und der Verwerfung, das in der Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn Ausdruck findet; im Gegensatz zum dritten Prinzip, dem der Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem, bezeichnet Foucault diese ersten Formen der Ausschließung als „arbitraires […] ou […] s’organis[a]nt autour de contingences historiques“6, also als willkürlich und der geschichtlichen Zufälligkeit entsprungen, wohingegen der Wille zur Wahrheit, welcher die Diskurse durchdringt, am Ursprung des westlichen Gesellschaftssystems steht und alle übrigen Ausschlussprinzipien zusammenhält. Alle drei Ausschlussmechanismen betrachtet Foucault als institutionell fundiert und gesichert, so dass man – um an die eingangs formulierte Prämisse anzuschließen – folgern kann, dass jenseits dieses diskursiven Filters keine Diskursbildung möglich ist. Wie Foucault unter Rückbezug auf seine eigene Antrittsrede quasi metadiskursiv verlautbart, liegt es in der Funktion und im Anspruch der Institution, darüber zu wachen, dass der Diskurs „dans l’ordre des lois“7 liegt, um damit die ursprüngliche Kraft des Wortes zu entmachten.
Konnex zwischen der theoretischen Grundlage in L’ordre du discours und dem praktischen Experiment des G.I.P. ist dabei die institutionell gesteuerte diskursive Filterung, die mittels der Worterteilung an die Gefangenen unterlaufen werden soll. Die Charakteristika jenes Diskurses der Gefangenen, den er in einem Interview mit Gilles Deleuze als „contre-discours“8, nämlich als „discours contre le pouvoir“9, bezeichnet, kann man in L’ordre du discours bereits ex negativo bestimmen. Analog zur Praxis des G.I.P. – obwohl Foucault darauf insistiert, dass der G.I.P. von jeder seiner vorgängig publizierten theoretischen Abhandlungen zu distanzieren ist10 – richtet er sein Interesse auf den Kampf gegen die Ausschließungsprinzipien der Macht. Innerhalb jenes umfassenden externen Mechanismus der Exklusion, der Grenzziehung zwischen dem Wahren und dem Falschen, könnte in Anlehnung an die Trennung zwischen Vernunft und Wahnsinn eine zusätzliche ausschließende Kategorie gesetzt werden: die Opposition von Gesetzlichkeit und Kriminalität bzw. von Legalität und Illegalität. So zentriert Foucault 1971 in einem Interview sein Interesse auf ebendiese Fragestellung, also „celui du système pénal, de la manière dont une société définit le bien et le mal, le permis et le pas permis, le légal et l’illégal, la manière dont elle exprime toutes les infractions et toutes les transgressions faites à sa loi.“11 Das Phänomen der Transgression des Gesetzes im Zusammenspiel mit dem der Repression von Illegalität durch das Justizsystem eröffnet einerseits eine zeithistorisch bedingte Reflexion über die juristische Grenzziehung zwischen Verbot und Erlaubnis und durchdringt andererseits die Thematik der Diskursformation. Denn den Begriff der Transgression erstreckt er durch das Konzept des Gegen-Diskurses gleichsam auf den Gegenstand der Diskursivität, insofern er nämlich dadurch die Grenze zwischen Sagbarkeit und Unsagbarkeit reflektiert:
Dans Les Mots et les Choses, j’ai surtout étudié des nappes, des ensembles de discours. Dans L’Archéologie du savoir aussi. Maintenant, nouveau mouvement du pendule: je suis intéressé par les institutions et les pratiques, par ces choses en quelque sorte en dessous du dicible.12
Es geht Foucault folglich auch um die Aktivierung des Unsagbaren, das vom regulierenden Diskurs abfällt und auch nicht von diesem angeeignet werden kann.
