Tamara Zeyer

Grammatiklernen interaktiv


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des Imperativs

      Wie viel Grammatik braucht der Mensch? Eine Antwort auf diese Frage interessiert gewiss alle, die sich mit Fremdsprachenlernen auseinandersetzen: Lernende, Lehrende, Lehrwerkautoren und Forschende. Diese Frage wird auch als Titel einiger fremdsprachendidaktischer Beiträge aufgeführt (vgl. Gaiser 1950; Harden und Marsh 19931; Helbig 1993; Raabe 2007b, 2009). Dass sie immer wieder gestellt wird, deutet darauf hin, dass bisher keine eindeutige Antwort gefunden wurde. Während in der Arbeit von Helbig (1993) die Auseinandersetzung mit dem Grammatikbegriff sowie die Gewichtung linguistischer und didaktischer Grammatiken im Fokus stehen, versucht (Raabe 2007b) die Frage praxisorientiert zu beantworten und sich auf die Quantität der expliziten Grammatikvermittlung zu beschränken. Es ist nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der generellen Vermittlungsstrategie implizit/induktiv oder explizit/bewusstmachend. Jedoch betonen beide Autoren die Notwendigkeit einer Spezifizierung.2 Dabei können viele Aspekte in Betracht gezogen werden: biologisches Alter der Lernenden, das Sprachniveau, Vorkenntnisse, Herkunftssprache, Lerntypen, Phase des Lernens, Lernschwierigkeit etc. (vgl. Helbig 1993; Jung 1993; Raabe 2007b, 2009). In Anbetracht der Vielzahl von Aspekten wird im folgenden Kapitel auf jene fokussiert, die für die vorliegende Arbeit von hoher Relevanz sind. Die Merkmale der Interaktiven Grammatik und der Konzepthintergrund bedingen Aspekte wie Vermittlungsart (induktiv vs. deduktiv) sowie Besonderheiten von Lernenden auf Anfängerniveau. Daher werden im Folgenden allgemeine Prinzipien der Grammatikvermittlung und Verwendungsaspekte der Terminologie im Anfängerbereich erläutert. Da im Rahmen der vorliegenden Studie die Teilnehmenden die Einheit der Interaktiven Grammatik zum Thema Imperativ bearbeiteten3, steht der Imperativ im Mittelpunkt dieses Kapitels. Dabei wird das grammatische Phänomen in den linguistischen und didaktischen Diskussionen sowie die Darstellung und Behandlung des Imperativs in DaF-Lehrwerken thematisiert. Die Ergebnisse der Lehrwerkanalyse stehen in direkter Verbindung mit der Konzeption der jeweiligen Einheit der Interaktiven Grammatik. Auf Grund dessen werden zum Schluss des Kapitels die Konsequenzen für das Projekt zusammengefasst.

      4.1. Aspekte der Grammatikvermittlung

      Bevor einzelne Aspekte der Grammatikvermittlung erläutert werden, wird auf die Frage der expliziten Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht eingegangen. Dem Interface-Problem bzw. der Frage, ob explizites Wissen grammatischer Strukturen für den Spracherwerb fördernd ist, widmen viele Forschende ihre Aufmerksamkeit (vgl. z. B. Schlak 19991; Schulz 20022; Pagonis und Salomo 20143). Es handelt sich um die Relevanz expliziten Wissens bzw. expliziter Grammatikvermittlung für die Sprachverwendung bzw. inwieweit sich explizites Wissen in implizites umwandeln lässt (vgl. Schlak 1999: 6). Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen hinsichtlich des Interface-Problems liefert jedoch keine eindeutigen Antworten zum Nutzen expliziter grammatischer Informationen für die Unterstützung des Spracherwerbs (vgl. ebd.: 27).

      Vor diesem Hintergrund wird in diesem Kapitel zunächst auf die Frage grammatischer Terminologie, als Bestandteil expliziter Grammatikvermittlung, eingegangen. Da die Interaktive Grammatik selbstständiges Entdecken, Lernen und Üben grammatischer Phänomene ermöglicht, werden eine induktive und eine deduktive Vorgehensweise diskutiert. Darüber hinaus lassen sich viele Ähnlichkeiten im Aufbau der digitalen Lernsoftware mit der Struktur didaktischer Grammatiken feststellen. Daher werden Anforderungen an didaktische Grammatiken und ihre Unterschiede zu wissenschaftlichen Grammatiken zusammengefasst.

