über Gonzalo de BerceoBerceo, G. de, El Sacrifcio de la Misa (Washington, The Catholic University of America, 1933) und eine klare Erkenntnis des Sachverhalts, jedoch ohne Bezug auf grundsätzliche Fragen, bietet H. PflaumPflaum, H., der schon in seiner Schrift über die religiöse Disputation in der europäischen Dichtung des Mittelalters (Genève-Firenze 1935) auf das FiguralproblemMittelalterFiguraldarstellung im MA gestoßen war; er hat letzthin (Romania LXIII, 519ff.) auf Grund seines richtigen Verständnisses von figure einige vom Herausgeber mißverstandene altfranzösische Verse richtig interpretiert und den Text wiederhergestellt. Vielleicht ist mir anderes entgangen;41 eine grundsätzliche Behandlung der Frage dürfte es jedenfalls noch nicht geben, und doch scheint sie mir für die Erfassung der uns so schwer zugänglichen Mischung von Wirklichkeitssinn und Spiritualität, die das europäische Mittelalter charakterisiert, unentbehrlich.42 Die FiguraldeutungMittelalterFiguraldarstellung im MA ist bei den meisten europäischen Völkern bis ins 18. Jahrhundert wirksam gewesen; man findet ihre Spuren nicht nur bei BossuetBossuet, J. B., was selbstverständlich ist, sondern noch Jahrzehnte später bei den geistlichen Autoren, die GroethuysenGroethuysen, B. in seinem Buche über die Entstehung des bürgerlichen Geistes in Frankreich zitiert.43 Eine klare Erkenntnis ihres Wesens und damit eine klare Scheidung von verwandten, aber anders strukturierten Formen würde im ganzen das Verständnis spätantiker und mittelalterlicher Dokumente schärfen und vertiefen und auch im einzelnen manche Rätsel lösen. Sollten die Themen, die auf den altchristlichen Sarkophagen und in den Katakomben so häufig wiederkehren, nicht Auferstehungsfiguren sein? Oder, um ein Beispiel aus dem großen und bedeutenden Werke Males anzuführen, sollte die Legende der Maria Aegyptiaca, deren Darstellungen im Museum von Toulouse er beschreibt (a. a. O. p. 240ff.), nicht eine Figur des aus Ägypten ziehenden Volkes Israel sein und folglich ebenso zu deuten, wie man im Mittelalter allgemein den Psalm In exitu Israel de Aegypto deutet?
Doch mit Einzelinterpretationen ist die Bedeutung der Figuralauffassung nicht erschöpft. Wie sie der Geschichtsdeutung des Mittelalters die allgemeine Grundlage gibt, ja wie sie vielfach auch in die Erfassung der einfachen Alltagswirklichkeit hineinspielt, wird keinem, der mittelalterliche Studien treibt, verborgen bleiben. Der ganze Analogismus, der in alle Gebiete mittelalterlicher Geistestätigkeit hineinreicht, ist aufs engste mit der FiguralstrukturMittelalterFiguraldarstellung im MA verknüpft; der Mensch selbst, als Ebenbild Gottes, gewinnt in der Trinitätsdeutung, von AugustinAugustinus de trinitate bis etwa zu Thomas STh 1, 45, 7 den Charakter einer figura trinitatis. Nicht ganz deutlich ist es mir, wie weit die ästhetischen Vorstellungen figural bestimmt sind – wie weit also das Kunstwerk als figura einer noch unerreichbaren Erfüllungswirklichkeit aufgefaßt wird. Die Frage der künstlerischen Naturnachahmung hat im Mittelalter nur wenig theoretisches Interesse erregt; dafür um so mehr die Vorstellung, daß der Künstler, gleichsam als Figur des Schöpfers Gott, ein im eigenen Geiste lebendes Urbild verwirklicht.44 Das sind, wie man sieht, Gedanken neuplatonischenPlaton Ursprungs. Über die Frage, wie weit nun aber dies Urbild und das aus ihm hervorgehende Kunstwerk Figuren einer in Gott erfüllten Wirklichkeit und Wahrheit sind, habe ich aus den mir hier zur Verfügung stehenden Texten – die wichtigsten Werke der Spezialliteratur fehlen – nichts eigentlich Entscheidendes gefunden. Doch will ich einige Stellen anführen, die mir zufällig zur Hand sind und die etwas in der gedachten Richtung andeuten. L. SchradeSchrade, L. zitiert in einem Aufsatz über die Darstellung der Töne an den Kapitellen der Abteikirche zu Cluny (Dt. Vierteljahrsschr. 7, S. 264) eine Erklärung, die Remigius von AuxerreRemigius v. Auxerre für das Wort imitari gibt: scilicet persequi, quia veram musicam non potest humana musica imitari. Dem liegt doch wohl die Vorstellung zugrunde, daß es sich bei der Kunstübung um die Nachahmung oder doch die schattenhafte Figurierung einer wahren, und zwar ebenfalls sinnlichen Wirklichkeit (der Musik der himmlischen Chöre) handelt. DanteDante rühmt im Purgatorio die dort von Gott selbst geschaffenen Kunstwerke, welche Beispiele von Tugenden und Lastern darstellen, wegen ihrer vollkommen erfüllten sinnlichen Wahrheit, gegenüber der die menschliche Kunst und sogar die Natur verblassen (Purg. 10 und 12); sein Anruf an Apoll (Par. 1) enthält die Verse:
O divina virtù, se mi ti presti
Tanto che l’ombra del beato regno
Segnata nel mio capo io manifesti!
