Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen


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auf die Anmerkung, es könnten „hela morfem eller delar av morfem“4 getilgt werden, nicht thematisiert.

      2.3 Abgrenzung des Phänomens

      Nach der Vorstellung der verschiedenen Kurzworttypen sollen Kurzwörter nun von anderen Phänomenen abgegrenzt werden, an denen ebenfalls Kürzungs­prozesse beteiligt sind, die ich jedoch nicht zur Kurzwortbildung zähle. Dabei folge ich in dieser Arbeit der heute im deutschen Sprachraum weit verbreiteten Unterscheidung zwischen Kurzwort und Abkürzung, wonach Abkürzungen reine Schriftformen sind, die mit ihrer Vollform gesprochen werden und keine eigene Lautform haben. Diese Differenzierung geht auf Henrik Bergstrøm-Nielsen zurück, wobei für ihn Kurzwörter eine Untergruppe der Abkürzungen darstellen. Ein Kurzwort unterscheidet sich von einer Abkürzung dadurch, dass „die Aussprache der Schreibung folgt. Der Unterschied zwischen Abkürzung und Kurzwort liegt also in der Aussprache.“ (Bergstrøm-Nielsen 1952:2) Abkürzungen wie z.B. für zum Beispiel oder d.h. für das heißt im Deutschen oder f.d. für före detta ‚ehemalig‘ oder t. ex. für till exempel ‚zum Beispiel‘ im Schwedischen werden wie ihre Vollform gesprochen. Kurzwörter haben dagegen eine eigene, ebenfalls gekürzte Aussprache. So werden beispielsweise dt. EDV oder schwed. adb als Buchstabenfolgen ausgesprochen und nicht in die entsprechenden Vollformen elektronische Datenverarbeitung oder automatisk databehandling ‚elektronische Datenverarbeitung‘ aufgelöst. Im Gegensatz zu Abkürzungen, bei denen lediglich die graphische Seite gekürzt wird, betrifft der Kürzungsprozess bei Kurzwörtern sowohl die graphische als auch die lautliche Seite, was ihnen deutlich mehr Eigenständigkeit verleiht als den auf die schriftliche Kommunikation beschränken Abkürzungen. In der schwedischen Literatur wird dies jedoch nicht immer so gehandhabt, sodass teilweise auch schriftliche Abkürzungen gemeinsam mit Akronymen vom Typ mc < motorcykel ‚Motorrad‘ behandelt werden (so beispielsweise Sigurd 1979, Svenblad 1998 oder Kjellin 2005, hingegen Svenska Språknämnden 2000 mit einer Trennung zwischen rein schriftlichen Kürzungen und solchen mit eigener Aussprache). Auch wenn sich diese Differenzierung zwischen Kurzwörtern und Abkürzungen in der schwedischen Forschung bislang nicht etabliert hat, wird sie in dieser Arbeit auf die Belege beider Untersuchungssprachen angewendet. Das bedeutet, dass Abkürzungen, also rein schriftliche Kürzungen, nicht erfasst und diskutiert werden, sondern als Belege nur Kurzwörter berücksichtigt werden.

      Neben Abkürzungen wurden reine Lehnkurzwörter ausgeschlossen, d.h. bereits gekürzt entlehnte Elemente wie das im Rechtschreib-Duden belegte bit < binary digit oder das in Rechtschreib-Duden und SAOL verzeichnete CD/cd < compact disc, bei denen die Kurzwortbildung in einer Fremdsprache – häufig im Englischen – und nicht im Deutschen oder Schwedischen erfolgt ist. Solche Belege werden direkt als Kürzung entlehnt und geben daher keinen Aufschluss über die Mechanismen der Kurzwortbildung im Deutschen bzw. Schwedischen oder über bevorzugte Lautstrukturen deutscher und schwedischer Kurzwörter. Häufig ist den Sprechern der Zielsprache auch gar nicht bewusst, dass die Lexeme in der Herkunftssprache auf einem Kürzungsvorgang beruhen. Lehnkurzwörter wurden daher nicht erfasst und explizit untersucht. In Kapitel 6.4 wird jedoch auf Gemeinsamkeiten von Kurzwörtern und Entlehnungen eingegangen.

