Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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      Tabelle 4: deutsche und schwedische Lautinitialwörter

      In einigen Fällen wird nicht nur ein Anfangsbuchstabe, sondern ein etwas größerer Teil der Vollform übernommen. So wird etwa bei dt. AStA < Allgemeiner Studentenausschuss die silbeninitiale Konsonantenverbindung <st> übernommen.2 Dadurch bleibt der Zusammenhang zur Vollform besser erhalten, was bei der schriftlichen Kommunikation dem Leser die Verarbeitung erleichtert. Bei Belegen wie DEFA < Deutsche Film-AG wird neben reinen Initialen auch eine initiale Verbindung aus zwei Graphemen in die Kurzform übernommen, um deren Aussprechbarkeit als Lautinitialwort zu gewährleisten.3 Einen Sonderfall stellt der deutsche Beleg Dax < Deutscher Aktienindex dar. Hier gehen die Initialen der ersten beiden Morpheme der Vollform in das Kurzwort ein; statt der dritten Initiale enthält die Kurzform jedoch das finale Graphem <x>. Dadurch erhält das Lautinitialwort eine geschlossene statt eine offene Silbe. Es ist jedoch anzunehmen, dass in erster Linie die prägnantere Gestaltung des Schriftbilds ausschlaggebend für diese Bildungsweise war. Möglicherweise soll <x> Technik und Fortschritt evozieren.

      Im Schwedischen werden Lautinitialwörter in der Regel wie auch Buchstabierwörter „initialord/initialförkortningar“4 oder „akronymer“5 genannt. Meist wird begrifflich nicht zwischen Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern differenziert. Interessanterweise spricht Laurén (1972:7) für das Schwedische nur bei Lautinitialwörtern von Akronymen: „akronymerna, dvs. initialord, där bokstavsföljden kan läsas som ett ord“6 und betont: „Man bör ytterligare observera att akronymer egentligen inte är liktydigt med initialord, utan endast en underavdelning av dem.“7 (3) Lauréns Kategorisierung dieser Kurzworttypen ist damit genau gegensätzlich zu der in dieser Arbeit vorgenommenen. Während bei ihm ein Akronym ein Untertyp eines Initialworts ist, ist in dieser Arbeit Akronym der Oberbegriff, unter dem verschiedene Arten von Initialwörtern zusammengefasst werden.

      Durch die gebundene Aussprache beansprucht im Gegensatz zu den Buchstabierwörtern nicht jede aus der Vollform entnommene Initiale eine eigene Silbe, sodass hier Kurzwortbildungen mit einer geringeren Silbenzahl als im Fall der Buchstabierwörter entstehen. So sind auch einsilbige Lautinitialwörter möglich, während es zumindest im Deutschen keine einsilbigen Buchstabierwörter gibt, die aus nur einer Initiale bestehen müssten. Diese sind im Schwedischen belegt, aber auf die Parteinamen beschränkt (siehe dazu Kapitel 4.1.2). Bei einigen deutschen Kurzwörtern ist eine alternative Aussprache als Buchstabierwort oder als Lautinitialwort möglich, beispielsweise bei RAF < Rote Armee Fraktion oder FAZ < Frankfurter Allgemeine Zeitung. Für das Schwedische sind mir keine derartigen Beispiele bekannt.

      Durch den Typ der Lautinitialwörter können beabsichtigt oder unbeabsichtigt Homonymien zu Lexemen des Normalwortschatzes entstehen, so beispielsweise dt. ERNA < Eigene Rufnummer-Ansage, was gerade bei Produkt- und Unternehmensnamen ein gern genutztes Mittel ist.

      2.2.1.3 Silbeninitialwörter

      Als letzte Untergruppe der Akronyme sind schließlich die Silbeninitialwörter zu nennen, die anders als die anderen Akronymtypen primär in der gesprochenen Sprache entstehen. Dabei wird das Kurzwort aus mehreren initialen Silben (z.B. dt. Kripo < Kriminalpolizei) oder Silbenteilen (dt. Schiri < Schiedsrichter) von verschiedenen Konstituenten der Vollform gebildet. In manchen Fällen werden auch Teile übernommen, die etwas mehr als eine Silbe umfassen (z.B. dt. Europol < Europäisches Polizeiamt, schwed. komvux < kommunal vuxen­utbildning ‚kommunale Erwachsenenbildung‘).1 Im Deutschen ist dieser Typ auf verschiedenen sprachlichen Ebenen sehr produktiv und erzeugt neben vielen Augenblicksbildungen wie Wama < Waschmaschine auch eine Vielzahl von Eigennamen wie Kikuwe < Kinder-Kultur-Werkstatt und Beki < Landesinitiative Bewusste Kinderernährung. Ein Blick auf die schwedischen Daten ergibt jedoch ein anderes Bild. Hier finden sich nur sehr wenige Belege nach diesem Bildungsmuster. Dennoch sind Silbeninitialwörter kein „ausschließlich deutsches Phänomen“, wie Nübling (2001:173) meint. Die Frequenz der Silbeninitialwörter ist im Schwedischen zwar sehr niedrig; das Vorkommen der Belege zeigt jedoch, dass die Bildung dieses Kurzworttyps nicht per se unmöglich ist, sondern lediglich andere Bildungen präferiert werden. Etwas vorsichtiger formuliert Wahl (2002:49) und spricht von einer „Randerscheinung“ im Schwedischen. Die geringe Verbreitung dieses Typs im Schwedischen dürfte der Grund dafür sein, dass es keinen speziellen Terminus für diesen Kurzworttyp gibt, sondern Belege dieser Art von Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“2 aufgeführt werden. Damit fasst Laurén Silbeninitialwörter nicht als als eigenständigen Kurzworttyp mit eigener Bildungsweise auf, sondern als Ausnahme, bei der mehrere der regulären Kürzungsverfahren kombiniert werden.

