Christine Becker

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation


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für den Landeskundeunterricht entwickeln kann. In der Planung des hier untersuchten Unterrichts wurde z.B. das (nicht nur) geschichtsdidaktische Verfahren der Perspektivenübernahme (vgl. Kapitel 6.5) relativ unreflektiert berücksichtigt, im Zuge des Verfassens dieser Arbeit trat aber deutlich hervor, dass die Landeskundedidaktik nicht nur hinsichtlich der Themen sondern vor allem der Unterrichtsmethoden wesentlich interdisziplinärer werden muss, will sie sinnvolle Methoden entwickeln.

      In den bislang vorliegenden und als richtungsweisend einzuschätzenden Arbeiten zu universitärem fach- und fremdsprachenintegriertem Lernen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen (vgl. Rösler 2006b, 2010c, Fandrych 2007, 2010) wird die Position vertreten, dass die Trennung von Fremdsprachenunterricht und Inhaltskursen zum Teil aufgehoben werden sollte.7 Als Grund wird die heute „real existierende Mehrsprachigkeit“ (Rösler 2006b, 231) angeführt, die den Lehrenden heute in jeder Unterrichtssituation begegnet und die Unterrichtskonzepten, die von der monolingual bias8 ausgehen, eine Absage erteilt. So wird mit Blick auf die Unterrichtspraxis die Frage gestellt,

      was man in den Sprach- und in den Fachlehrveranstaltungen tun kann, um eine optimale Kombination von sprachlicher Kompetenz und intellektueller Herausforderung zu produzieren, die sowohl das Argument der Optimierung des Sprachenlernens als auch das der maximalen intellektuellen Stimulanz ernst nimmt. (Rösler 2006b, 231)

      Während Rösler hier allgemeinsprachliche Kompetenzen im Blick hat, stellt Fandrych (2007) die Frage, wie universitärer Fachunterricht für den Erwerb von wissenschaftssprachlicher Handlungsfähigkeit genutzt werden kann. In beiden Fällen spielt Zwei- oder Mehrsprachigkeit im Unterricht eine Schlüsselrolle, um sowohl das Fremdsprachenlernen zu unterstützen und inhaltlich auf (fast) ebenso hohem Niveau zu arbeiten wie in Inhaltsseminaren, die in der L19 der Studierenden stattfinden. Fandrych (2010) spricht sich so für eine „aufgeklärte Zweisprachigkeit“10 in stärker inhaltsorientierten Seminaren aus, und gibt konkrete Tipps, z.B. dass alle Aufgaben eine Sprachdimension enthalten sollten. Die wissenschaftlichen Texte in der Fremdsprache sollten auch (in Ausschnitten) sprachlich betrachtet werden, unter Hinzunahme von Beispielen aus der L1, so dass diese verglichen werden können. Rösler schlägt zum einen eine stärkere Verbindung von Sprach- und Inhaltskursen vor, gibt aber auch konkrete Tipps für die Unterrichtspraxis. In Seminaren und Vorlesungen, die in der Fremdsprache stattfinden, könne z.B. die Rezeption erleichtert werden durch PowerPoint-Präsentationen, annotierte Skripte und Vokabellisten. Code-Switching der Lehrenden könne das Verständnis der Studierenden unterstützen, ebenso sei es wichtig zuzulassen, dass die Studierenden in ihrer L1 an den Diskussionen teilhaben: „[D]as Primat des Inhaltlichen in diesen Seminaren muss die Sprachwahl dominieren, so dass ein genuin zwei- oder mehrsprachiger Verstehens- und Diskussionsprozess im Seminar sich entwickeln kann“ (Rösler 2006b, 232f). Neben diesen durchaus sinnvollen Vorschlägen ist davon auszugehen, dass digitalen Medien im Allgemeinen und asynchroner computervermittelter Kommunikation im Besonderen eine Schlüsselrolle in universitärem Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht zukommt.11 Verstehens- und Diskussionsprozesse in der Fremdsprache können unterstützt werden, wenn die Studierenden, wie in asynchronen Online-Diskussionen, sowohl für die Produktion als auch die Rezeption mehr Zeit haben; indem die Studierenden aber auch Beiträge in der Ausgangssprache verfassen dürfen, dominiert „das Primat des Inhaltlichen“. In der Datenanalyse wird so auch die Frage aufgegriffen werden, welchen Mehrwert asynchrone computervermittelte Kommunikation für universitären integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht bietet.

      Das folgende Kapitel widmet sich jedoch zunächst der Bedeutung des Schreibens für das Lernen, da dieser Aspekt für die Analyse und die Einschätzung des Lernpotenzials asynchroner Online-Diskussionen von Bedeutung ist.

