Christine Becker

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation


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      Neben den Implikationen, die die Diskussionen um einen angemessenen Kulturbegriff im Bereich des Deutschen als Fremdsprache für den Unterricht bedeuten, ist kulturwissenschaftlichen Ansätzen gemein, dass sie Verfahren, Ergebnisse und Konzepte der Kulturwissenschaften in die Landeskunde übertragen wollen. Ein einflussreiches Beispiel ist die Berücksichtigung von Theorien des kollektiven Gedächtnisses, um so „sozial geteilte Überzeugungen, Einstellungen und Werte zu rekonstruieren“ (Bärenfänger 2008, 49).

      Ein Ziel der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung ist dabei die Etablierung von Landeskunde als Wissenschaft,2 um aus dieser Erkenntnisse für die Unterrichtspraxis zu gewinnen: Altmayer beispielsweise fordert eine kulturwissenschaftliche Forschungsdisziplin, „die sich über die aus der Praxis des landeskundlichen Unterrichts ergebenden Fragestellungen und Probleme des landeskundlichen Lernens“ definiert (Altmayer 2004, 28, Hervorhebung im Original). Auch Wormer spricht sich für eine wissenschaftliche Landeskunde aus, die „kein Selbstzweck [ist], sie ist aus der Praxis entstanden, und sie führt – über die Brücke einer wissenschaftlichen Didaktik – zumindest partiell wieder in die Praxis hinein“ (Wormer 2004, 3).

      Gegenwärtig lässt sich im Hinblick auf die kulturwissenschaftliche Orientierung folgendes Fazit ziehen: Während noch vor wenigen Jahren eine zunehmende (kultur-)wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde festzustellen war (vgl. Koreik 2011), die zu einer Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung führte,3 zeigt sich heute anhand einer nicht unwesentlichen Anzahl an Publikationen, dass die kulturwissenschaftlich orientierte Landeskunde Einzug in die Unterrichtspraxis gehalten hat, wobei vor allem das Konzept der Erinnerungsorte populär ist. Problematisch bleibt, dass die meisten Berichte aus der Praxis universitären Sprachunterricht betreffen und dass Konzepte für niedrige Sprachniveaus und vor allem für jüngere Lerner fehlen.4

      Dahingehend lässt sich feststellen, dass in den meisten Fällen nicht von eigenen Forschungsergebnissen ausgegangen wird, sondern dass, wie auch im hier untersuchten Unterricht, bereits existierende Forschungsergebnisse für die Erarbeitung der Themen herangezogen werden. Die von Altmayer und Wormer geforderte Forschungspraxis für den Landeskundeunterricht wird vermutlich auch weiterhin – bis auf punktuelle Ausnahmen – ein Desiderat bleiben, vorallem wenn man bedenkt, dass die Frage, welche Inhalte relevant sind, je nach Kontext unterschiedlich beantwortet werden muss und sich die Forschungsergebnisse stets wandeln dürften.

      Auf die Frage, welche Implikationen die kulturwissenschaftliche Theoriebildung im Fach Deutsch als Fremdsprache mit sich bringt und welche Lösungsansätze sich bieten, wird sodann genauer eingegangen. Im Folgenden werden jedoch zunächst Überlegungen zu zwei Kulturbegriffen dargestellt, die im Bereich der Fremdsprachendidaktik relevant sind.5 Kulturwissenschaftliche Ansätze weisen zwar homogenisierende Vorstellungen von Kultur zurück, da diese aber zum einen für die Unterrichtspraxis von Belang sind6 und zum anderen den Ausgangspunkt für die Hinwendung zu einem wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriff darstellen, soll daher zunächst auf Kultur als Ausdruck homogener Einheiten eingegangen werden, sodann auf Kultur als geteiltes Wissen. Normative Vorstellungen von Kultur, wie z.B. in der Bedeutung von hochqualifizierten künstlerischen Produkten oder im Sinne eines erweiterten Kulturbegriffs, werden in der Darstellung nicht berücksichtigt. Sie spielen für die Wahl von Lerninhalten in der Unterrichtspraxis nach wie vor eine Rolle, sind aber im Hinblick auf kulturtheoretische Überlegungen in der Landeskundedidaktik hier nicht relevant.

