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Literatur und Mehrsprachigkeit


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der Beiträge dieses Handbuchs, insbesondere dafür, dass sie es auf sich genommen haben, sich durch das ›Dickicht‹ eines Forschungsfeldes zu arbeiten, in dem es an einschlägigem Orientierungswissen zurzeit zum Teil noch fehlt. Die Idee für dieses Handbuch geht auf Veranstaltungen zurück, die im Zuge des vom Fond National de Recherche Luxembourg (FNR) finanzierten Projekts MULTILING sowie des Pendant-Projektes an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wurden. Unser Dank gilt dem FNR sowie allen an diesem Projekt Beteiligten: Georg MeinMein, Georg und Isabell BaumannBaumann, Isabell (Universität Luxemburg), Claude D. ConterConter, Claude D. (Centre national de littérature, Luxemburg), Thomas ErnstErnst, Thomas (Amsterdam), Liesbeth MinnaardMinnaard, Liesbeth (Leiden) und Anke GilleirGilleir, Anke (Leuven). Die Teilnehmer an den durch das Projekt veranstalteten Tagungen und Workshops haben entschieden dazu beigetragen, dass wir einen hinreichenden Überblick über die Materie gewinnen konnten. Ihnen allen sei ebenso herzlich gedankt wie Tillmann Bub, der das Projekt als Lektor sachkundig und vor allem geduldig betreut hat. Ohne die Übernahme des Druckkostenzuschusses durch das Institut für deutsche Sprache und Literatur und für Interkulturalität der Universität Luxemburg hätte das Handbuch nicht erscheinen können. Wir sind dem Institut ebenso zu Dank verpflichtet wie all denen, die der Bitte um Unterstützung nachgekommen sind, mit der wir uns an die Fachöffentlichkeit gewandt haben, um einen Überblick über gegenwärtige Formen der Institutionalisierung der Beschäftigung mit literarischer Mehrsprachigkeit zu gewinnen.

      Luxemburg / Essen, im Juni 2017

      I. Kulturelle und soziale Rahmenbedingungen literarischer Mehrsprachigkeit

      1. Sprache und Kultur

      Till Dembeck

      a) Begriffsbestimmung

      Literarische Mehrsprachigkeit wird in der jüngeren Forschung schwerpunktmäßig mit Blick auf Fragen der Kulturdifferenz diskutiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass Sprachdifferenzen für Kulturdifferenzen stehen können oder sie überhaupt erst erzeugen. Im Folgenden werden die begrifflichen und historischen Voraussetzungen dieser Engführung erläutert. Dabei stehen weniger die beispielsweise in der Soziologie geführten Grundlagendiskussionen im Vordergrund, etwa zum Zusammenhang von Gesellschaftsstruktur und Kultur. Vielmehr wird Kultur aus einer dezidiert philologischen Perspektive in den Blick genommen.

      Obgleich (oder weil) der Kulturbegriff grundlegend für die Geisteswissenschaften ist, gehört er zu ihren umstrittensten Konzepten. Grob lassen sich dabei zwei Tendenzen der Begriffsbestimmung erkennen: Kultur gilt einerseits als gesellschaftliches Gedächtnis und mithin als Grundlage für gesellschaftliche Bedeutungskonstitution (›Kultur als Text‹). Andererseits wird die normative Funktion von Kultur geltend gemacht. Dann gilt Kultur als Inbegriff gesellschaftlicher Regeln. Beiden Vorstellungen von Kultur ist gemeinsam, dass sie deren Grundlagen als kontingent ansehen, ihr aber dennoch Determinationskraft zuschreiben. Vorgeschlagen wird hier, Kultur als Bezeichnung für das (grundsätzlich offene) Bündel von Mechanismen zu verstehen, die einer Gesellschaft Signifikanz bereitstellen, d.h., bedeutungsunterscheidende Differenzen (nicht bereits Bedeutungen). Aus dieser Bestimmung lassen sich sowohl der semantische als auch der regulative Stellenwert von Kultur ableiten (dazu Abschnitt c).

      Insofern Sprachsysteme auf Phonemen und Graphemen (und ihren Korrespondenzen) als ihren kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten aufbauen, ist der Zusammenhang zum Kulturbegriff evident: Sprache ist, weil sie systematisch Signifikanz erzeugt, Teil von Kultur. Sprachdifferenzen lassen sich daher auch als Differenzen in der Art und Weise der Signifikanzerzeugung beschreiben und damit wiederum auch als Kulturdifferenzen. Diese Beschreibung setzt voraus, dass es neben Sprache weitere Mechanismen und Strukturebenen von Kultur gibt, z.B. ikonische oder akustische Zeichensysteme, das individuelle Gedächtnis inklusive der psychischen bzw. neuronalen Mechanismen, auf denen es beruht, oder auch digitale Algorithmen, die unabhängig von psychischen und/oder sozialen Operationen Signifikanzen erzeugen.

