die zueinander im Verhältnis von Figur und Erfüllung stehen.22 Die Erfüllung wird oft, wie oben in einem Beispiel, als veritasveritas, die Figur entsprechend als umbraumbra oder imagoimago bezeichnet; doch ist beides, Schatten und Wahrheit, abstrakt nur in bezug auf die erst verhüllte, dann offenbarte Bedeutung, konkret jedoch in bezug auf die Dinge oder Gestalten, die als Träger der Bedeutung auftreten. Moses ist nicht minder innergeschichtlich und wirklich, weil er umbra oder figura Christi ist, und Christus, die Erfüllung, ist keine abstrakte Idee, sondern innergeschichtlich und konkret. Die geschichtlich-wirklichen Figuren sind geistig zu deuten (spiritaliter interpretari), aber die Deutung weist auf eine fleischliche, also geschichtliche Erfüllung (carnaliter adimpleri. De resurr. 20) – denn es ist eben die Wahrheit Geschichte oder Fleisch geworden.

      Seit dem 4. Jahrhundert tritt das Wort figurafigura und die damit verbundene Deutungsweise bei fast allen lateinischen Kirchenschriftstellern in voller Ausbildung zutage.23 Zuweilen freilich wird, wie später ganz allgemein, auch die gewöhnliche AllegorieAllegorie als figura bezeichnet; LactanzLactanz Div. Inst. 2, 10 deutet Süd und Nord als figurae vitae et mortis, Tag und Nacht als wahren und falschen Glauben; doch sogleich mischt sich der christliche Bezug auf Vorbedeutung und Erfüllung hinein: etiam in hoc praescius futurorum Deus fecit, ut ex iis verae religionis et falsarum superstitionum imago quaedam ostenderetur. Und so tritt figura mehrfach in dem Sinne «tiefere Bedeutung in bezug auf Zukünftiges» auf: was Jesus erduldet habe, non fuerunt inania, sed habuerunt figuram et signcationem magnam, und er spricht in diesem Zusammenhang von den göttlichen Werken überhaupt, quorum vis et potentia valebat quidem in praesens, sed declarabat aliquid infuturum (ib. 4, 26). Von dieser Gesinnung ist auch seine Eschatologie beherrscht, die, nach einer damals weit verbreiteten Spekulation, die sechs Schöpfungstage als sechs Millennien deutet, die nun fast zu Ende seien; das tausendjährige Reich stehe bevor (ib. 7, 14): saepe diximus minora et exigua magnorum figuras et praemonstrationes