Hier wird seine Dichtung als eine seinem Geiste eingezeichnete umbraumbra der Wahrheit charakterisiert, und seine Inspirationstheorie enthält zuweilen Äußerungen, die sich im gleichen Sinne erklären lassen. Das sind alles nur Andeutungen; eine Untersuchung, die das Verhältnis neuplatonischer und figuraler Motive in der mittelalterlichen Ästhetik zu klären versuchte, müßte auf breiterer Materialgrundlage aufbauen. Man wird aber aus diesen Ausführungen doch soviel entnommen haben, daß es sehr förderlich ist, die figurale Struktur grundsätzlich von anderen bildlichen Formen zu scheiden. Im groben kann man behaupten, daß die figurale Methode in Europa auf christliche, die allegorischeAllegorie auf heidnisch-antike Einflüsse zurückgeht, und daß auch die eine zumeist auf christliche, die andere eher auf antike Stoffe angewandt wird. Man wird sogar nichts Falsches sagen, wenn man die figurale AuffassungMittelalterFiguraldarstellung im MA als die überwiegend christlich-mittelalterliche bezeichnet, während die allegorische, die auf spätantike heidnische oder nicht innerlich christianisierte Autoren als Vorbilder zurückgreift, dann besonders hervorzutreten geneigt ist, wenn antike, heidnische oder doch stark weltliche Einflüsse erstarken. Doch sind solche Feststellungen zu allgemein und ungenau, da die Fülle der Erscheinungen, in denen sich während eines Jahrtausends die Kulturen durchdringen, solche einfachen Einteilungen nicht zuläßt. Schon sehr früh werden auch profane und heidnische Stoffe figural gedeutet; Gregor von ToursGregor v. Tours zum Beispiel benutzt die Siebenschläferlegende als Figur der Auferstehung, ganz ebenso wie sonst die Erweckung des Lazarus oder Jonas’ Errettung aus dem Walfisch in diesem Sinne gedeutet werden. Im hohen Mittelalter werden die Sybille, VergilVergil und die Gestalten der Aeneis, ja sogar Personen aus dem bretonischen Sagenkreise (z. B. Galaad in der Queste del Saint Graal) in die figurale Deutung einbezogen, und es entstehen die mannigfachsten Kreuzungen aus figuralenMittelalterFiguraldarstellung im MA, allegorischenAllegorie und symbolischen Formen. Alle diese Formen finden sich auch, auf antike so gut wie auf christliche Stoffe bezogen, in dem Werke, das die mittelalterliche Kultur abschließt und zusammenfaßt, der Göttlichen Komödie. Daß aber dabei grundsätzlich die figuralen Formen vorwiegen und für die gesamte Struktur des Gedichts entscheidend sind, will ich nun zu zeigen versuchen.
Am Fuße des Purgatorioberges treffen DanteDante und VergilVergil einen alten Mann von ehrfurchtgebietendem Aussehen, dessen Antlitz von den vier Sternen, die die Kardinaltugenden bedeuten, sonnengleich bestrahlt wird. Er fragt sie streng nach der Rechtmäßigkeit ihres Weges, und aus VergilsVergil respektvoller Antwort – er hat zunächst DanteDante veranlaßt, vor jenem niederzuknieen – geht hervor, daß es Cato von UticaCato v. Utica ist. Denn nachdem VergilVergil ihm seinen göttlichen Auftrag mitgeteilt hat, fährt er auf folgende Weise fort:
Or ti piaccia gradir la sua venuta;
Libertà va cercando ch’è si cara,
Come sa che per lei vita rifiuta.
Tu ’1 sai chè non ti fu per lei amara
In Utica la morte, ove lasciasti
La veste ch’al gran di sarà si chiara. (Purg. I, 70–75)
Alsdann beschwört er seine Gunst noch bei dem Andenken an seine einstige Gattin MarciaMarcia. Cato weist dies letztere mit unverminderter Strenge zurück; der Wunsch der donna del ciel (Beatrice) genüge: und er befiehlt, daß vor dem Aufstieg DantesDante Gesicht vom Höllenqualm gesäubert und er mit einem Schilfrohr gegürtet werde. Cato erscheint dann noch einmal, am Ende des zweiten Gesanges, wo er die eben am Fuße des Berges gelandeten Seelen, die sich selbst vergessend dem Gesange Casellas lauschen, mit strengen Worten an ihren Weg mahnt.
Cato von UticaCato v. Utica also ist es, den Gott hier zum Wächter am Fuße des Purgatorio bestellt hat: einen Heiden, einen Feind Cäsars, einen Selbstmörder. Das ist sehr erstaunlich, und schon die ältesten Kommentatoren, wie BenvenutoBenvenuto da Imola von Imola, haben sich darüber gewundert. Nur sehr wenige Heiden erwähnt DanteDante, die durch Christus aus der Hölle befreit wurden; und nun ist unter ihnen