      Kulturbegriff

      Wird in der Landeskundedidaktik von Kultur als Ausdruck homogener Einheiten gesprochen, ist damit meist die Vorstellung von Kultur als Orientierungssystem gemeint, das die Mitglieder einer Gemeinschaft determiniert. Diese Auffassung von Kultur wurde schon von Tylor vertreten, der im Jahr 1871 Kultur wie folgt definiert:

      Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society. (Tylor 1871, 1)

      Angelegt ist darin die Vorstellung von Kultur als einer geschlossenen Einheit von Wissen, Vorstellungen und Verhaltensweisen, die Mitglieder einer Gemeinschaft gemein haben bzw. im Laufe ihres Lebens erwerben und die sie von anderen Gruppen unterscheiden. In der Fremdsprachendidaktik spielen Annahmen dieser Art, beeinflusst etwa durch die Arbeiten des Kulturpsychologen Thomas, „bis heute eine herausragende Rolle“ (Altmayer 2010, 1407, siehe z.B. Bechtel 2003, 50f), vor allem aufgrund des von Thomas geprägten Begriffs des Kulturstandards. Dabei handelt es sich

      um alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. (Thomas 1993, 380f)

      Problematisch ist an dieser und ähnlichen Auffassungen von ‚Kultur‘, dass sie, wenn beispielsweise von der „Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur“ die Rede ist, Heterogenitäten und Brüche innerhalb von Gesellschaften nicht berücksichtigen. Ein Individuum wird, sofern es wie die Mehrzahl der Mitglieder seiner Kultur handelt und denkt, zum Angehörigen einer Kultur; diejenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, erhalten die Rolle der ,Andersdenkenden und Andershandelnden‘ und werden nicht als der Kultur zugehörig betrachtet. Fremdsprachenunterricht, der an einem solchen Kulturbegriff ausgerichtet ist, fördert wohlmöglich auf dieser Grundlage die stereotype Wahrnehmung der Lernenden, die er eigentlich aufbrechen sollte. Dennoch ist dieser Kulturbegriff, im Sinne eines Orientierungssystems, relevant als wissenschaftliche Kategorie, weil es sich dabei, im Gegensatz zu normativen Kulturbegriffen, um eine deskriptive Kategorie handelt, über die theoretisch die Beschreibung von Kultur(en) erst möglich ist (vgl. Altmayer 2010, 1405). Für die Fremdsprachendidaktik ist die Frage nach der Beschreibung insofern relevant, da sie schließlich die Voraussetzung dafür ist, dass Kultur(en) lehr- und lernbar gemacht werden können. Ein Kulturbegriff, der lediglich ‚normale‘ und ‚typische‘ Arten des Wahrnehmens und Handelns berücksichtigt, ist jedoch nicht geeignet, die Brüche und Unvereinbarkeiten zu beschreiben, die in der Lebenswelt erfahren werden. Die Hinwendung zu einer Auffassung von „Kultur als Text“ (Geertz 1983, 253f) im Zuge des cultural turn eröffnet dahingehend einen Lösungsansatz: Zwar wird bei Geertz, insbesondere im Essay „,Deep Play‘: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf“ (ebd., 202–260), der Hahnenkampf als ein homogenes Ereignis beschrieben, bei dem es nicht zu Widersprüchlichkeiten z.B. im Verhalten der Beteiligten kommt, dennoch legt die Auffassung, dass es sich bei Kultur um ein „Ensemble aus Texten“ (ebd., 259) handelt, theoretisch den Grundstein für folgende wichtige Vorannahme: Da Kultur aus einer Vielzahl von Texten besteht, manifestieren sich darin zugleich, Bachtins Konzept der Dialogizität entsprechend (vgl. Bachtin 1979, 169–180), Vielstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten. Die Vorstellung von der textuellen Verfasstheit von Kultur legt somit eine Grundlage für die Annahme, dass Kultur kein homogenes, funktionales Gesamtgefüge ist, das sich durch eine Summe aus Normen, Überzeugungen und kollektiven Vorstellungen und Praktiken auszeichnet.

      Die Kultur-als-Text-Metapher bedeutet jedoch nicht, dass Kultur und Text gleichzusetzen sind (vgl. Bachmann-Medick 2010, 72); vielmehr geht es um die Lesbarkeit von Kultur, die wiederum ein Bedeutungszusammenhang ist, den der Mensch selbst herstellt. Geertz beschreibt dies wie folgt:

      Der Kulturbegriff, den ich vertrete […] ist wesentlich ein semiotischer. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. (Geertz 1995, 9)

      Ausgehend von diesem von Geertz im Jahre 1973 formulierten bedeutungsorientierten Kulturbegriff und anderen Theorietraditionen wie u.a. aus den Bereichen der Phänomenologie, der Verstehenden Soziologie und des Sozialkonstruktivismus, wird in aktuellen kulturwissenschaftlichen Forschungsansätzen davon ausgegangen, „dass die (soziale) Wirklichkeit nicht unmittelbar gegeben ist, sondern in Akten diskursiver Deutung- und Sinnzuschreibung von den Akteuren selbst konstruiert wird“ (Altmayer 2010, 1408).

      Für das Fach Deutsch als Fremdsprache, d.h. vor allem für die Forschungspraxis, versucht Altmayer diese Vorstellungen fruchtbar zu machen: Kultur wird dabei als ein sozial festgelegtes Phänomen betrachtet