Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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bio scheinen also Konfixe zu sein, die reihenbildend sind und darüber hinaus inzwischen auch freie Formen entwickelt haben (er ist öko, sie steht auf bio). Als primär anzusehen sind in diesem Fall jedoch die gebundenen Konfixformen. Da jedoch zu diversen, wenn auch nicht allen, Belegen eine Langform existiert und in Gebrauch ist, was individuell geprüft werden muss, stellt sich doch wieder die Frage, ob öko und bio nicht als Kurzwörter zu analysieren sind. Es wurde daher am 10.03.2012 eine kurze Google-Suche unter „Seiten auf Deutsch“ durchgeführt, deren Ergebnisse in Tabelle 13 zusammenstellt sind.

„Bioladen“: 2180000 Treffer„biologischer Laden“: 6 Treffer, davon keiner sinnvoll
„Biogemüse“: 478000 Treffer„biologisches Gemüse“: 26300 Treffer
„Ökosprit“: 34700 Treffer„ökologischer Sprit“: 9 Treffer, aber alle sinnvoll
„Ökotourismus“: 1640000 Treffer„ökologischer Tourismus“: 43600 Treffer

      Tabelle 13: Verteilung der Kurz- und Langformen von bio und öko in einer Google-Suche

      Im Fall von Bioladen ist bio- demnach eindeutig ein Konfix, da die Langform5 keine verwertbaren Treffer erzielte. Bei Biogemüse stellt sich die Situation etwas anders dar, da die Langform durchaus in Gebrauch zu sein scheint, wenn auch deutlich seltener als die Kurzform. Hier wäre zunächst zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich um ein Kurzwort handelt. Im Fall von Ökosprit zeigen die Inhalte der Treffer für die Langform, dass Synonymität durchaus gegeben zu sein scheint; von einer Varianz von Kurz- und Langform ist aufgrund der extremen Frequenzunterschiede in der Praxis jedoch nicht auszugehen. Eher möglich scheint eine Varianz dagegen bei Ökotourismus. Es bleibt unklar, warum zwischen Ökosprit und Ökotourismus solche Unterschiede bestehen, da der semantische Gehalt des Bestandteils öko- in diesen Beispielen ja ähnlich ist. Insgesamt ergibt sich also weder für bio- noch für öko- ein eindeutiges Bild. Die Belege, bei denen eine Kurzwortyanalyse möglich scheint, wären jedoch nicht als prototypische, sondern höchstens als periphere Kurzwörter einzuordnen.6 Da für bio- und öko- allenfalls im Einzelfall eine Analyse als Kurzwort überhaupt möglich gewesen wäre, wurden sämtliche Belege dieser Art als Konfixe gewertet und nicht in die Kurzwortkorpora dieser Arbeit aufgenommen. Bio < Biologieunterricht ist dagegen ein eindeutiges Kurzwort. Die freie Form Öko im Sinne von „umweltbewusster Mensch“ ist hingegen kein Kurzwort, sondern eine aus dem Konfix öko- entstandene freie Form. Eine differenzierte Betrachtung dieser Problematik bietet Scheller-Boltz (2008), der zu der Schlussfolgerung kommt, dass Bio/bio drei verschiedene Vorkommen hat: als gebundenes Konfix in Komposita wie Bioprodukt, als Kurzwort und als expressives Modewort. Das Kurzwort kann wie oben erwähnt die Kurzform von Biologieunterricht sein; daneben analysiert Scheller-Boltz einen Teil der frei vorkommenden Belege von bio als Kurzwörter, die ihre konkrete Bedeutung im Äußerungskontext erhalten.7 So handelt es sich in der Äußerung „Ich kaufe nur noch Bio“ für ihn um ein Kurzwort für Bioprodukte (254). Schließlich entfällt laut Scheller-Boltz ein Teil der freien Vorkommen von Bio/bio auf Fälle, in denen es ein „expressives Modewort“ (256) ist. Es lässt sich in diesen Fällen weder als Konfix noch als Kurzwort einordnen und hat „lediglich eine expressive Funktion“ (255). Diese Art der Verwendung findet sich vor allem in der Werbe- und Marketingsprache, z.B. bei dem von diversen Herstellern oder Verkäufern von Bioprodukten benutzten Slogan „Wir lieben bio.“

