Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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und der Vorgehensweise, ehe phonologische und grammatische Eigenschaften der gesammelten Kurzwortbelege ausgewertet werden und schließlich die Ergebnisse im Hinblick auf den Grad der Integration von Kurzwörtern in das jeweilige Sprachsystem der Untersuchungssprachen diskutiert werden. In Kapitel 2 wird zunächst der Untersuchungsgegenstand dargestellt und eine Typologie verschiedener Kurzworttypen vorgestellt, anhand derer sowohl die deutschen als auch die schwedischen Belege klassifiziert werden. Außerdem werden Kurzwörter von weiteren Phänomenen abgegrenzt, die in dieser Arbeit nicht behandelt werden. Schließlich folgt noch ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern, wobei besonderes Augenmerk auf die bislang wenig rezipierten schwedischen Arbeiten zur Kurzwortbildung gelegt wird. Dabei fällt auf, dass die in der deutschen Forschung verwendete Terminologie zwar nicht immer einheitlich ist, sich im Schwedischen dagegen bislang noch gar keine Kurzwortterminologie etablieren konnte, was auch daran liegt, dass das Phänomen der Kurzwortbildung im Schwedischen mitunter sehr unterschiedlich weit gefasst wird.

      Darauf folgt in Kapitel 3 eine Darstellung der genauen Vorgehensweise bei der Erstellung der Kurzwortkorpora, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Gleichzeitig werden erste Ergebnisse präsentiert, was die Häufigkeiten von Kurzwörtern insgesamt und die Verteilung einzelner Kurzworttypen in den Korpora angeht, wobei zentrale von weniger zentralen Kurzworttypen abgegrenzt werden. Der Großteil der Korpusauswertung erfolgt jedoch in den Kapiteln 4 und 5. Zunächst werden in Kapitel 4 phonologische Aspekte der in den Korpora enthaltenen Belege diskutiert, genauer gesagt die Silbenzahl und die Silbenstruktur, d.h. das Vorkommen von offenen und geschlossenen Silben. Dies führt zu der Feststellung, dass in den Kurzwortschätzen der Untersuchungssprachen tendenziell solche Strukturen bevorzugt werden, die einen Gegensatz zu den Lexemen der entsprechenden Normalwortschätze bilden. Diese Tendenz ist jedoch einzelsprachlich unterschiedlich stark ausgeprägt. Kapitel 5 widmet sich schließlich einem grammatischen Aspekt, nämlich der Pluralflexion, die besonders gut geeignet ist, um Unterschiede zwischen den Untersuchungssprachen und den Zusammenhang zwischen phonologischer Struktur und Pluralmarkierung aufzuzeigen. Hierzu werden die substantivischen Belege der Kurzwortkorpora ausgewertet und im Hinblick darauf untersucht, mit welchen Mitteln sie Plural markieren. Dabei zeigt sich, dass bei deutschen Kurzwörtern überwiegend andere Wege der Pluralmarkierung beschritten werden als im restlichen deutschen Sprachsystem. Statt des üblichen Reduktionssilbenplurals bilden deutsche Kurzwörter meist eine Pluralform mit dem Suffix -s. Bei dem Kurzworttyp der Buchstabierwörter wie LKW < Lastkraftwagen tritt außerdem eine weitere Besonderheit auf: Belege dieses Typs bilden häufig endungslose Pluralformen, was jedoch nicht dem im deutschen Pluralsystem bekannten Nullplural entspricht, sondern als Flexionslosigkeit, also eine Art Pseudo-Nullplural, einzustufen ist. Schwedische Kurzwörter nutzen zur Pluralmarkierung dagegen weitgehend die üblichen Mittel des schwedischen Pluralsystems und unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht wesentlich von anderen schwedischen Substantiven.

      In Kapitel 6 werden schließlich die Ergebnisse der Auswertungskapitel zusammengeführt. Die in den vorigen Kapiteln festgestellten Kontraste zwischen den Untersuchungssprachen lassen sich auf tiefer liegende Unterschiede zurückführen. Im Hinblick auf silbenstrukturelle Präferenzen beruhen die Gegensätze darauf, dass das Deutsche eher als Akzent- oder Wortsprache, das Schwedische jedoch eher als Silbensprache anzusehen ist, in beiden Sprachen jedoch im Kurzwortschatz ein gewisser Gegenpol zum Normalwortschatz geschaffen werden soll. Die unterschiedliche Art der Pluralflexion von Kurzwörtern wird als Indiz dafür gesehen, zu welchem Grad Kurzwörter und andere periphere Wortschatzeinheiten in das deutsche und schwedische Sprachsystem integriert werden. Zu diesem Zweck wird eine ausführliche Analogie zu der Behandlung von Fremdwörtern in den Untersuchungssprachen hergestellt, die zeigt, dass Fremdwörter, die wie auch Kurzwörter zur Peripherie des Wortschatzes zu rechnen sind, in beiden Sprachen ähnlich wie Kurzwörter behandelt werden. Sowohl Kurzwörter als auch Fremdwörter zeigen im Deutschen deutlich stärkere Unterschiede zu zentraleren Wortschatzeinheiten als im Schwedischen, sodass man von Tendenzen zur Isolation peripherer Wortschatzeinheiten im Deutschen und von Tendenzen zur Integration derselben im Schwedischen sprechen kann. Kapitel 7 fasst schließlich die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Aspekte zur Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen, deren Erforschung lohnenswert wäre. Im Anhang sind abschließend die Belege der Kurzwortkorpora aufgeführt.

