Tamara Zeyer

Grammatiklernen interaktiv


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dass im Hinblick auf die Definition des Imperativs die erwartete Präzision vorhanden ist. Werden die vorhandenen linguistischen Beschreibungen verglichen, sind unterschiedliche Positionen in der linguistischen Diskussion erkennbar. Der Imperativ lässt sich sowohl dem Modus als auch dem Satztyp1 einordnen, abhängig davon, von welchen Kriterien — morphologischen, semantisch-pragmatischen oder syntaktischen — man ausgeht (vgl. Heinold 2015: 141 ff.). Die Forschungsarbeiten zum Imperativ beinhalten häufig eine kontrastive Analyse des grammatischen Phänomens in anderen Sprachen.2 Da die vorliegende Arbeit keine kontrastive Analyse bezweckt, wird der deutsche Imperativ in einsprachigen linguistischen und didaktischen Diskussionen dargestellt.

      Abbildung 4-1 stellt das verbale Paradigma mit fünf Kategorisierungen nach Eisenberg (1986: 105) dar, die weitere interne Unterkategorien beinhalten. Nach dieser schematischen Zusammenfassung wird die Kategorie des Imperativs dem Modus zugeordnet. Jedoch weist der Autor (wie oben Heinold 2015) auf eine uneinheitliche Behandlung des Imperativs hin. Ausgehend von der Semantik sei er den Modi zuzuordnen. Dass der Imperativ nicht hinsichtlich einer Person flektiert werde, stelle diese Zuordnung in Frage (vgl. Eisenberg 1986: 105).

      Abb. 4-1:

      Kategorien des verbalen Paradigmas im Deutschen (Eisenberg 1986: 105)

      Das Fehlen der Flexion erklärt Weinrich mit dem Argument, dass der Imperativ im Singular „ein Null-Flexiv“ hat (Weinrich 2007: 267).3 Laut Sommerfeldt und Starke sei der Imperativ von den drei Modi am stärksten „an eine bestimmte Situation gebunden“, in der eine Aufforderung an eine oder mehrere Personen gerichtet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Dabei wird vom Gesprächspartner erwartet, dass diese Aufforderung ausgeführt wird. Somit ist der Imperativ in der Regel zukunftsbezogen (vgl. Sommerfeldt und Starke 1988: 92-93). Flämig weist darauf hin, dass der Zeitpunkt der Verwirklichung ebenfalls durch konkrete Angaben4 präzisiert werden könnte (vgl. Flämig 1991: 412). So steht eher die pragmatische Ebene der Aufforderungshandlungen bzw. des Imperativs im Fokus der linguistischen Grammatiken.

      Den Imperativ verbindet man in seiner Funktion in erster Linie mit neutralen Aufforderungssätzen. Jedoch sind weitere Funktionen wie Anleitungen, Apelle, Anweisungen, Bitten, Ratschläge, Verbote und Warnungen bzw. Ermahnungen zu nennen. Durch Partikeln oder verstärkte Druckbetonung übernimmt der Imperativ die eine oder andere Funktion in Gesprächssituationen. Grafisch begleitet das Ausrufezeichen am Satzende oft den Imperativ (vgl. Helbig und Buscha 2001). Imperativsätze ohne Modalpartikeln könnten auf Gesprächspartner unfreundlich oder ungeduldig wirken (vgl. Hentschel und Weydt 1994: 116). Die Negation in Aufforderungsätzen wird zur Zurückweisung der Handlung verwendet und je nach dem Kontext können die Aufforderungen Funktionen wie Abraten, Warnungen oder Verbote übernehmen. „Verbote mit nicht werden nur dann mit dem Imperativ gebildet, wenn ein erkennbarer Adressat da ist […]“ (Weinrich 2007: 869).

      In wissenschaftlichen Grammatiken wird ebenfalls der morphologische Aspekt des Imperativs thematisiert. Der Imperativ wird in der 2. Person Singular und Plural gebildet, wobei er in manchen linguistischen Grammatiken auch in der Imperativform der 1. Person Plural zu findet ist (vgl. z. B. Engel 2009; Flämig 1991). Auch die Bezeichnung der Formen ist nicht einheitlich, wenn in Helbig und Buscha (2001) zwischen Vertraulichkeits- (du- und ihr-) und Höflichkeitsformen (Sie-Form) unterschieden wird, heißen die jeweiligen Formen bei Engel (2009) vertrauliche und Distanzformen des Imperativs. Bei den ersten beiden Formen fallen die Personalpronomina aus, bei der Sie-Form steht das Pronomen nach dem Verb. Wenn die ihr- und Sie-Formen des Imperativs mit den jeweiligen Indikativformen identisch sind, kann die du-Form sprachliche Schwierigkeiten bereiten (Duden 2012). Diese Schwierigkeiten betreffen in erster Linie die Verwendung des Endungs-e bei den meisten regelmäßigen Verben in der 2. Person Singular, wobei diese Form häufig ohne -e „aus rhythmischen Gründen“ verwendet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Fälle, in denen das Endungs-e obligatorisch ist, werden in linguistischen Grammatiken ausführlich beschrieben (vgl. Zifonun et al. 1997: 1755; Weinrich 2007: 267). Eine weitere Schwierigkeit kann der Wechsel des Vokals im Verbstamm starker Verben bereiten. Während der Umlaut von Verben wie laufen (du läufst, aber lauf) bei der Imperativbildung entfällt, wird der Vokalwechsel von e zu i bei einigen Verben (du liest - lies) beibehalten.