An dieser Stelle bedarf es allerdings einer Differenzierung: Während Foucault in L’ordre du discours noch die Möglichkeit des grundsätzlich Gesagten in Dependenz zum diskursiven Regelwerk stellt, jenseits dessen keine Wissensverbreitung denkbar ist, zersetzt er unter Einfluss seines Engagements im G.I.P. diese nomische Enklave kurz darauf. Die Transgression des Sagbaren scheint Foucault offenbar in der Wortergreifung durch die Gefangenen realisiert. Jedoch muss hier zum einen kritisch eingewendet werden, dass die Gefangenen dazu mobilisiert wurden und eine Initiative höchstens von den politischen Gefangenen, d.h. also dem ohnehin sensibilisierten Teil der Insassen, ausging; und zum anderen muss das Verhältnis zwischen Sagbarem und Unsagbarem hinterfragt werden. In L’ordre du discours kristallisiert sich die Problematik dieser Relationalität in folgender Textpassage heraus: „Il se peut toujours qu’on dise le vrai dans l’espace d’une extériorité sauvage, mais on n’est dans le vrai qu’en obéissant aux règles d’une ‚police‘ discursive qu’on doit réactiver en chacun de ses discours.“13 Was Foucault an dieser Stelle undifferenziert als ‚wildes Außen‘ bezeichnet, wirft Fragen auf, die Christian Kupke überzeugend diskutiert.14 Wenn Kupke auch die Unmöglichkeit eines reinen Außen konstatiert, so spielt er doch verschiedene mögliche Grenzziehungen zwischen einem Diesseits und einem Jenseits des Diskurses durch. So gibt es also die Variante eines diskursiven Außen als quasi privilegierte Position, von der aus der nomische Diskurs überblickt werden kann, und die dazu invertierte Variante einer aus dem Inneren des Diskurses entspringenden spaltenden Perspektivierung. Beide Varianten werfen die Frage auf, inwieweit es überhaupt zu einer Transgression des Sagbaren kommen kann. Fasst man den Diskurs nämlich als zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt ausschließlich Sagbares auf, bleibt offen, wie jenes Unsagbare, ob als Außen oder als Innen des ordnenden Diskurses, im selben historischen Rahmen Ausdruck finden kann. Kupke eröffnet einen neuen Denkansatz, indem er
zwischen der reinen Möglichkeit, alles oder nur Unbestimmtes zu sagen, und der von dieser Möglichkeit durchdrungenen, sie implementierenden Wirklichkeit, nur etwas Bestimmtes zu sagen, das entweder der Gesamtheit aller Regeln folgt und sie heteronom reproduziert oder aber ihnen widerspricht und neue Regeln setzt15,
unterscheidet. Jenseits der Perspektivierung eines Innen oder eines Außen des Diskurses, reflektiert Kupke hier die Kategorie des ‚reinen Möglichen‘, wodurch grundsätzlich alles stets sagbar ist, jedoch durch den diskursiven Filter eines aktivierten Regelwerks als Unsagbares erscheint. Foucaults ‚wildes Außen‘ könnte vor diesem Hintergrund als jenes zur Immanenz des im Gesellschaftskörper implementierten Diskurses mögliches transzendentes Feld des Unsagbaren aufgefasst werden. Vergleichbar ist Kupkes Ansatz mit Jägers Opposition eines ‚konkreten‘ und eines ‚abstrakten Apriori‘, wobei das konkrete Apriori die historischen und sozialen Möglichkeitsbedingungen umfasst – Foucault verwendet hierfür den Begriff des Epistems – und das abstrakte Apriori als eine Möglichkeitsbedingung jenseits der tatsächlich historisch realisierten zu verstehen ist.16 Jedoch behandelt Jäger die beiden Apriori als Gegensätzlichkeit, während Kupke eine Verknüpfung gelingt. Denn erst durch die Anerkennung der der symbolischen Ordnung inhärenten Negation erklärt sich die Grenzverschiebung bzw. -überschreitung der erfahrbaren Ordnung.17 Durch Kupkes Schwerpunktsetzung auf die Dynamis sind auch die historischen Rahmenbedingungen des ordnenden Diskurses mit denen dessen, was Foucault als Gegen-Diskurs bezeichnet, zu vereinbaren. Betrachtet man das Unsagbare als immer potentiell Sagbares, so muss sich das historische Apriori als interferentielle Schnittstelle beider Diskursordnungen, der möglich-werdenden und der tatsächlichen, manifestieren.
Daraus erklären sich auch die Eigenschaften des Gegen-Diskurses, wie sie in L’ordre du discours als Negativum zu jenem regulierenden Diskurs vorliegen. Man findet hier vornehmlich folgende Charakteristika: die Ereignishaftigkeit sowie die Virulenz und Militanz. Durch die Kontrollmechanismen, die in Bezug auf den Diskurs das Ziel verfolgen „d’en conjurer les pouvoirs et les dangers, d’en maîtriser l’événement aléatoire“18, werden aber ebendiese Eigenschaften unschädlich gemacht. Ihre Wirkung sei entwaffnend19 und sie entsprängen einer
profonde logophobie, une sorte de crainte sourde contre ces événements, contre cette masse de choses dites, contre le surgissement de tous ces énoncés, contre tout ce qu’il peut y avoir là de violent, de discontinu, de batailleur, de désordre aussi et de périlleux20.
An der Bruchstelle des ordnenden Diskurses tritt eine all jene Eigenschaften vereinende Diskursform hervor, die durch die Ausschlussmechanismen gebändigt werden soll.
Vor der Folie der theoretischen Vorgaben in L’ordre du discours ist das Engagement des G.I.P. als Versuch einer Durchbrechung des institutionalisierten Diskurses im Bereich des Justizsystems zu bewerten. Durch die Produktion eines neuen Wissensdiskurses durch jenen als ‚Gegen-Diskurs‘ bezeichneten Diskurs gegen die Macht wird die Grenzziehung zwischen Sagbarem und Unsagbarem experimentiert. Das grundsätzlich mögliche Unsagbare wird durch die Worterteilung an die Gefangenen aktiviert, so dass es für Foucault zur Sichtbarmachung jener eruptiven Kraft kommt, die den konzeptuellen Kern seines radikalen Journalismus