      Problematisch ist die Frage nach der Abgrenzung des Phänomens der Kurzwortbildung auch deshalb, weil nahezu jeder Autor eine etwas andere Abgrenzung vornimmt und daher ein wirklich exakter Vergleich der Daten und Ergebnisse stark erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird. Der Kennzeichnung der Einträge durch den Rechtschreib-Duden kann nicht gefolgt werden, da völlig unklar ist, welche Kriterien ihr zugrunde liegen. Die von mir als Kurzwörter eingestuften Belege sind im Rechtschreib-Duden teils mit „Kurzw.“ oder „Kurzwort“ (wie im Fall von Abi < Abitur), „kurz für“ (wie bei Info < Information), teils nur durch Angabe der Vollform (wie bei EKG < Elektrokardiogramm) gekennzeichnet. Andererseits markiert der Rechtschreib-Duden Einträge als Kurzwörter, die nach den oben erläuterten Kriterien eindeutig ausgeschlossen werden, z.B. Wortkreuzungen wie Edutainment aus education und entertainment oder das Lehnkurzwort bit < binary digit. Auch der Eintrag Alufolie, den ich als Kompositum aus dem Kurzwort Alu < Aluminium und dem Zweitglied Folie betrachte, wird vom Rechtschreib-Duden als Kurzwort für Aluminiumfolie angegeben. In SAOL werden Kurzworteinträge nicht explizit markiert; in etlichen Fällen wird jedoch die zugehörige Vollform zusätzlich angegeben (wie bei labb < laboratorium), was letztlich auch eine Art Markierung darstellt. Dies ist allerdings auch nicht bei jedem Kurzwortbeleg der Fall und kann daher nicht als eindeutiges Kriterium für den Status als Kurzwort gewertet werden.8 Bei der Erstellung der Korpora musste daher jeder Beleg separat dahingehend geprüft werden, ob er ein Kurzwort im Sinne dieser Arbeit ist.9

      In der vorliegenden Arbeit werden Kurzwörter sämtlicher Wortarten untersucht, im Unterschied zu diversen anderen Arbeiten zu deutschen Kurzwörtern, die sich auf Substantive beschränken (z.B. Bellmann 1980, Vieregge 1983 oder Greule 1996). Bei Kobler-Trill (1994:15) findet sich sogar die Behauptung, nur Substantive seien mögliche Vollformen für die Kurzwortbildung. Eine ähnliche Sicht vertritt Greule (1992:59), der den Wortstatus einer Kürzung daran festmacht, ob sie genus- und artikelfähig ist. Da diese Kriterien ohnehin nur auf Substantive angewendet werden können, werden andere Wortarten damit unnötigerweise ausgeschlossen. Die Einschätzung, deutsche Kurzwörter könnten nur Substantive sein, kann nicht geteilt werden, da es auch im Deutschen Gegenbeispiele für Kurzwörter anderer Wortarten gibt, ohne dass diese in einem sekundären Wortbildungsprozess aus einem Kurzwort gebildet worden wären. Zwar sind Substantive unter den deutschen Kurzwörtern bei Weitem am häufigsten, vereinzelt finden sich aber durchaus auch Belege anderer Wortarten, die nicht ausgeschlossen werden sollten. So existieren die umgangssprachlichen gekürzten Verben funzen < funktionieren und telen < telefonieren sowie eine ganze Reihe von gekürzten Adjektiven wie bi < bisexuell oder assi < asozial, deren Flexion jedoch eingeschränkt ist. Sie können meist nur prädikativ und nicht attributiv verwendet werden, vgl. sie ist bi vs. eine *bie Frau. Auch bei der Kürzung der Präposition über in Verbindung mit einer Altersangabe wie bei Ü30 < über 30 kann von einem Kurzwort ausgegangen werden, da eine passende Vollform existiert und die Kürzung eine graphisch und eine lautlich gekürzte Seite hat. Während Verben und Präpositionen als Kurzwörter im Deutschen nur Einzelfälle darstellen, sind die Belege von adjektivischen Kurzwörtern etwas häufiger, allerdings im Verhältnis zu den substantivischen Kurzwortbildungen zugegebenermaßen sehr selten. Auch wenn bei Kurzwortbildung im Deutschen in erster Linie Substantive entstehen, zeigt die Existenz nicht-substantivischer Kurzwörter, dass Kurzwortbildung bei anderen Wortarten auch im Deutschen nicht per se unmöglich ist. Gerade bei einem deutsch-schwedischen Vergleich ist eine Betrachtung sämtlicher Wortarten unbedingt angezeigt, da im Schwedischen neben gekürzten Substantiven auch etliche gekürzte Verben wie arra < arrangera ‚arrangieren‘ und seltener auch gekürzte Adjektive wie poppis < populär auftreten. Besonders die Kurzwortverben werden im Laufe der Arbeit immer wieder thematisiert.

      2.4 Literaturüberblick

      Hinsichtlich der Kurzwortforschung besteht eine starke Asymmetrie zwischen dem deutschen und dem schwedischen Sprachraum. Während sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus eine produktive Forschung zu deutschen Kurzwörtern etabliert hat, müssen Nübling/Duke (2007:227) feststellen: „Eine Kurzwortforschung hat im skandinavischen Sprachraum bisher nicht stattgefunden.“ Aus diesem Grund wird die deutsche Kurzwortforschung im Folgenden in etwas geraffter Form behandelt und für eine detailliertere Darstellung auf die sehr ausführlichen Schilderungen des Forschungsstandes zu deutschen Kurzwörtern bei Kobler-Trill (1994:33–58) und Balnat (2011:19–101) verwiesen. Für das Schwedische stellt sich die Lage dagegen völlig anders dar: In Grammatiken und Wortbildungslehren werden Kurzwörter meist nur äußerst knapp erwähnt, und nur sehr wenige Arbeiten beschäftigen sich überhaupt ausführlicher mit Kurzwörtern. Diese bislang wenig rezipierten Arbeiten