Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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im Grad der Erforschung der Kurzwortbildung wird in dieser Arbeit dazu genutzt, um die durch die vielfältige Kurzwortforschung im Deutschen gewonnenen Erkenntnisse auf das Schwedische zu übertragen. Für deutsche Kurzwörter existierende Termini und Klassifikationen werden daher auch auf schwedische Kurzwörter ange­wendet. Damit wird zum einen eine einheitliche Terminologie für Sachverhalte im Schwedischen geschaffen, was bislang vermisst wurde, zum anderen sind identische Begriffe unerlässlich, um einen Vergleich zweier Sprachen überhaupt zu ermöglichen.

      2.4.1 Forschung zu deutschen Kurzwörtern

      Grundlegend für die neuere Forschung zur Kurzwortbildung im Deutschen ist Henrik Bergstrøm-Nielsens Artikel von 1952 „Die Kurzwörter im heutigen Deutsch“. Darin erfolgt statt einer bis dahin vorherrschenden lediglich sprachstilistischen Kritik eine der ersten sachlichen Untersuchungen des Phänomens. Aufbauend auf der in Kapitel 2.3 bereits erörterten Unterscheidung zwischen auf die Schrift beschränkten Abkürzungen und Kurzwörtern, die auch eine lautliche Kürzung aufweisen, differenziert Bergstrøm-Nielsen die Kurzwörter weiter und teilt sie in vier Typen ein, die er ausführlich bespricht und unter anderem unter den Aspekten Orthografie, Genus, Flexion, Artikelgebrauch und Wortbildungsmöglichkeiten betrachtet. Damit stellt sein Artikel eine sehr ausgewogene Arbeit dar, die das Phänomen der Kurzwortbildung von vielen Seiten beleuchtet. Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit berücksichtigt Bergstrøm-Nielsen jedoch auch Kunstwörter wie Persil < Perborat + Silikat und Osram < Osmium + Wolfram. Eine zum Entstehungszeitpunkt der Kürzung tatsächlich vorhandene Vollform scheint für ihn kein Kriterium für die Wertung eines Belegs als Kurzwort gewesen zu sein; sein Kurzwortbegriff ist also deutlich weiter gefasst als in der vorliegenden Arbeit.

      Zu deutschen Kurzwörtern sind bislang fünf Dissertationen erschienen, die das Phänomen der Kurzwortbildung aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Schwerpunkten beleuchten. Es handelt sich dabei um Hofrichter (1977), Vieregge (1978), Kobler-Trill (1994), Steinhauer (2000) und Balnat (2011). Die erste Dissertation über Kurzwörter im Deutschen war Werner Hofrichters Arbeit „Zu Problemen der Abkürzung in der deutschen Gegenwartssprache“ (Hofrichter 1977). Im Titel klingt bereits an, dass Hofrichters Interesse über Kurzwörter an sich hinausgeht. Abkürzung ist für ihn der Oberbegriff für sämtliche gekürzten Formen, ob sie nun graphisch und lautlich oder nur graphisch gekürzt sind (12). Kurzwörter sind für ihn „ihrer Herkunft nach Abkürzungen“ (34), die jedoch „auf Grund lautlicher, semantischer und morphologischer Besonderheiten“ eine Zwischenstellung zwischen Abkürzungen und Vollformen einnehmen. In Hofrichters Arbeit kann man einen Versuch sehen, alle relevanten Aspekte der Kurzwortbildung zu bearbeiten: Von einer Klassifikation der Abkürzungen über Morphologie und Semantik thematisiert Hofrichter viele interessante Aspekte, wobei er jedoch aufgrund der Abgrenzung seines Untersuchungsgegenstands stets auch reine Schriftkürzungen im Blick hat. Hofrichter erarbeitet eine gründliche und systematische Klassifikation für Kurzwörter und Abkürzungen, die jedoch wenig intuitiv ist und zu sehr komplizierten Ergebnissen führt. Die Klassifikation erfolgt auf mehreren Ebenen: Zunächst werden prozess-orientiert, d.h. nach der Bildungsweise, verschiedene Abkürzungstypen wie linear, nicht-linear etc. unterschieden. Erst als zweites Kriterium folgt die Existenz einer eigenen Lautform. Bergstrøm-Nielsens grundlegende Unterscheidung zwischen Kurzwörtern und Abkürzungen spielt also für Hofrichter durchaus eine Rolle, allerdings ist die Existenz einer gekürzten Lautform nur ein Kriterium unter vielen. Schließlich wird bei Hofrichter noch nach Getrennt- oder Zusammenschreibung und Groß- oder Kleinschreibung differenziert. Abkürzungen mit gleichen Merkmalen fasst Hofrichter zu sogenannten Kombinationsklassen zusammen, die er mit unterschiedlichen Kennzeichnungen für die verschiedenen Klassifikationsebenen versieht. Dies liefert ihm Kennzeichnungen wie 1.1 A I a für ein Buchstabierwort wie Lkw < Lastkraftwagen (64). Diese Art der Klassifikation ist zwar sehr präzise, aufgrund der sehr sperrigen Kennzeichnungen aber für die konkrete Kurzwortdiskussion kaum nutzbar.

