Jana Gamper

Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen


Скачать книгу

unterschiedliche Mitspieler verschiedene Rollen einnehmen. Das Verb legt dabei fest, welche Rollen zu vergeben sind. Ein von Fillmore häufig gebrauchtes Beispiel ist das der kommerziellen Transaktion. So würde das Verb kaufen unterschiedliche an der Kaufhandlung beteiligte Aktanten umfassen, nämlich den Käufer, den Verkäufer, die Ware sowie zum Kauf der Ware benötigte Mittel (vgl. Fillmore 1977). Folgt man Fillmores Überlegungen, würde das Verb kaufen diese Handlung und an ihr teilnehmende Mitspieler kognitiv evozieren, weil der Sprecher über verstehens- und wissensrelevante Schemata4 (Frames) verfügt, das heißt auf der Basis seiner Erfahrungen weiß, wie eine Kaufsituation abläuft und wer daran beteiligt ist. Die Verbbedeutung bestimmt, wer im satzinternen Miniaturstück mitspielen darf. Das Verb eröffnet ein Spektrum an Leerstellen (slots), die gefüllt werden können, jedoch nicht müssen.5 Ein Verb wie kaufen enthält zum Beispiel die Leerstellen [KÄUFER] und [GEKAUFTES]. In der Valenzgrammatik ist das Prinzip der Leerstelle vergleichbar mit der Wertigkeit des Verbs, das heißt mit der Anzahl der Bindungsstellen, die ein Verb mitbringt. Die slots müssen vom Sprecher mit auf die spezifische Handlung angepassten fillern ausgefüllt werden. Die Mitspieler müssen also konkret benannt werden (zum Beispiel Der Mann kauft eine Hose). Im Prinzip lässt sich unter Berücksichtigung mapping-bezogener und valenzgrammatischer Prinzipien ein zweiphasiger Prozess bei der Konstruktion von Sätzen annehmen. Die Nutzung eines spezifischen Verbs macht es erforderlich, an der Handlung beteiligte Aktanten überhaupt zu benennen. Mithilfe der grammatischen Mittel Wortstellung und Kasusmarker wird in einem weiteren Schritt spezifiziert, welcher Aktant welche Rolle im Handlungsrahmen einnimmt. So sind für die Leerstellen des Verbs kaufen die filler ‚Mann‘, ‚Hose‘ und ‚Tochter‘ denkbar. Innerhalb des Handlungsrahmens kaufen muss mithilfe formaler Mittel deutlich werden, in welchem Verhältnis Mann, Tochter und Hose stehen und wer von ihnen agentivisch ist (Der Mann kauft der Tochter eine Hose vs. Die Tochter kauft dem Mann eine Hose).

      Im Kontext eines vom Verb evozierten Handlungsrahmens sind Wortstellung und Kasusmarker als zwei Möglichkeiten zu betrachten, um ein und dieselbe Funktion sprachlich abzubilden. Im Deutschen, Russischen und Niederländischen haben sie eine jeweils unterschiedlich hohe Validität, was bedeutet, dass sie in transitiven Sätzen kontextunabhängig als zuverlässige Indikatoren für semantische Relationen fungieren. So wäre die Wortfolge dann ein valider Indikator, wenn anhand der linearen Abfolge der nominalen Konstitutenten im Großteil der Fälle die vom Verb regierten Rollen ermittelt werden können. Kasusmarker sind wiederum dann valide Indikatoren, wenn unabhängig von der syntaktischen Position der Konstituenten anhand der morphologischen Markierung auf ihre semantische Rolle im Satz geschlossen werden kann. So ist es im Deutschen mehr als unwahrscheinlich, dass eine NP des Typs dem Kind ein Agens kennzeichnet, da die Artikelform dem ein valider Indikator für Nicht-Agentivität und so in Hinblick auf diese Funktion transparent ist. Daneben finden sich im Deutschen Formen wie die Frau. Die Artikelform die ist uneindeutig, weil sie sowohl als Agens- als auch als Patiensmarker fungiert (zum Beispiel Die Frauag sieht den Mann vs. Der Mann sieht die Fraupat). Ohne die Einbettung in einen syntaktischen Zusammenhang ist es auf der Basis der isolierten NP nicht möglich, diese in Hinblick auf ihr Agentivitätspotential einzustufen, sodass die Artikelform die funktional intransparent ist. Was für die Beispiele dem und die im Speziellen gilt, lässt sich für ein gesamtes Kasussystem verallgemeinern. Ist die Anzahl intransparenter Formen des Typs die im Gesamtsystem hoch, so sind Kasusmarker prinzipiell unzuverlässige Indikatoren für semantische Relationen. Je höher hingegen der Anteil transparenter Formen des Typs dem, desto höher ist schließlich auch die Validität von Kasusmarkern an sich.

      Das Vorhandensein transparenter Kasusmarker wirkt sich in der Regel auf die Wortstellungsvarianz innerhalb einer Sprache aus. Dabei gilt: Je höher die Validität von Kasusmarkern, desto höher ist in der Regel auch die Wortstellungsvarianz innerhalb von transitiven Satzkonstruktionen. Eine geringe Transparenz von Kasusmarkern führt entsprechend zu einer geringeren Wortstellungsvarianz.

