Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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auch Fälle, in denen sich der akronymische Teil einer Kürzung auch mit weiteren Morphemen zu einem Kompositum verbinden kann, z.B. dt. SB-Bäcker, SB-Tankstelle; schwed. e-faktura ‚elektronische Rechnung‘, e-deklaration ‚elektronische Steuererklärung‘.

      In der schwedischen Literatur werden Kürzungskomposita sehr unterschiedlich behandelt. Laurén (1972:13f.) weist ihnen einen Status zwischen Initialwörtern und Kurzwörtern zu und bezeichnet sie als „falska initialord“2. Bei Laurén (1976:309f.) ist dann jedoch die Rede von durch „medial reduktion“3 entstandenen „blandformer“ oder „blandord“4. Bei anderen Autoren fallen Kürzungskomposita unter die Initialwörter (z.B. Josefsson 2001, Teleman/Hellberg/Andersson 1999) oder werden gar nicht erwähnt (z.B. Hultman 2003). Svenblad (2003:XIII) spricht dagegen von „sammansättningar“5, da er ein Kürzungskompositum nicht als Einheit, sondern als Kompositum aus einer Kürzung und einem weiteren Lexem betrachtet.

      2.2.3.3 Gebundene Kürzungen

      Mit den Kürzungskomposita eng verwandt sind die gebundenen Kürzungen, die ebenfalls nicht frei vorkommen. Bei einer gebundenen Kürzung wird „das Erstglied oder ein präponiertes Adjektiv kopfwortartig reduziert und mit dem Zweitglied fest kombiniert“ (Nübling 2001:182), wobei die zugrunde liegende Vollform nicht zwingend ein Kompositum sein muss. In einigen Fällen erfolgt die Bildung der gebundenen Kürzung nicht kopfwortartig, sondern nach dem Muster der Silbeninitialwörter (dt. Schuko- < Schutzkontakt) oder diskontinuierlichen Kurzwörter (dt. Fla-Panzer < Flugabwehrpanzer). Die meisten gebundenen Kürzungen sind nicht auf ein bestimmtes Zweitglied festgelegt, sondern können sich mit unterschiedlichen Morphemen verbinden. Dies unterscheidet sie von den Kürzungskomposita, die in der Regel fest an ein bestimmtes Zweitglied gebunden sind. Da es allerdings bei beiden Typen Ausnahmen gibt, d.h. Kürzungskomposita mit unterschiedlichen Zweitgliedern und gebundene Kürzungen mit festem Zweitglied existieren, eignet sich dieses Kriterium nicht für eine definitorische Abgrenzung dieser beiden Typen. In der bisherigen Kurzwortforschung wurden diese nicht-prototypischen Kürzungskomposita und gebundenen Kürzungen und die mit ihnen verbundene Abgrenzungsproblematik bislang jedoch kaum thematisiert. In dieser Arbeit werden Kürzungskomposita und gebundene Kürzungen also nur durch ihre Bildungsweise und nicht durch ihre Distribution voneinander unterschieden: Kürzungskomposita entstehen nach dem Muster der Buchstabierwörter, gebundene Kürzungen werden dagegen wie Kopfwörter, in manchen Fällen auch wie Silbeninitialwörter oder diskontinuierliche Kurzwörter gebildet. Gemeinsam ist beiden Typen, dass der gekürzte Teil nicht frei vorkommen kann.

      Zwischen gebundenen Kürzungen und Konfixen bestehen gewisse Ähnlichkeiten, da beide semantischen Gehalt haben und nicht frei vorkommen können. Wie bei der Abgrenzung beider Phänomene in Kapitel 2.3 ausführlich dargelegt werden wird, werden Konfixe in dieser Arbeit nicht als Kurzwörter betrachtet, auch wenn die Grenzziehung im Einzelfall schwierig sein kann. Der Unterschied liegt darin, dass eine gebundene Kürzung auf eine Vollform zurückgeführt werden kann und zumindest anfangs in einer lexikalischen Variation zu derselben steht, während die Wortbildung mit Konfixen direkt und ohne die Zwischenstufe einer Vollform erfolgt.1

      Belege für den Kurzworttyp der gebundenen Kürzungen finden sich in beiden Sprachen (siehe Tabelle 11), wenngleich dieser Typ im Schwedischen etwas häufiger ist als im Deutschen.2 Die wenigen Beispiele für gebundene Kürzungen, die Laurén (1976) für das Schwedische nennt, werden unter „medial reduktion“3 eingeordnet.

deutsche gebundene Kürzungenschwedische gebundene Kürzungen
Ku'damm < Kurfürsten (Kurfürstendamm)psykförsvaret < psykologiska försvaret ‚psychologische Verteidigung‘
Iso- < Isolier (z.B. Isomatte)eko- < ekonomisk (z.B. ekobrott ‚Wirtschaftskriminalität)‘
Pharma- < pharmazeutisch (z.B. Pharmaindustrie)fys- < fysisk (z.B. fystränare ‚Fitnesstrainer‘)
Schuko – < Schutzkontakt (z.B. Schukostecker)rea- < reaktions (z.B. reaplan ‚Düsenflugzeug‘)