      2.4 Epistemisches Schreiben

      Der Begriff des epistemischen, d.h. erkenntnisbildenden Schreibens geht auf Bereiter (1980) zurück, in dessen Schreibentwicklungsmodell epistemisches Schreiben die höchste Stufe ist. Sie wird erst in der Adoleszenz erreicht – wenn überhaupt. Schreiben als Bewusstmachung, mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns und des Wissenserwerbs, spielt in der Fremdsprachendidaktik eine eher ungeordnete Rolle, was nicht nur daran liegt, dass die fremdsprachlichen Kenntnisse des Schreibenden auf einem hohen Niveau sein müssen, da die mentalen Ressourcen nicht mit Formulierungsarbeit belegt sein dürfen. Zudem muss die Fähigkeit des epistemischen Schreibens in der L1 entwickelt sein. In der vorliegenden Arbeit ist das epistemische Schreiben relevant, da ein Aspekt des Lernpotenzials von asynchronen Online-Diskussionen für landeskundliches Lernen auf diese Funktion des Schreibens zurückzuführen ist (vgl. beispielsweise Kapitel 6.2.2). Um die Ergebnisse theoretisch zu verankern, wird im Folgenden kurz auf die Rolle des Schreibens für das Lernen von Fremdsprachen eingegangen, sodann auf das epistemische Schreiben.

      Die Fertigkeit Schreiben hatte in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik unterschiedliche Stellenwerte, so stand sie im Zentrum in der Grammatik-Übersetzungsmethode, während sie im kommunikativ ausgerichteten Unterricht „eher verpönt“ war (Paris 1999, 1, vgl. Mohr 2010, 993). Derzeit lässt sich feststellen, dass das Schreiben als Medium zum Fremdsprachenlernen betrachtet wird und dass dem funktional-kommunikativen Schreiben eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Mohr 2010, 995). Digitale Medien spielen hinsichtlich Letzterem eine Rolle, wenn die mitteilungsbezogene Funktionalität des Schreibens durch beispielsweise Telekollaboration erfüllt wird (vgl. Rösler 2007, 180) oder eben durch Diskussionsforen. Rösler weist jedoch zurecht darauf hin, dass das Schreiben nur dann sinnvoll ist, wenn sowohl die Verfasser/-innen als auch die Leser/-innen sich durch die Texte tatsächlich etwas mitteilen: „Wenn ein Produkt keine Leser hat und die Lernenden absehen können, dass es keine haben wird, dann sind diese Versuche, mitteilungsbezogenes Schreiben […] zu initiieren, auch nicht viel besser als das traditionelle Schreiben nach Anweisung“ (ebd.). Eine Möglichkeit zu untersuchen, ob die mitteilungsbezogene Funktionalität von Diskussionsbeiträgen erfüllt wird, liegt in der Interaktionsanalyse der Diskussionen, denn wenn die Studierenden sich in ihren Beiträgen aufeinander beziehen, bedeutet dies, dass sie diese gelesen haben und dass die Beiträge etwas enthalten, das als kommentierungswürdig erachtet wird (vgl. Kapitel 5.8).

      Mit dem epistemischen Schreiben im Bereich des Fremdsprachenunterrichts setzt sich Paris auseinander, die das Potenzial des wissensentwickelnden, wissensstrukturierenden und denkunterstützenden Schreibens untersucht (vgl. Paris 1999, 2), wobei zu betonen ist, dass epistemisches Schreiben als prozessorientierter Ansatz verstanden wird. Es geht demnach nicht um die Beurteilung eines fertigen Schreibprodukts, sondern darum, den Schreibprozess effektiv als Problemlösungsprozess zu nutzen: „So wird das Denken, das Finden neuer Gedanken und die Strukturierung der vorhandenen Gedanken beim Erstellen des Textes unterstützt. Der Text selber geht so über das reine Darstellen von vorhandenen Wissensbeständen hinaus“ (ebd. 4). Hier biete sich vor allem personales und kreatives Schreiben an, die in der fremd- und zweitsprachlichen Schreibdidaktik ihren festen Platz haben (vgl. Mohr 2010, 996). Ziel ist das Schreiben persönlich bedeutsamer und identitätsbildender Texte: Im persönlichen Schreiben sollen sich die Lernenden so „ihrer eigenen Persönlichkeit bewusst werden und expressiv und selbstreflektierend in ihren Schreibprodukten ihrer Identität nachspüren“ (Paris 1999). Für das Fremdsprachenlernen ist dahingehend besonders relevant, dass dies oft mit einer besonderen Motivation und dem Bemühen um sprachliche Klarheit einhergeht (vgl. Mohr 2010, 996). Kreative Schreibformen hingegen sind nicht an die eigene Persönlichkeit gebunden, aber auch dort geht es um expressives Schreiben und vor allem die Aktivierung der Imaginationskraft. In diesem Sinne ist kreatives und personales Schreiben auch erkenntnisleitend, wie Memminger betont:

      Um zu einem selbstverständlichen und vielleicht sogar lustvollen Schreibhandeln zu gelangen, darf das schulische Schreiben nicht nur rein kognitiv und ‚trocken‘ sein. Die affektiv-emotionale Ebene muss dabei ebenso berücksichtigt werden. Schreiben kann und soll Spaß machen. Das kann beim spielerisch-fiktionalen Gestalten ebenso geschehen wie beim Schreiben von Texten, die Raum lassen für eigene Ansichten, Urteile und die Formulierungen von Befindlichkeiten. (Memminger 2007, 35)

      Im Geschichtsunterricht sowie in jeglichem Sachfachunterricht findet jedoch in den meisten Fällen epistemische Schreiben nicht durch kreatives Schreiben statt (vgl. Memminger 2007, 36f), sondern vielmehr im Zuge von Analysen, Stellungnahmen und Erörterungen. Darin zwingt das Schreiben „den Menschen