      In einer Sprache wie dem Niederländischen, das – ähnlich wie das Englische – einen Großteil seiner nominalen Kasusmarkierungen verloren hat, kann es im Prinzip keine Wechselbeziehung zwischen Wortstellungsmustern und Kasusmarkern geben. Morphologische Marker finden sich weder am Artikel noch am Substantiv.6 Die Differenzierung zwischen Agens und Nicht-Agens erfolgt im Niederländischen mittels der Abfolge der NPs im Satz (N > N = AGENS > NICHT-AGENS). Verändert man die Position der NPs im Satz, so verändern sich auch die semantischen Relationen. Im Deutschen hingegen kennzeichnen spezifische Kasusmarker die Relation zwischen Agens und Nicht-Agens, sodass die Position der beiden NPs im Satz vertauscht werden kann, ohne dass damit eine Bedeutungsveränderung einherginge (s. Tabelle 1).

      Tabelle 1: Kennzeichnung semantischer Relationen im Niederländischen und Deutschen7

      Obwohl das Niederländische wie das Deutsche über Artikel verfügt, bleiben die genusspezifischen Formen de (MASK/FEM) und het (NEUT) kontextübergreifend unverändert. Die Position der nominalen Konstituenten ist damit der einzige verlässliche Indikator für semantische Relationen und hat damit eine besonders hohe Validität.

      Tabelle 1 enthält mit Blick auf das Deutsche Sätze des Typs SVO (Beispiele 1, 3, 5 und 7) und OVS (Beispiele 2, 4, 6 und 8). Beide Varianten sind im Gebrauch möglich, jedoch erfüllt nur eine davon die Kriterien, um als Basiswortstellung eingestuft werden zu können. In Hinblick auf die Frage, welche Wortfolge im Deutschen als neutral einzustufen ist, bewegt sich die Diskussion besonders um die Position des Verbs und dabei vor allem um die Kontroverse, ob Deutsch als SOV- (vgl. zum Beispiel Hawkins 1983, Müller 2015) oder SVO-Sprache (vgl. zum Beispiel Greenberg 1963, Dryer 2013) einzustufen ist. Jenseits des Disputs um die Position des Verbs, findet sich in beiden Ansätzen eine zentrale Gemeinsamkeit: Die Realisierung des Subjekts vor dem Objekt wird in beiden Fällen quasi vorausgesetzt. Die Umkehrung der SO-Abfolge zu einer OS-Struktur wird hingegen von pragmatischen Faktoren sowie Dialogstrukturen abhängig gemacht (vgl. zum Beispiel Machate/Hoepelmann 1992). Sätze wie Den Bruder sieht die Frau sind zwar möglich, müssen jedoch als Abweichung vom neutralen Fall gewertet werden. Am stärksten diskutiert wird der Grund für Wortstellungsvarianzen dieser Art (S>O vs. O>S) im Kontext der Funktionalen Satzperspektive. Faktoren wie Thema/Rhema, Figur/Grund, Topik/Fokus spielen für die Wahl der jeweiligen Konstituentenabfolge eine entscheidende Rolle.

      In der Regel wird im Deutschen das Topik im Vorfeld realisiert; die satzinitiale Subjektpositionierung kann damit als Prototyp sowie als „universelle Tendenz“ bezeichnet werden (Musan 2010: 35). Wortstellungsvarianz im Rahmen eines transitiven Satzes ist damit ein Mittel der Informationsorganisation im Gespräch. Ein zusätzliches Merkmal in Hinblick auf die potentielle Fokussierung, die durch die Wortabfolgevarianz einhergehen kann, ist die Intonation. Ohne an dieser Stelle auf die einzelnen Möglichkeiten der Hervorhebung und Fokussierung einzugehen (vgl. für einen Überblick Abraham 32013, Dürscheid 62012 sowie Welke 2002), bleibt festzuhalten, dass in Bezug auf die Abfolge nominaler Konstituenten im Deutschen S>O als kanonisches beziehungsweise unmarkiertes, O>S hingegen als nicht-kanonisches beziehungsweise markiertes Muster einzustufen ist (vgl. auch Haider 2010, Lenerz 1977, Zubin/Köpcke 1985).

      Die Unterschiede der beiden Varianten spiegeln sich auch in einer ungleichen Verteilung von SO- und OS-Sätzen im Deutschen wider. Anhand einer exem­plarischen Korpusanalyse von Schlesewsky et al. (2000: 67f.), die mithilfe von gesprochenen Sprach-, nicht-fiktionalen sowie fiktionalen Korpora (Analyse von 2826 Sätzen) durchgeführt wurde, lässt sich folgende Tendenz nachzeichnen:8 OS-Sätze kommen prinzipiell in allen Gesprächs- und Textgattungen signifikant seltener vor als SO-Sätze. In der gesprochenen Sprache ist der Anteil von OS-Strukturen mit ca. 10 % am höchsten, danach folgen fiktionale (ca. 8 %) und zuletzt nicht-fiktionale Texte (5 %). Zu ähnlichen Werten für schriftsprachliche Texte kommen Hoberg (1981) sowie Kempen/Harbusch (2005). Etwas höher liegt der Gesamtanteil der OS-Sätze bei Weber/Müller (2004) sowie Bader/Häussler (2010), die auf einen Anteil von 18,5 % beziehungsweise 17,5 % kommen. Bader/Häussler (2010) führen ihre vergleichsweise hohen Werte auf die Tatsache zurück, dass ausschließlich den-NPs