      4.1.1. Grammatische Terminologie

      Der Aspekt grammatischer Terminologie steht im engen Zusammenhang mit der Diskussion über explizites Lernen, bei dem Lernende mit einer grammatischen Regel konfrontiert werden. Die Diskussion über das Interface-Problem resümierend, betont Schlak: „Die Entscheidung, ob explizite Grammatikarbeit im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen soll, muß folglich gegenwärtig noch primär auf Grundlage konkreter Lernkontexte und Zielgruppen gefällt werden“ (Schlak 1999: 27). Im Unterricht kann eine Lehrperson ausgehend von Vorwissen, Lernpräferenzen und Bedürfnissen von Lernenden sowie in Abhängigkeit vom benutzten Lehrwerk entscheiden, wie viel und welche Terminologie bei der Grammatikdarstellung verwendet wird. Es stellt sich jedoch die Frage, wem so eine Entscheidung beim Selbstlernen überlassen werden sollte. Bereits bei der Konzeption und Entwicklung von Selbstlernmaterialien müssen sich die Lernmaterialentwickler entscheiden, wie viel Terminologie den Selbstlernenden zuzumuten ist. Die Möglichkeit, eine grammatische Regel zu klären und zu formulieren, muss m. E. vorhanden sein. Ob sie genutzt wird oder nicht, sollten die Lernenden selbst entscheiden können. Außerhalb des deutschsprachigen Raums und außerhalb eines unterrichtlichen Kontextes besteht kaum eine Gelegenheit, sich implizites Wissen über eine Fremdsprache anzueignen, auch wenn man einen massiven Informationsinput durch Video-, Audio- und Lesematerialien bekommt. Lernende werden im Lernprozess einen Punkt erreichen, an dem explizite Informationen über grammatische Strukturen einer Fremdsprache für einen Lernzuwachs nötig sind. Die Strukturen können mithilfe von Beispielen präsentiert werden, jedoch ist die Verwendung grammatischer Terminologie unvermeidbar.

      „Grammatische Termini (Fachbezeichnungen) sollten im Unterricht nur dort benutzt werden, wo sie wirklich der Erklärung von Sachverhalten dienen […]“ (Götze 1994: 5). Eine Anknüpfung an den Lernenden bekannte Termini und eine behutsame Hinführung zu lateinischen Benennungen (vgl. ebd.) können Lehrende gewährleisten. Eine Herausforderung ist die Anknüpfung an Vorkenntnisse auf Anfängerniveau. Während didaktische Einführungen allgemeine Empfehlungen zur grammatischen Terminologie umfangreich beinhalten, sind Untersuchungen zur Grammatikvermittlung für Anfänger kaum zu finden.1

      Schlak versucht in seiner Studie, die Frage zum Umgang mit Termini im Grammatikunterricht zu beantworten und stellt fest, dass Lernende auf zielsprachliche Grammatikerklärungen im Unterricht nicht verzichten möchten (vgl. Schlak 2000: 184 ff.).2 Außerdem könne dadurch der Anteil der Zielsprachenkommunikation erhöht werden. Allerdings ist es keine feste Regel und die Lehrenden sollten bereit sein, komplexe Inhalte in der Herkunftssprache zu besprechen (vgl. ebd.: 201). Übertragen auf Selbstlernmaterialien wäre denkbar, zur Vorentlastung grammatische Begriffe in verschiedenen Sprachen anzubieten. In der Konzeptionsphase des Projektes Interaktive Grammatik wurde diese Option in Betracht gezogen, jedoch war sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht realisiert. Die Benutzung grammatischer Terminologie ausschließlich auf Deutsch wird damit gerechtfertigt, dass die Interaktive Grammatik nicht für Lernende einer bestimmten Muttersprache konzipiert wurde.

      Interessant ist die Frage, wie viel Grammatikterminologie den Selbstlernenden auf den Niveaustufe A1 und A2 zuzutrauen ist. Visuelle Elemente, insbesondere in der Präsentationsphase, können dabei eine große Hilfe sein, wie bereits in Kapitel 2.2 dargestellt wurde. Jedoch ist die Präsentation eines grammatischen Phänomens ohne verbale Erklärung bzw. Verwendung grammatischer Terminologie kaum vorstellbar. Laut Schmidt (1990: 160) ist die Aufgabe einer Lernergrammatik, die Formen, Strukturen und Funktionen „so konkret und anschaulich wie möglich und nur so abstrakt wie unbedingt nötig“ darzustellen. Genauso gilt dieses Prinzip für Selbstlernmaterialien. Wobei Storch betont, dass Lernergrammatiken für Selbstlernende ausführlicher als Lehrmaterialien im Unterricht sein sollten, da Selbstlernende keine Unterstützung seitens einer Lehrperson haben und selbstständig grammatischen Stoff verstehen müssen (vgl. Storch 1999: 79).

      4.1.2. Induktiv und deduktiv, entdeckendes Lernen

      Induktive und deduktive Verfahren bei der Grammatikvermittlung stehen im Mittelpunkt vieler didaktischer Diskussionen. Dabei werden Versuche unternommen, die Frage aus verschiedenen Perspektiven ‒ sowohl der Lernenden (Raabe 2007b), als auch der Lehrenden (vgl. z. B. Koenig 20011; Pessutti Nascimento 20142) ‒ zu betrachten.

      Schmidt (1990: 160-161) fasst die wesentlichen Merkmale von Lernergrammatiken zusammen und betont, dass eine solche Grammatik auf „Verstehbarkeit, Behaltbarkeit und Anwendbarkeit“ beruhen sollte. Dabei sei der induktive Weg vorzuziehen, da Lernende vom leichter Verstehbaren zum schwerer Verstehbaren, also vom Konkreten zum Abstrakten, vorgehen würden. Die Selbstständigkeit bei der Erkenntnisgewinnung sollte „zu besserem Verstehen und leichterem Behalten“ führen. Darüber hinaus müssen sich Lernende selbst Regelmäßigkeiten erschließen, was Schmidt