      Ebenfalls von der Betrachtung ausgeschlossen werden Lehnkurzwörter, deren ursprüngliche Vollform Grundlage für eine Lehnübersetzung war, die nun im Deutschen bzw. Schwedischen parallel zu dem Lehnkurzwort existiert und als dessen Vollform fungiert, auch wenn zwischen den Bestandteilen der Langform und der Kurzform nicht zwangsläufig eine enge Beziehung besteht. Dies kommt besonders bei Eigennamen, insbesondere bei Namen von Unternehmen und Organisationen vor. Der englischen Kürzung EFTA liegt beispielsweise die Vollform European Free Trade Association zugrunde. Ins Deutsche und ins Schwedische entlehnt wurde lediglich die Kürzung; die Vollform resultierte in der deutschen bzw. schwedischen Lehnübersetzung Europäische Freihandelszone bzw. Europeiska frihandelssammanslutningen, die wie die Vollform eines deutschen bzw. schwedischen Kurzworts gebraucht wird. Ein vergleichbarer Fall liegt bei UNO < United Nations Organisation vor. Diese Kurzform wird viel häufiger gebraucht als das deutsche Kurzwort VN, dafür jedoch mit der deutschen Langform1 Vereinte Nationen kombiniert. Im Schwedischen existiert für diese Organisation eine lehnübersetzte Vollform (Förenta nationerna), aus der ein schwedisches Kurzwort (FN) gebildet wurde. Nicht alle Sprachen gehen jedoch so vor. Das Französische behandelt beispielsweise derartige Beispiele anders. Es wird eine Lehnübersetzung gebildet, die dann Grundlage für ein französisches Kurzwort wird, z.B. OTAN < Organisation du traité de l’Atlantique Nord. Das Schwedische kennt bei diesem Beispiel interessanterweise beide Kurzformen, sowohl NATO als auch OTAN; eine schwedische Vollform wie nordatlantiska fördragsorganisationen oder atlantpakten ist jedoch nur wenig gebräuchlich, wobei im Deutschen lediglich die Kurzform NATO, häufig mit der lehnübersetzten Vollform Nordatlantikpakt gebraucht wird. Ein appellativisches Beispiel für dieses Phänomen ist NGO für die englische Phrase non-governmental organization. Im Deutschen wird die englische Kürzung parallel zu einer lehnübersetzten Vollform Nichtregierungsorganisation verwendet. Das entsprechende deutsche Kurzwort NRO findet dagegen nur selten Gebrauch. Im Schwedischen ist neben dem Lehnkurzwort NGO die Rede von einer icke-statlig organisation ‚nicht-staatliche Organisation‘. Auch wenn diese Kombination einer Entlehnung und einer längeren Lehnübersetzung höchst interessant ist, wurden derartige Lehnkurzwörter vom Typ EFTA, zu denen eine morphologisch unabhängige Langform existiert, die wie die Vollform eines Kurzworts gebraucht wird, nicht in die Kurzwortkorpora dieser Arbeit aufgenommen, da es sich dabei nicht um Kurzwortbildung an sich mit einer im Deutschen bzw. Schwedischen entstandenen Kürzung aus einer zugehörigen Vollform handelt.

      Nicht berücksichtigt werden Kunstwörter (z.B. dt. Persil) und Wortkreuzungen oder Kontaminationen2 (z.B. dt. Botel < Boot u. Hotel, schwed. jaguon < jaguar u. lejon ‚Kreuzung eines Jaguars mit einem Löwen‘), zu denen nie eine Vollform im tatsächlichen Sprachgebrauch existiert hat, auch wenn diese im Rechtschreib-Duden zum Teil als Kurzwörter gekennzeichnet werden (z.B. im Fall von Bionik < Biologie u. Technik). Im Bereich der Eigennamen, besonders der Unternehmens- und Produktnamen, wird eine Langform oftmals bereits im Hinblick auf die Kürzung entwickelt, sodass es sich letztlich um ein Kunstwort handelt und nicht um eine auf der natürlichen Sprachentwicklung beruhende Kürzung. Im Fall des Eigennamens CeBIT wurde beispielsweise die Langform Centrum der Büro- und Informationstechnik später zu Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikationstechnik geändert, was keinerlei Auswirkungen auf die Kurzform hatte. Insbesondere bei Namen von Firmen und Organisationen dient eine Langform häufig nur dazu, eine eingängigere Kurzform zu bilden, ohne dass tatsächlich beide Formen in Gebrauch sind, wie beispielsweise auch im Fall von Mitropa, das durch einen Kürzungsvorgang aus der Mitteleuropäischen Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft entstanden ist oder dem deutschen Naturschutzbund NABU, dessen sperrige Langform Naturschutz, Artenschutz, Biotopschutz, Umweltschutz den wenigsten Sprechern bekannt sein dürfte bzw. häufig durch die naheliegende Langform Naturschutzbund ersetzt wird. Ein schwedisches Beispiel ist das ehemalige Unternehmen Mack< Mathiasson, Andersson, Collin och Key, dessen Name jedoch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts auch bzw. heutzutage ausschließlich als Appellativum mack ‚Tankstelle‘ verwendet wird.

      Des Weiteren werden Konfixe ausgeschlossen, d.h. gebundene Wortbildungselemente mit lexikalischer Bedeutung, die basisfähig, in unterschiedlichem Maße produktiv und miteinander kombinierbar sind wie biblio- oder tele-.3 Es kann mitunter vorkommen, dass Konfixe freie Formen entwickeln (z.B. das Gemüse ist bio); diese sind jedoch nicht das Resultat eines Kürzungsvorgangs, „weil sie keine gleichwertige Variante zu ihrer vermeintlichen Basis darstellen.“ (Donalies 2000:154) Das Unterscheidungskriterium ist also auch hier die Existenz einer Vollform, wobei es gerade bei dem Kurzworttyp der gebundenen Kürzungen zu Grenzfällen kommen kann.

      Anhand der deutschen Beispiele öko und bio soll hier kurz aufgezeigt werden, welche Überlegungen für die Abgrenzung von Kurzwörtern und Konfixen angestellt werden müssen (vgl. dazu