      Tabelle 11: deutsche und schwedische gebundene Kürzungen

      In letzter Zeit lässt sich im Deutschen vermehrt beobachten, dass ehemals gebundene Kürzungen wie Schoko < Schokolade nun auch frei vorkommen. Scheller-Boltz (2008) analysiert dieses Phänomen anhand des Belegs bio als ein paralleles Vorkommen von gleichlautenden Konfixen und frei vorkommenden Kurzwörtern. Möglich ist stattdessen allerdings auch eine Analyse, wonach ein Kurzwort die Kurzwortklasse wechselt und aus einer gebundenen Kürzung ein Kopfwort wird. So weist beispielsweise Steinhauer (2000:38) darauf hin, dass Reha < Rehabilitation nicht mehr nur als Erstglied in Komposita wie Rehazentrum vorkommen, sondern auch allein stehen kann. Es dürfte lohnenswert sein, diese Tendenz zur Eigenständigkeit gebundener Kürzungen bei der zukünftigen Forschung im Blick zu behalten. Es ließe sich sogar spekulieren, ob gebundene Kürzungen bei häufigem Gebrauch automatisch zu freien Morphemen werden und diese Kategorie somit eine Art Übergangskategorie darstellt.

      Die Tatsache, dass gebundene Kurzwörter nur in Verbindung mit einem Zweitglied vorkommen können, macht sie wie auch die Kürzungskomposita zu Sonderfällen der Kurzwortbildung, die keine prototypischen Vertreter der Kurzwörter sind, sondern sich am Rand dieses Phänomens bewegen.

      2.2.3.4 Elliptische Kürzungen

      Wie bei Kopf- und Endwörtern bleiben bei dem in beiden Untersuchungssprachen produktiven Kurzworttyp der elliptischen Kürzungen kontinuierliche Anfangs- bzw. Endsegmente der Vollform erhalten, weshalb sie zuweilen unter Kopfwörter und Endwörter subsumiert werden (z.B. bei Vieregge 1978, Wahl 2002 und Fleischer/Barz 2007). In einem wichtigen Punkt unterscheiden sie sich jedoch von diesen Kurzwörtern i.e.S.: Die Bildung von elliptischen Kürzungen erfolgt nicht in erster Linie nach phonologischen, sondern nach morphologischen Kriterien. Die zugrunde liegende Vollform, in der Regel ein Kompositum, wird stets auf ein Morphem gekürzt. Dies kann das Erst- oder Zweitglied der Vollform sein (dt. Blei < Bleistift, Rad < Fahrrad; schwed. flyg < flygplan ‚Flugzeug‘, skiva < grammofonskiva ‚Schallplatte‘ und weitere propriale und appellativische Beispiele in Tabelle 12). Diese von Kurzwörtern i.e.S. abweichende Bildungsweise spricht dafür, elliptische Kürzungen gesondert zu erfassen und sie der Gruppe der Sonderfälle zuzuordnen. Des Weiteren werden durch elliptische Kürzung keine neuen Wortwurzeln geschaffen, sondern es finden lediglich bisher gebundene Wurzeln eine freie Verwendung (vgl. Nübling 2001:183 und Ronneberger-Sibold 1992:14f.).1

      Die Abgrenzung von elliptischen Kürzungen und Kopfwörtern ist nicht immer eindeutig, da sich z.B. bei Entlehnungen selten nachweisen lässt, ob den Sprachbenutzern die fremdsprachlichen Morphemgrenzen bewusst sind. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass naive Sprachbenutzer diesbezüglich weitgehend unkundig sind, es sei denn, das getilgte Morphem wird im Deutschen bzw. Schwedischen ebenfalls frei verwendet. Fälle wie das deutsche bi < bisexuell werden daher als elliptische Kürzungen betrachtet, da sexuell im Deutschen ein freies Morphem ist. Belege wie Piano < Pianoforte, bei denen das getilgte fremdsprachliche Morphem forte nicht zum Inventar freier Morpheme des Deutschen gehört, werden hingegen zu den Kopfwörtern gezählt.

deutsche elliptische Kürzungenschwedische elliptische Kürzungen
Union < Christlich Demokratische Union DeutschlandsModerna < Moderna museet
Hort < Kinderhortdricks < drickspengar ‚Trinkgeld‘
Nicki < Nickipulloverkort < vykort ‚Ansichtskarte‘
Pille < Antibabypilletermos < termosflaska ‚Thermosflasche‘

      Tabelle 12: deutsche und schwedische elliptische Kürzungen

      In der schwedischen Kurzwortliteratur wird nicht zwischen elliptischen Kürzungen und Kopf- und Endwörtern differenziert. Entsprechende Belege, die nach der hier verwendeten Einteilung zu elliptischen Kürzungen zählen würden, werden wie auch Kurzwörter i.e.S. als „kortord“ oder „ellipsord“2 bezeichnet. Auch in der Typologie von Laurén (1976) werden elliptische Kürzungen zusammen mit Kopf- bzw. Endwörtern unter „final“ bzw. „initial reduktion“3