Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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und -struktur ausgewertet werden. Ronneberger-Sibolds Hauptthese ist, dass die Bildung von Kurzwörtern und Kunstwörtern Sprachbenutzern die Möglichkeit bietet, losgelöst von den Regularitäten des Normalwortschatzes und des regulären Sprachwandels einen alternativen Wortschatz mit neuen Wörtern zu schaffen, die sich strukturell vom Normalwortschatz unterscheiden und phonologisch für Artikulation und Perzeption optimiert sind. In ihrer Klassifikation der Kurzwörter folgt Ronneberger-Sibold interessanterweise weder Bellmann noch Greule, sondern erarbeitet eine eigene Typologie, bei der zwischen Kurzwörtern im engeren Sinne, Akronymen und Sonderfällen unterschieden wird.1 Bei der Habilitationsschrift von Ronneberger-Sibold handelt es sich meines Wissens um die erste längere kontrastive Arbeit zur Kurzwortbildung, der auch die vorliegende Arbeit hilfreiche Anregungen verdankt. Im Gegensatz zu Ronneberger-Sibolds Arbeit stützen sich die Korpora dieser Arbeit jedoch nicht nur auf Wörterbuchdaten, sondern auch auf Zeitungsdaten, wodurch auch Aussagen zu Gebrauchsfrequenzen möglich sind.

      Auf Ronneberger-Sibolds Habilitationsschrift folgten in den nächsten Jahren eine ganze Reihe von kürzeren Arbeiten zum Thema Kurzwortbildung (z.B. Ronneberger-Sibold 1995a, 1995b, 1996, 1997, 1998, 2000, 2001 und 2007). Auch in diesen Arbeiten liegt der Schwerpunkt meist auf der phonologischen Struktur der Kurzwörter; in einigen Fällen wird Kurzwortbildung auch im Zusammenhang mit Sprachwandel erörtert.

      Aus dem Jahr 2000 stammt Anja Steinhauers Dissertation „Sprachökonomie durch Kurzwörter. Bildung und Verwendung in der Fachkommunikation“ (Steinhauer 2000), die mit der Betrachtung von Kurzwörtern in Fachsprachen einen neuartigen Schwerpunkt setzt. Auch Steinhauer beschäftigt sich eingehend mit der Klassifikation von Kurzwörtern. So findet sich bei ihr eine ausführliche Diskussion von Kobler-Trills Ansatz, den sie letztlich aufgrund einiger Unstimmigkeiten verwirft (vgl. Steinhauer 2000:34–42). Für ihre eigene Arbeit greift Steinhauer schließlich auf die Arbeiten von Albrecht Greule zurück und erstellt eine modifizierte Klassifikation in Anlehnung an ihn, auf die wiederum Greule (2007:120) zurückgreift. Später folgten von Steinhauer noch zwei allgemeinere Artikel zur deutschen Kurzwortbildung (Steinhauer 2001 und 2007). Des Weiteren ist Anja Steinhauer seit der 5. Auflage die Herausgeberin des Duden-Wörterbuchs der Abkürzungen (Steinhauer 2005). Darin werden im einleitenden Kapitel Kurzwörter einerseits von Abkürzungen und andererseits von Kunstwörtern abgegrenzt. Im Register sind Abkürzungen, Kurzwörter und Kunstwörter dann jedoch ohne weitere Kennzeichnung gemeinsam aufgeführt.

      Einige Arbeiten widmen sich speziell den i-Bildungen, so Werner (1996), Féry (1997) und Köpcke (2002). Diese Autoren diskutieren Belege, die nach der Typologie der vorliegenden Arbeit zu den Pseudoableitungen, Kopfwörtern und Silbeninitialwörtern gehören, sowie Belege, die außerhalb des Rahmens der Kurzwortbildung in meinem Sinne stehen. In den erwähnten Arbeiten wird deutlich, dass die Outputorientierung bei i-Bildungen eine große Rolle spielt, d.h. durch verschiedene Prozesse werden i-Bildungen mit einer bestimmten Struktur erzeugt, nämlich einem zweisilbigen Trochäus auf -i.

      In mehreren Artikeln widmet sich Sascha Michel der Kurzwortbildung im Deutschen (Michel 2006, 2011 und 2014), zum Teil auch mit einem Schwerpunkt auf Fachsprachen (Girnth/Michel 2008 und Michel 2009). Dabei plädiert er für eine stärkere Berücksichtigung der parole bei der Erstellung von Definitionen und Typologien und bemängelt eine zu starke Fixierung der existierenden Kurzwortforschung auf die Ebene der langue, die den tatsächlichen Sprachgebrauch nicht berücksichtigt (z.B. Michel 2006:71f.).2

      Nach Ronneberger-Sibolds oben angeführter Habilitationsschrift zu Kurzwörtern im Deutschen und Französischen von 1992 sind nur noch wenige weitere kontrastive Arbeiten zur Kurzwortbildung erschienen. Dabei handelt es sich mit Nübling (2001) um einen deutsch-schwedischen Vergleich und mit Leuschner (2008) um einen Vergleich deutscher und niederländischer Kurzwörter. Des Weiteren existieren Abschlussarbeiten, die ebenfalls deutsche Kurzwörter sprachvergleichend behandeln: Wahl (2002) mit einem Vergleich mit dem Schwedischen und Lemey (2002) mit einem Vergleich mit dem Niederländischen. Aufgrund ihres Status als Abschlussarbeiten beinhalten diese Arbeiten jedoch keine ausführlichen und systematischen Belegsammlungen. Detaillierte Vergleiche deutscher Kurzwörter mit den Kürzungen anderer Sprachen sind demnach also bislang sehr selten. Diese Lücke schließt die vorliegende Arbeit mit der Analyse deutscher und schwedischer Kurzwörter auf empirischer Grundlage.