      Ein Jahr nach Hofrichters Arbeit erschien die Dissertation von Werner Vieregge mit dem Titel „Aspekte des Gebrauchs und der Einordnung von Kurz- und Kunstwörtern in der deutschen Sprache – eine Analyse mit Hilfe einer EDV-Anlage“ (Vieregge 1978). Darin sieht Vieregge Abkürzungen als Oberbegriff für reine Schriftkürzungen, Maßeinheiten, Kurzwörter sowie Kunstwörter. Er differenziert zwar zwischen Kurzwörtern und Kunstwörtern, behandelt in seiner Arbeit jedoch im Gegensatz zu der vorliegenden Arbeit auch Letztere, fasst den Untersuchungsgegenstand also ebenfalls weiter. Es werden die „Kurzwortgruppen“ der Abbreviationen, Kunstwörtern und fremdsprachlichen Kürzungen unterschieden (42). Bei Vieregges Abbreviationen, die im Wesentlichen den Kurzwörtern im Sinne der vorliegenden Arbeit entsprechen, wird schließlich weiter nach Kurzwörtern aus Initialen, Kurzwörtern aus größeren Bestandteilen, Klappwörtern aus einer Initiale und einem Lexem wie U-Boot < Unterseeboot, Kopfwörtern und Endwörtern differenziert. Auch Vieregge betrachtet Kurzwörter unter einer Reihe von Aspekten wie Klassifikation, Flexion und Beziehung zur Vollform. Er beschäftigt sich mit dem bereits bei Hofrichter (1977:19f.) erwähnten Phänomen, dass die Beziehung zwischen Kurzwort und Vollform nicht statisch ist und sich ein Kurzwort zunehmend verselbständigen und eventuell sogar seine Vollform verdrängen kann (z.B. Vieregge 1978:66ff.). Die Grundlinie seiner Arbeit ist eine Argumentation für den Wortstatus von Kurzwörtern, wie auch etwas später in Vieregge (1983).

      Zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie die Arbeiten von Hofrichter und Vieregge erschienen zwei Artikel von Günter Bellmann (Bellmann 1977 und Bellmann 1980), die eine neue Kurzwortklassifikation mit einer Unterteilung in unisegmentale und multisegmentale Kurzwörter mit jeweils mehreren Untertypen vorstellen, die bis heute von vielen Autoren übernommen wurde.

      Auch die Arbeiten von Albrecht Greule lassen Bellmanns Einfluss erkennen. Nachdem er sich in Greule (1983/84) und Greule (1986) zunächst nur mit i-Bildungen auseinandergesetzt hatte, weitete er sein Interesse anschließend auf das gesamte Kurzwort-Phänomen aus und behandelte in einer Reihe von Aufsätzen (Greule 1992, 1996 und 2007) Kurzwortbildung als Teil der Wortbildung. Er entwickelte eine neue Typologie, in der Kurzwörter zunächst danach unterschieden werden, welcher Art die aus der Vollform übernommenen Segmente sind. Dabei differenziert Greule zwischen Buchstaben-Kurzwörtern, Silben-Kurzwörtern, Mischtypen und Morphem-Kurzwörtern (Greule 1992:60f. und Greule 1996:197f.). Erst an nachgeordneter Stelle folgt dann eine von Bellmann inspirierte Unterscheidung zwischen unisegmentalen und multisegmentalen Kurzwörtern.

      Eine umfassende und richtungsweisende Dissertation zur Kurzwortbildung im Deutschen erschien 1994 mit Dorothea Kobler-Trills Arbeit „Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung“. Neben einer ausführlichen Diskussion der bisher erfolgten Kurzwortforschung und einer ebenfalls detaillierten Abgrenzung von verwandten Phänomen liegt der Schwerpunkt von Kobler-Trills Arbeit auf der Erstellung einer neuen Kurzworttypologie. In ihrer grundsätzlichen Einteilung folgt Kobler-Trill Bellmann, indem sie Kurzwörter zunächst nach der Anzahl ihrer Segmente klassifiziert, also unisegmentale von nicht-unisegmentalen Kurzwörtern unterscheidet. Letztere teilt sie wiederum in multisegmentale und partielle Kurzwörter auf. Anschließend wird nach der Qualität dieser Segmente (Buchstaben, Silben etc.) und ihrer Position in der Vollform differenziert (Kobler-Trill 1994:87). Ein Großteil der Klassifizierungskriterien sind demnach in den Arbeiten von Kobler-Trill und Greule identisch und unterscheiden sich lediglich in der Priorisierung, was dennoch zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Einteilung von Kurzwörtern führt. Neben der Vorstellung ihres typologischen Ansatzes enthält Kobler-Trills Arbeit außerdem auch einen empirischen Teil, der sich jedoch auf die nicht-unisegmentalen Kurzworttypen beschränkt. Die Dissertation von Kobler-Trill wurde stark rezipiert und dürfte vermutlich eine der am häufigsten zitierten Arbeiten zum Thema Kurzwortbildung im Deutschen darstellen. Auch in zwei späteren Artikeln beschäftigte sich Kobler-Trill weiter mit der Thematik der Kurzwörter (Kobler-Trill 1997 und 2002).

      Zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie Kobler-Trills Dissertation entstand die Habilitationsschrift von Elke Ronneberger-Sibold mit dem Titel „Die Lautgestalt neuer Wurzeln. Kürzungen und Kunstwörter im Deutschen und Französischen“ (Ronneberger-Sibold 1992). Diese Arbeit ist eine kontrastive Untersuchung von Kurzwörtern und Kunstwörtern im Deutschen und Französischen