Christine Becker

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation


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und mythische Personen, Texte, Dinge, Ereignisse etc. gedacht werden, die Erinnerungen gleichsam an sich knüpfen.2 Diese Erinnerungen sind nicht festgeschrieben, sondern veränderbar, so dass neue hinzukommen, gleichzeitig mit anderen existieren oder diese überlagern können. Fornoff führt weiter aus, wie das Konzept der kulturellen Deutungsmuster mit gedächtniswissenschaftlichen Perspektiven zusammengeführt werden kann,3 bzw. zeigt auf, dass beispielsweise bei Assmann im Grunde von einer „vollständigen Ineinssetzung von Wissen und Gedächtnis“ (Fornoff 2016, 111) gesprochen werden kann.

      Im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht ist der Ansatz, über Erinnerungsorte Lernenden die Geschichte eines Landes näher zu bringen, inzwischen Gang und Gäbe, wie eine Vielzahl an Publikationen belegt.4 Zentral ist dabei die Annahme, dass Erinnerungen sowohl für das Individuum als auch für eine Gruppe die Funktion haben,

      eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und möglicherweise in die Zukunft zu schlagen. Sie bilden eine konnektive Struktur, die Menschen über die Zeit hinweg mit ihren Vor- und Nachfahren und innerhalb einer Gruppe untereinander verbindet. Erinnerungen dienen der individuellen Sinnstiftung, indem sie Identität und Kontinuität schaffen. (Schmidt/Schmidt 2007b, 422)

      Für den Fremdsprachenunterricht ist die Auseinandersetzung mit Erinnerungsorten sinnvoll, weil die Lernenden sich mit Hilfe von entsprechenden Didaktisierungen mit der impliziten symbolischen Konstruktion (Koreik/Roche 2014, 22) und der zeitlichen und räumlichen Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern und kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen (vgl. Schmidt/Schmidt 2007b, 423) und erfahren, wie diese umgedeutet werden können. Erinnerungsorte sind daher nicht nur interessant, um sich der ‚deutschen Geschichte‘ zu nähern, sondern auch, um die Sedimente von kulturellen Deutungsmustern freizulegen und nachzuvollziehen.5

      Politische Mythen

      Neben Erinnerungsorten eignen sich politische Mythen für das landeskundliche Lernen, da sie als „Erzählungen, die auf das politisch-soziale Geschehen gemünzt sind und diesem Geschehen eine spezifische Bedeutung verleihen“ (Becker 2005, 131), einen Einblick in das Selbstbewusstsein einer Gemeinschaft geben.1 Aus diesem Grund thematisiert ein Hauptteil des hier untersuchten Unterrichts politische Mythen und besonders Gründungsmythen. Auf die Bedeutung von großen Erzählungen geht auch Anderson ein, der eine Nation als eine „vorgestellte politische Gemeinschaft“ (Anderson 1996, 15) betrachtet, die ihre Identität auch über politische Mythen konstruiert (vgl. Anderson 1996, 284–286). Dies stellt auch Müller-Funk fest:

      Zweifelsohne sind es Erzählungen, die kollektiven, nationalen Gedächtnissen zugrunde liegen und Politiken der Identität bzw. Differenz konstituieren. Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden. (Müller-Funk 2008, 14)

      Politische Mythen erzählen primär über den Ursprung und die Entwicklung einer Nation. Jan Assmann zeigt beispielsweise das Verhältnis von Geschichte und Mythen auf und definiert damit die Funktion des Mythos:

      Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, daß im kulturellen Gedächtnis faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert wird. Mythos ist eine fundierte Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, um eine Gegenwart vom Ursprung her zu erhellen. (Assmann 1992, 52)

      Assman bringt also nicht nur zum Ausdruck, dass erinnerte Geschichte in Mythos transformiert wird, sondern betont außerdem die Bedeutung von Mythen für die Gegenwart: Sie erzählen nicht nur, wie es war, sondern geben auch Handlungsanweisungen für Gegenwart und Zukunft. Münkler weist darauf hin, „dass Mythen nicht bloß weitererzählt, sondern auch fort- und umerzählt werden und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifisch politische Deutungsleistungen darstellen“ (Münkler 2011, 15). Die Gründe für Umdeutungen von Mythen lassen sich aus einer diachronen Perspektive analysieren und sind im Hinblick auf die historische Entwicklung des nationalen Selbstbewusstseins aufschlussreich.