      Bei der neuesten Dissertation zu deutschen Kurzwörtern handelt es sich um Vincent Balnats „Kurzwortbildung im Gegenwartsdeutschen“ (Balnat 2011). Auf einen ausführlichen Forschungsbericht folgt eine kritische Diskussion von Kobler-Trills Kurzwortbegriff und -definition, wobei Balnat selbst einen recht weiten Kurzwortbegriff vertritt: „Als KW werden nicht nur traditionelle Bildungstypen […] betrachtet, sondern auch graphische Abkürzungen, Klappwörter, Wortkreuzungen und einige Kunstwörter.“ (Balnat 2011:288) Wie schon Michel (2006) plädiert auch Balnat für eine prototypische Definition von Kurzwörtern. Demnach haben prototypische Kurzwörter gewisse Eigenschaften, während nicht-prototypische Kurzwörter nicht alle dieser Kriterien erfüllen (vgl. Balnat 2011:145). Für sein Kurzwortkorpus berücksichtigt Balnat wiederum nur prototypische Kurzwörter. Es ist jedoch festzustellen, dass Balnats Datenauswahl für sein Kurzwortkorpus keine systematische Grundlage zu haben scheint (9). Seine Belege sind eher zur Illustration geeignet und erlauben aufgrund der willkürlichen Datenzusammenstellung aus diversen Quellen keine quantitativen Aussagen zur Frequenz verschiedener Kurzworttypen. Generell fasst Balnat das Untersuchungsfeld seiner Dissertation recht weit. So berücksichtigt er nicht nur entlehnte Kurzwörter, die keine deutsche Vollform haben, sondern auch chatspezifische Kürzungen wie hdl < hab dich lieb, GN8 < Gute Nacht, g < grins und als nichtsprachliche Kurzformen sogar Smileys wie :-). Der Großteil dieser chatspezifischen Kürzungen sind für Balnat allerdings nur Kurzformen und keine Kurzwörter. Diesen Charakteristika der Chatkommunikation widmet er ein ganzes Kapitel seiner Arbeit und hat eigens ein Korpus dazu erstellt, sodass sich letztlich ein nicht geringer Teil der Arbeit nicht mit Kurzwörtern im eigentlichen Sinn, sondern mit einem benachbarten Phänomen beschäftigt. Eine derartige Beschäftigung mit nicht-prototypischen Kurzwörtern und verwandten Phänomenen ist sicher sinnvoll, da gerade die neuen Medien Kommunikationsformen hervorbringen, die ein spannendes und lohnenswertes Untersuchungsfeld darstellen. Nichtsdestotrotz ist ein solches Vorgehen nicht für einen Vergleich mit einer Sprache wie dem Schwedischem geeignet, zu der noch kaum Kurzwortforschung vorhanden ist. Da für das Schwedische zunächst Grundlagen der Kurzwortforschung etabliert werden müssen, sollte sich auch die den Vergleich liefernde deutsche Seite vor allem auf grundsätzliche Fragen und prototypische Kurzwörter konzentrieren.

      Trotz der vielen einschlägigen Veröffentlichungen3 zur Kurzwortbildung im Deutschen hat sich bislang keine einheitliche Terminologie herausgebildet, da die einzelnen Autoren das Phänomen der Kurzwortbildung unterschiedlich abgrenzen. So zählen manche Autoren auch Kunstwörter (z.B. Ronneberger-Sibold 1992) und/oder Lehnkurzwörter zur Kurzwortbildung (z.B. Balnat 2011). Während auf ein Morphem gekürzte Kurzwörter wie Ober < Oberkellner für manche Autoren einen eigenen Kurzworttyp darstellen (z.B. für Greule 1992) oder unabhängig davon, dass der gekürzte Teil ein Morphem ist, unter andere Kurzworttypen subsumiert werden (z.B. von Schippan 1963), sind sie für andere Autoren überhaupt kein Bestandteil der Kurzwortbildung (z.B. für Ronneberger-Sibold 1992). Diese Beispiele machen deutlich, dass die Auffassungen einzelner Autoren darüber, was genau Gegenstand der Kurzwortbildung ist, teils erheblich voneinander abweichen. Auch bei der Klassifikation der Kurzworttypen finden sich zum Teil beträchtliche Unterschiede zwischen den Arbeiten verschiedener Verfasser. Obwohl in vielen Arbeiten durchaus Themen wie das Flexionsverhalten oder die Wortbildungsmöglichkeiten von Kurzwörtern angesprochen werden, stehen im Zentrum der Diskussion der deutschsprachigen Kurzwortforschung meist typologische Fragen. Eine empirisch basierte Arbeit, die sowohl phonologische als auch auch grammatische Aspekte näher beleuchtet, war bislang ein Desiderat, das die vorliegende Arbeit erfüllen soll.

      2.4.2 Forschung zu schwedischen Kurzwörtern

      Wie bereits mehrfach angeklungen ist, hat eine Auseinandersetzung mit der Kurzwortbildung im Schwedischen bisher nur sporadisch stattgefunden. Auch wenn das Phänomen der Kurzwortbildung im Schwedischen weder selten noch unbekannt ist, wird es in Grammatiken und Wortbildungslehren meist nur