      Die meisten linguistischen Grammatiken lassen den Verwendungskontext grammatischer Phänomen außer Acht oder skizzieren ihn sehr kurz. Mit den Informationen, in welchen Kontexten welche Form des Imperativs zu verwenden ist, beschäftigt sich Weinrich in seiner Grammatik (vgl. Weinrich 2007: 102 ff.). Allerdings beziehen sich die Informationen in erster Linie auf die Pronomina. Trotzdem werden sie im Kapitel zu pronominalen Höflichkeitsformen im Zusammenhang mit den Imperativformen dargestellt. So ist laut Weinrich die Anredeform mit Sie im Deutschen bei erwachsenen Gesprächspartnern üblich, „wenn kein spezifisches Sozialverhältnis besteht, das Vertrautheit rechtfertigt“ (Weinrich 2007: 104). Alle unbekannten Erwachsenen werden gesiezt. Will ein sozialer Abstand beibehalten werden, wird die Sie-Form auch unter Kollegen, Bekannten etc. verwendet. Das Duzen ist unter Personen verschiedenen Verwandtheitsgrades sowie Kindern und Jugendlichen gängig. Unter erwachsenen (nicht miteinander verwandten) Personen kann auch geduzt werden, wenn es sich um ein Zeichen der Klassensolidarität handelt. Darüber hinaus werden die Anredeformen zwischen Kindern und Erwachsenen sowie der Übergang vom Sie zum Du thematisiert (vgl. ebd.: 104-105). Auch wenn der Höflichkeitsaspekt vom Siezen und Duzen im Kapitel zur Pronomina dargelegt wird, steht er in einer direkten Verbindung zum Imperativ. In allen anderen linguistischen Grammatiken wird der Höflichkeitsaspekt des deutschen Imperativs nicht aus der Perspektive der Anredeformen, sondern nur am Rande anhand der Wirkung der Aufforderungssätze mit und ohne Modalpartikeln erwähnt (s. o. Hentschel und Weydt 1994).

      4.3. Der Imperativ und die Aufforderung in der didaktischen Diskussion

      Dem Imperativ wird in der didaktischen Diskussion nicht besonders viel Aufmerksamkeit zuteil.1 Er wird jedoch in enger Verbindung mit der Aufforderung betrachtet. Im Gegensatz zur linguistischen Perspektive steht die Funktionalität des Imperativs bzw. der Aufforderungen im Vordergrund.

      Desselmann (1990) betrachtet die Aufforderungen durch das Prisma der Handlungsorientierung. Dabei muss der Sprecher dem Gegenüber seine Intention zum Ausdruck bringen und eine bestimmte Handlung ausführen lassen. Für eine situationsangemessene und adressatengerechte Kommunikation braucht der Lernende jedoch verschiedene sprachliche Mittel. Nur der Imperativ zum Ausdruck von Aufforderungen reiche im Anfängerunterricht erstmal aus, so Desselmann (1990: 164). Dafür schlägt der Autor vor, sich zur Bewusstmachung von Bedeutungsnuancen mit sprachlichen Mitteln in unterschiedlichen kommunikativen Situationen im Unterricht zu beschäftigen. Auf der Grundlage von Faktoren, wie die Art des Kommunikationsbereichs, die Art der kommunikativen Beziehungen der Gesprächspartner und die Art der Handlungsinhalte, unterteilt Desselmann (1990) Subtypen des Sprachhandlungstypen Aufforderung im Gegensatz zu Buscha et al. (1998) in drei Gruppen: bindende, nicht-bindende und handlungsunterstützende Aufforderungen. Der Imperativ wird im Beitrag den nicht-bindenden Aufforderungen zugeordnet. Darüber hinaus verleihe die Partikel mal Sätzen mit einem Imperativ eine Unverbindlichkeit und Höflichkeit (vgl. Desselmann 1990: 170). Da es sich um einen niveauübergreifenden Überblick sprachlicher Mittel handelt, ist der Beitrag aus der situativen Perspektive für die vorliegende Arbeit interessant.

      Während sich Desselmann (1990) mit Aufforderungen hauptsächlich in mündlicher Kommunikation beschäftigt, widmen sich Fandrych und Thurmair (2011) bei der Beschreibung von Aufforderungen der textsortenbezogenen Grammatik. Dabei weisen sie auf verschiedene Kontexte hin, in denen Texte mit einem Aufforderungscharakter vorkommen können: Studienordnungen und Aufgabenstellungen im universitären Kontext, Gebrauchsanweisungen und Kochrezepte im alltäglichen Leben, Reiseführer und Ratgeber in der Freizeit, Horoskope und Kummerkästen in Zeitungen sowie Schilder, Merkblätter, verschiedene Ordnungen, die institutionell gebunden sind (vgl. ebd.: 88ff). Das Wissen von Sprecher und Hörer über die Textsorten, kommunikativen Rahmen sowie sprachliche Mittel stehen im engen Zusammenhang und werden im Beitrag exemplarisch analysiert. Ihre Analyse zeigt, dass der Imperativ „im Deutschen in wirklich handlungsreglementierenden