      Bei der Bildung von Silbeninitialwörtern scheint es in noch höherem Maße als bei den Buchstabier- und Lautinitialwörtern von der phonologischen Struktur abzuhängen, welche Teile der Vollform letztlich Eingang in das Kurzwort finden.

deutsche Silbeninitialwörterschwedische Silbeninitialwörter
Kita < Kindertagesstätteflextid < flexibel arbetstid ‚flexible Arbeitszeit‘
Juso < Jungsozialistgenrep < generalrepetition ‚Generalprobe‘
Mofa < Motorfahrradkombo < kompisboende ‚Mitbewohner‘
Trafo < Transformatorsäpo < säkerhetspolisen ‚schwed. Nachrichtendienst‘

      Tabelle 5: deutsche und schwedische Silbeninitialwörter

      2.2.2 Kurzwörter im engeren Sinne

      Zu den Kurzwörtern im engeren Sinne zählen bei Nübling (2001:172) Kopfwörter, Endwörter und diskontinuierliche Kurzwörter. Bei Kopf- und Endwörtern handelt es sich um unisegmentale Kurzwörter, die aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform bestehen. Der Typ der diskontinuierlichen Kurzwörter ähnelt diesen Typen im Output sehr, weshalb er vermutlich schon bei Ronneberger-Sibold (1992:8) zur selben Obergruppe gezählt wird. In der Bildungsweise unterscheidet er sich dadurch, dass das Kurzwort nicht nur aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, sondern aus mehreren diskontinuierlichen Teilen besteht. Im Bezug auf die Bildungsweise ist die Gruppe der Kurzwörter im engeren Sinne also heterogen. Die Gestalt der einzelnen Typen weist jedoch große Ähnlichkeiten auf, weshalb sie im Sinne einer Typologie, die auch den Output berücksichtigt, zu einer Kurzwortgruppe zusammengefasst werden.

      Eine hohe Übereinstimmung besteht auch zwischen der phonologischen Struktur von Kopfwörtern und Silbeninitialwörtern. In Kapitel 4 zeigt sich, dass unterschiedliche Verfahren der Kurzwortbildung ähnliche Outputs erzeugen. Welches Kürzungsverfahren im Einzelfall zur Anwendung kommt, scheint also von Material und Struktur der Vollform abzuhängen, lässt sich aber nicht immer abschließend klären.

      Aufgrund ihrer einfacheren Bildungsweise sind Kurzwörter i.e.S. nicht zwangsläufig auf eine schriftliche Vorlage angewiesen, sondern können auch im mündlichen Sprachgebrauch entstehen. Häufig sind sie stark nähesprachlich im Sinne von Koch/Oesterreicher (1985).

      2.2.2.1 Kopfwörter

      Der weitaus häufigste Typ der Kurzwörter im engeren Sinne sind Kopfwörter. Sie entstehen durch eine Art Apokope, d.h. das hintere Segment der Vollform fällt ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen weg. Das Kurzwort besteht also aus dem kontinuierlichen verbleibenden Anfangsteil. In beiden Untersuchungssprachen können sowohl Eigennamen wie dt. Katha < Katharina oder schwed. Carro < Carolina – oft Rufnamen in hypokoristischer Funktion oder Toponyme – als auch Appellativa auf diese Weise gekürzt werden (siehe Tabelle 6).

deutsche Kopfwörterschwedische Kopfwörter
Kö < KönigsalleeÅtvid < Åtvidabergs Fotbollförening
Abo < Abonnementcigg < cigarett
Mathe < Mathematiktemp < temperatur
Navi < Navigationsgerätvicka < vikariera ‚vertreten‘

      Tabelle 6: deutsche und schwedische Kopfwörter

      Formale