      Im Hinblick auf den fremdsprachlichen Landeskundeunterricht argumentiert Schumann, dass Mythen kollektive Selbstbilder sichtbar werden lassen und dass die Beschäftigung mit ihnen und ihren verschiedenen Erscheinungsformen kulturelle Konstruktions- und Dekonstruktionsprozesse offen zu legen [vermag]. Die Arbeit an kollektiven Mythen entwickelt ein kulturelles Wissen, das nicht nur landeskundliche Kontexte einbezieht und kulturelle Sinngebungsprozesse erhellt […]. (Schumann 2005b, 121)

      In ihren Unterrichtsentwürfen beschreibt Schumann, wie der französische Mythos von der Einheit von Land, Volk und Nation, der sich im Symbol des Hexagons widerspiegelt, in verschiedenen Kontexten und Erscheinungsformen aufgegriffen wird, deren Behandlung im Unterricht einen Einblick in aktuelle französische Diskurse liefert und spezifisches kulturelles Wissen vermittelt.

      Auch Koreik argumentiert für die Behandlung von Mythen im landeskundlichen Unterricht:

      Wenn es so ist, daß Mythen und Legenden das Geschichtsbild breiter Bevölkerungskreise prägen oder zumindest eine größere Rolle darin spielen, dann wäre genau dies ein zu bearbeitender Themenkomplex, aus dem sich einzelne Beispiele für die Behandlung im Unterricht anbieten. Indem ausländische Deutschlernende Faktoren kognitiv verarbeiten, die die im Inland sozialisierten Deutschen auf welche medial vermittelte Weise auch immer […] als Mythen und Legenden aus dem Vorrat des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ zum großen Teil zum Bestandteil ihres subjektiven Geschichtsbildes gemacht haben, erhalten sie eine Möglichkeit zu einer besseren Nachvollziehbarkeit prägender Einflüsse deutscher Geschichts- und Gesellschaftsbilder. (Koreik 1995, 70)

      Mythen stellen also nach Koreik einen Zugang zu den Geschichtsbildern dar, die eine Gruppe hat, so dass über diesen Weg die Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern sichtbar wird. Eine Möglichkeit, wie dies konkret im universitären Landeskundeunterricht geschehen kann, wird in Becker (2015a und 2015b) aufgezeigt.

      Geschichtliche Themen

      Mit den obigen Ausführungen zu Erinnerungsorten und politischen Mythen habe ich versucht deutlich zu machen, dass geschichtliche Themen aus einem kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht nicht wegzudenken sind. Mythen und Erinnerungsorte liefern historisches Wissen, d.h. die Hintergrundinformationen, ohne die sie nicht zu verstehen sind. Auch für die Gegenwart besitzt die Vergangenheit eine wichtige Erklärungskraft und ist daher für den landeskundlichen Unterricht von hoher Relevanz (vgl. Koreik 2010a, Maijala 2004, Ghobeyshi 2000, 635), wie es auch 1990 in den ABCD-Thesen formuliert ist:

      Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, auch historische Themen und Texte im Deutschunterricht zu behandeln. Solche Texte sollten Aufschluß geben über den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über unterschiedliche Bewertungen sowie über die Geschichtlichkeit der Bewertung selbst. (o.A. 1990, 307)1

      Das übergeordnete Ziel der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen im landeskundlichen Unterricht ist somit nicht die Vermittlung von reinem Faktenwissen, ähnlich einem ereignisgeschichtlichen Ansatz, in dem Epochen und Ereignisse chronologisch aneinandergereiht werden. Stattdessen erhält Geschichte eine unterstützende Funktion, sie wird nicht um ihrer selbst willen behandelt, sondern stets um Perspektivgebundenheit und Entwicklungslinien zu verdeutlichen.

      Es stellt sich die Frage, welche geschichtlichen Themen für den Landeskundeunterricht relevant sind, wobei diese Frage selbstverständlich immer im Hinblick auf die spezifische Unterrichtssituation beantwortet werden muss. Als ein Leitfaden könne u.a. der Aktualitätsbezug sowie der zu erwartende Erkenntniswert der Themen gelten (vgl. Koreik 2012, 4); indem man Entwicklungslinien zu aktuellen Themen nachvollziehe, könne man kulturelle Deutungsmuster verdeutlichen (vgl. Koreik 2010a, 1479). Es böten sich Themen wie der Zweite Weltkrieg an, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach wie vor die Gegenwart präge (vgl. auch Fornoff 2015a). Insgesamt aber seien verstärkt das kollektive Gedächtnis2 sowie sozial- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen zu berücksichtigen, wolle man das Verständnis für die Gegenwart fördern:

      Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis haben dabei in den letzten Jahren zu Recht