      2. Gegenstand der Untersuchung

      Um eine fundierte Diskussion der Eigenschaften von deutschen und schwedischen Kurzwörtern zu ermöglichen, müssen zunächst natürlich einige grundlegende Punkte geklärt werden. Daher widmet sich dieses Kapitel der Darstellung des genauen Untersuchungsgegenstandes und der Erläuterung der in dieser Arbeit verwendeten Kurzworttypologie sowie einer Abgrenzung von verwandten Prozessen, ehe schließlich ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern erfolgt.

      2.1 Darstellung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

      Zwischen Kurzwörtern und anderen Wortbildungsprodukten wie Komposita, Derivaten oder Konversionsprodukten bestehen fundamentale Unterschiede: Während bei den Wortbildungsverfahren Komposition und Derivation der Komplexitätsgrad zunimmt und bei der Konversion zumindest erhalten bleibt, ist ein Kurzwort weniger komplex als seine Ausgangsform, die im Folgenden Vollform genannt wird. Des Weiteren findet bei der Kurzwortbildung weder ein Wortartwechsel statt noch entsteht anfangs eine neue Bezeichnung. Aufgrund dieser Besonderheiten der Kurzwortbildung wird sie von einigen Autoren1 auch nicht zur Wortbildung gerechnet (z.B. Nübling 2001:169f., Fleischer/Barz 2007:52, Ronneberger-Sibold 2007:276) oder als Sonderfall derselben eingestuft (z.B. Kobler-Trill 1994:20). In anderen Arbeiten wird Kurzwortbildung dagegen als eigener „Wortbildungstyp“ (Schippan 1963:63) aufgefasst. Es ist die Rede von „subtraktiver Wortbildung“ (Bellmann 1977:142 und Fleischer 2000:894), „Reduktion“ (Greule 1996:203) oder „reduzierende[n] Wortbildungsarten“ (Donalies 2007:95). Zur Wortbildung wird Kurzwortbildung unter anderem auch bei Polenz (1980:170), Barz (2006:720) und Römer/Matzke (2010:157) gezählt. Wie im Laufe dieser Arbeit gezeigt werden wird, können sich Kurzwörter außer in der Wortlänge durchaus in etlichen Punkten von ihren Vollformen unterscheiden, weshalb ich Kurzwörter als Wortbildungsprodukte und nicht nur als bloße Varianten ihrer Vollformen betrachte, auch wenn die Kurzwortbildung ein weniger prototypisches Wortbildungsverfahren als beispielsweise Komposition und Derivation darstellt.2

      Jedes Kurzwort wird aus einer längeren Vollform gebildet, die ein mehrsilbiges Lexem oder auch ein Syntagma wie dt. Gesellschaft mit beschränkter Haftung > GmbH oder schwed. automatisk databehandling > adb ‚elektronische Datenverarbeitung‘ sein kann. Aus dieser Vollform, die zumindest zum Zeitpunkt der Kurzwortbildung noch parallel zu dem betreffenden Kurzwort existiert, wird eine kürzere Form gebildet, die sich sowohl graphisch als auch lautlich von der längeren Vollform unterscheidet. Je nach Kurzworttyp können unterschiedliche Segmente der Vollform wie Buchstaben, Silbenteile, Silben oder Morpheme Bestandteil des Kurzworts werden. Die genaue Bildungsweise verschiedener Kurzworttypen in den Untersuchungssprachen wird in Kapitel 2.2 erläutert.

      Dass ein Kurzwort und seine Vollform zumindest anfangs parallel im Wortschatz existieren, bedeutet, dass zunächst ein Synonym der Vollform entsteht. Wie eng diese Synonymie zu verstehen ist, wird in der Literatur sehr unterschiedlich gesehen. Für einige Autoren gehört die Synonymie von Kurzwort und Vollform zwingend zur Definition eines Kurzworts, so auch in der spärlich vorhandenen Literatur zu schwedischen Kurzwörtern (Wessén 1958:19, Tekniska Nomenklaturcentralen 1977:45). Bei deutschen Autoren ist die Rede von „semantischen Dubletten“ (Kobler-Trill 1994:20) und „Kurzwortvarianten“ (Bellmann 1980:374), die an Stelle der Vollform gebraucht werden können. Weber (2002:457) ist dagegen der Ansicht, ein Beharren auf eine mögliche Variation mit der Vollform enge „den Gegenstand unzweckmäßig ein, weil sie die semantisch interessanteren Fälle von vornherein ausklammert“. Michel (2011:159) nimmt wiederum ein Kontinuum zwischen totaler und partieller Synonymie von Kurzwort und entsprechender Vollform an, wobei die letztere laut Michel überwiegt. Die meisten Autoren gehen davon aus, dass sich Kurzwort und Vollform zumindest im Hinblick auf Konnotationen unterscheiden und daher auch nicht in allen Kontexten austauschbar sind. Völlige Synonymie zwischen Kurzwort und Vollform, die nicht nur den semantischen