Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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Meinungen über den genauen Grad der anzunehmenden Synonymie auseinandergehen, herrscht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass zwischen einem Kurzwort und seiner Vollform gewisse funktionale Unterschiede bestehen, sodass beide Formen eben nicht in sämtlichen Kontexten problemlos austauschbar sind.

      In der Diskussion um die Synonymie von Kurzwort und Vollform wird meines Erachtens zu wenig berücksichtigt, dass das Verhältnis eines Kurzworts zu seiner Vollform nicht statisch, sondern dynamisch ist, worauf bereits Hofrichter (1977:19) hinweist. Wie alle Wortschatzeinheiten unterliegen sowohl Kurzwörter als auch ihre Vollformen einem gebrauchsbedingten Wandel (vgl. z.B. Bellmann 1980:380), d.h. die Inhaltsseite eines Kurzworts und/oder seiner Vollform kann sich durch einen bestimmten Sprachgebrauch oder zusätzliche Konnotationen verändern3, was auch die Synonymie zwischen den beiden Wortschatzeinheiten verändern bzw. sogar auflösen kann. Eine mögliche Verdrängung der Vollform, wie sie im Deutschen beispielsweise bei Kino < Kinematograph und im Schwedischen nahezu bei bil < automobil erfolgt ist, wird auch von diversen Autoren angesprochen (vgl. z.B. Pohl 1991, Schröder 2000:97f., Weber 2002) und wäre durchaus eine eigene, groß angelegte diachrone Untersuchung wert. Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit jedoch auf phonologischen und grammatischen Gesichtspunkten liegt, kann eine ausführliche Diskussion semantischer Aspekte der Kurzwortbildung in diesem Rahmen nicht erfolgen.

      Gerade bei Eigennamen ist häufig zu beobachten, dass sich der Bezug der Kurzform4 zu seiner Langform auflöst. In etlichen Fällen ist die Vollform gar nicht mehr in Gebrauch, wie etwa bei dt. DEKRA < Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungsverein. Nicht einmal die DEKRA selbst verwendet heutzutage noch die Vollform ihres Namens. In diesem Fall hat außerdem ein Genuswechsel vom Maskulinum zum Femininum stattgefunden, was ein weiteres Indiz für die Verselbständigung dieser Kurzform ist. In einigen Fällen hat die Kurzform sogar eine Änderung der Vollform überdauert. So wurde die Organisation REFA 1924 als Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung gegründet. Im Lauf der Jahre wurde der Verband mehrfach umbenannt, die Kürzung REFA jedoch beibehalten. Seit 1995 lautet der vollständige Name REFA – Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e.V. und enthält demnach keinen Verweis mehr auf die ursprüngliche Vollform der Kürzung. Eine ähnliche Situation liegt bei dem schwedischen Beleg AMF < arbetsmarknadsförsäkring ‚schwed. Versicherung‘ vor. Die Vollform ist außer Gebrauch gekommen und der offizielle Name des Versicherungsunternehmens lautet inzwischen AMF Pensionsförsäkring AB. Solche Belege, bei denen synchron keinerlei Beziehung mehr zwischen Kurz- und Vollform festzustellen ist, wurden nicht in die Belegsammlung aufgenommen. In anderen Fällen ist dagegen der Bezug zur Vollform noch nicht völlig verblasst; derartige Belege wurden berücksichtigt, auch wenn davon auszugehen ist, dass die Relation zur Vollform irgendwann ganz verschwinden wird. Wie bei der Diskussion des Grades der Synonymie zwischen Kurzwort und Vollform bereits angeklungen ist, nehme ich generell an, dass die Beziehung eines Kurzworts zu seiner Vollform dynamisch und einem stetigen Wandel unterworfen ist. Einzelne Kurzwortbelege befinden sich demnach an unterschiedlichen Punkten auf einer Skala zwischen enger und völlig gelöster Beziehung zu ihrer Vollform. Eine detaillierte und systematische Darstellung solcher Loslösungsprozesse bleibt aktuell jedoch ein Desiderat für künftige Arbeiten mit einer stärkeren diachronen Ausrichtung.

      Eigennamen werden in früheren Arbeiten zur Kurzwortbildung unterschiedlich behandelt. Nübling (2001:170) schließt diese z.B. explizit aus ihrer Betrachtung aus und konzentriert sich lediglich auf „Appellativa, die von reduktiven Techniken Gebrauch machen“. Andere Autoren wie Vieregge (1983), Greule (1996), Schröder (2000) oder Steinhauer (2007) untersuchen jedoch auch Eigennamen. Ronneberger-Sibold (1992:24) weist darauf hin, dass die Sprachbenutzer im Fall von Eigennamen nur eine geringe Freiheit haben, eine Kürzung zu akzeptieren oder zu verändern, da durch die Präsenz des Eigennamens in den Medien etc. „ein gewisser normativer Zwang“ bestehe. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in den jeweiligen Einzelsprachen für Eigennamen und Appellativa dieselben Kürzungstechniken zur Verfügung stehen. Im Laufe dieser Arbeit zeigt sich, dass bei sämtlichen Kurzworttypen tatsächlich sowohl appellativische als auch propriale Belege vorkommen, bei der Verteilung jedoch starke Frequenzunterschiede bestehen.