      b) Die historische Semantik von Kultur in ihrem Verhältnis zur Sprache

      Vieles spricht dafür, dass die abendländischen Semantiken von Kultur und Sprache mehr oder weniger gleichursprünglich sind. So gilt der griechischen Antike die Beherrschung ihrer Sprache als Ausweis von ›Kultur‹, so dass alle diejenigen, die nicht über das Griechische verfügen, als sprachunfähige Barbaren gelten. Die griechische Kultur ist einerseits strikt einsprachig (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 25f.), dabei zugleich offen für binnensprachliche Varianz, verfügt aber andererseits nicht über die Vorstellung von Spracheinheiten, also von in irgendeiner Form abgeschlossenen und voneinander abgrenzbaren Idiomen (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 303–305). Die Differenz Kultur/Barbarei bleibt zunächst die einzig denkbare Unterscheidung, auch wenn sie in ganz unterschiedlicher Art relativiert wird, etwa in HerodotHerodots Ausführungen über die Ägypter, für die u.a. die Griechen βάρβαροι (Barbaren) sind (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 303f.); in der Stoa, die asymmetrische Gegenbegriffe für die Einteilung der Menschheit zu überwinden versucht, und schließlich insofern, als die Differenz zwischen Griechen und Barbaren zum Teil auch zeitlich gedacht wird, so dass die Griechen sich mit der Kulturalität ihrer Sprache zugleich auch Fortschrittlichkeit attestieren (KoselleckKoselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik«, 222–229; zur Spannweite der griechischen Auffassungen über Sprach- und Völkervielfalt siehe BorstBorst, Arno, Der Turmbau von Babel, 89–108).

      Auch wenn sich bereits in AristotelesAristoteles’ Poetik Überlegungen zu den ›Wortarten‹ finden, bezeugt die sich verdichtende Überlieferung grammatischer Traktate im Hellenismus und um die Zeitenwende ein erstarkendes Bewusstsein für die Regelhaftigkeit von Sprachsystemen und damit auch für die Differenzen zwischen unterschiedlichen Idiomen. Hintergrund dieser Entwicklung ist nicht zuletzt die Etablierung des Lateinischen als einer zweiten überregionalen und zunehmend kodifizierten Sprache, die insbesondere ihr Verhältnis zum Griechischen zu regeln hat (LeonhardtLeonhardt, Jürgen, Latein, 53–89). Es etablieren sich so einerseits vergleichsweise strikte Begriffe von Sprachrichtigkeit (latinitas) und damit auch striktere Vorstellungen von ›sprachlicher Einheit‹; andererseits wird Sprachrichtigkeit – insbesondere bei QuintilianQuintilian, Marcus Fabius – als grundsätzlich offen für rhetorisch motivierte Grenzüberschreitung beschrieben (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 45–55). Pointiert lässt sich formulieren, dass damit die Sprache im Licht der Rhetorik als eine Art Mechanismus kultureller Variation erscheint. Allerdings empfehlen die Rhetoriker, Abweichungen von der Sprachrichtigkeit behutsam und wenn möglich unter Berufung auf Autoritäten einzusetzen.

      Auch die wichtigsten Belegerzählungen der jüdischen und dann der christlichen Tradition für Fragen der Sprachdifferenz, die Babel- und die Pfingstwundererzählung, weisen Sprache als Anzeichen oder Instrument von Kultur aus. So hat der Bau des Turms zu Babel das Ziel, den Zusammenhalt der Menschheit zu sichern (Gen 11) – widerspricht damit aber dem göttlichen Willen, der mit der Besiedlung der Erde durch die Menschen offenbar auch die Zerstreuung ihrer Sprachen vorgesehen hat (Gen 1.26–28).1Borst, ArnoBorst, Arno Umgekehrt ist die Verheißung des Pfingstwunders auch eine der Aufhebung aller Sprachdifferenzen im und durch den christlichen Glauben.

      Die im weitesten Sinne kulturelle Unterscheidung zwischen Christen und Heiden, die in vielerlei Hinsicht die ältere Differenz zwischen Hellenen und Barbaren beerbt (KoselleckKoselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik«, 229–244), hat so einerseits einen sprachtranszendierenden Impetus. Ein Beispiel dafür ist die Abwendung des Kirchenvaters AugustinusAugustinus von Hippo von der Kunst der Rhetorik. Augustinus spielt in PaulinischerPaulus von Tarsus Tradition das Wort Gottes gegen das menschliche, auf die Pluralität von Wörtern angewiesene Sprechen aus (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 83–91) und bereitet so die Verknüpfung christlicher Theologie mit einem sich auf AristotelesAristoteles rückbeziehenden Denken vor, das Gedanken bzw. Logik unabhängig von Sprache und damit auch von partikularen Kulturdifferenzen konzipiert (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 25–34, 45–52). Andererseits entwickelt das Christentum – auch hier ist AugustinusAugustinus von Hippo eine prägende Kraft – in Fortschreibung antiker Rhetorik