      Zwischen Eigennamen und Appellativa besteht ein wesentlicher Funktionsunterschied. Während Appellativa das Objekt, auf das sie referieren, gleichzeitig beschreiben, identifizieren Eigennamen es nur. Da Eigennamen keine Bedeutung oder lexikalische Semantik haben, referieren sie direkt und eindeutig auf den Namenträger (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012:28–38). Diese Unterschiede zwischen Eigennamen und Appellativa machen eine gesonderte Betrachtung sinnvoll, weshalb Eigennamen bei der Erstellung der Korpora als solche gekennzeichnet und in die Belegsammlungen aufgenommen wurden. Die in den deutschen und schwedischen Zeitungskorpora belegten Eigennamen sind überwiegend den Namenklassen der Objektnamen und Personennamen (z.B. dt. Schweini < Bastian Schweinsteiger, schwed. Bäckis < Nicklas Bäckström) zuzurechnen. Zu den Objektnamen zählen vor allem Namen von Unternehmen und Institutionen (z.B. dt. DJB < Deutscher Judo-Bund, schwed. ABF < Arbetarnas bildningsförbund). Aus Platzgründen liegt der Schwerpunkt der Analysen in den folgenden Kapiteln allerdings in erster Linie auf den Appellativa; es wird jedoch auch immer ein kurzer Ausblick auf die Situation bei den Eigennamen gegeben.

      Die bisherige Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern wird in Kapitel 2.4 diskutiert. Eine längere, sprachvergleichende Untersuchung zur Kurzwortbildung in den beiden Sprachen liegt bislang allerdings noch nicht vor. Lediglich die kürzeren Arbeiten von Nübling (2001), Wahl (2002) und Nübling/Duke (2007) beschäftigen sich erstmals mit einem Vergleich deutscher und schwedischer Kurzwörter.5 Einige der in diesen Texten angesprochenen Punkte sollen in der vorliegenden Arbeit auf der Basis einer empirischen Grundlage ausführlich betrachtet werden. Durch die kontrastive Betrachtungsweise können einzelsprachliche Besonderheiten, was den Umgang der Untersuchungssprachen mit Kurzwörtern oder auch weiteren peripheren Lexikoneinheiten angeht, besser herausgearbeitet werden.

      2.2 Typologie deutscher und schwedischer Kurzwörter

      Ehe in Kapitel 2.3 das Phänomen der Kurzwortbildung von verwandten Phänomenen abgegrenzt wird und in Kapitel 2.4 ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern gegeben wird, soll zunächst die in dieser Arbeit verwendete Kurzworttypologie vorgestellt werden. Da bei der Diskussion der bisherigen Kurzwortforschung immer wieder einzelne Kurzworttypen zur Sprache kommen werden, ist es sinnvoll, dem Forschungsüberblick und der Abgrenzung des Phänomens eine Diskussion der einzelnen Kurzworttypen voranzustellen, sodass die in dieser Arbeit verwendete Terminologie geklärt ist und sich etwaige abweichende Einteilungen anderer Autoren besser einordnen lassen. Da sich besonders die deutsche Kurzwortforschung sehr intensiv mit Kurzworttypologien befasst hat, sind die Diskussion der Klassifikation und der dazu erfolgten Forschung natürlich eng miteinander verzahnt, wodurch sich einzelne Doppelungen nicht ausschließen lassen.

      Was die Klassifizierung von Kurzwörtern betrifft, herrscht in der Forschungsliteratur keine Einigkeit. Im Wesentlichen lassen sich zwei Ansätze mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung unterscheiden, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Dem ersten Ansatz folgen für das Deutsche Autoren wie Bellmann (1980), Kobler-Trill (1994), die in ihren Arbeiten eine sehr differenzierte und komplexe Typologie der unterschiedlichen Typen von Kurzwörtern erstellt, und Fleischer/Barz (2007). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie vom Verhältnis von Kurz- und Vollform ausgehen und primär zwischen uni- und multisegmentalen Kurzwörtern unterscheiden, wobei Erstere aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, Letztere aus mehreren diskontinuierlichen Elementen bestehen. Unisegmentale Kurzwörter werden weiter danach untergliedert, welcher Teil der Vollform als Kürzung erhalten bleibt und bilden dementsprechend Kopfwörter, Rumpfwörter und End- oder Schwanzwörter. Multisegmentale Kurzwörter werden häufig danach klassifiziert, welcher Art die aus der Vollform entnommenen Elemente sind, ob es sich beispielsweise um Initialen oder Silbenteile handelt, und danach, ob die Kurzwörter als Buchstabenfolge oder lautlich gebunden ausgesprochen werden. Zu kritisieren ist bei solchen Ansätzen vor allem die uneinheitliche Vorgehensweise, da für ein- und dieselbe Ebene der Hierarchie unterschiedliche Kriterien Anwendung finden. Bei unisegmentalen Kurzwörtern ist beispielsweise die Position in der Vollform