Radegundis Stolze

Übersetzungstheorien


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ist auch das Beispiel von en. bachelor, das aus den Komponenten [+männlich], [+erwachsen], [–verheiratet] besteht. Hiergegen wird eingewendet, dass z.B. auch der Papst zwar ein „unverheirateter männlicher Erwachsener“ sei, aber doch wohl nicht den Prototyp des ‘bachelor’ darstelle (vgl. SNELL-HORNBYSnell-Hornby 1988:28).

      Für die konkrete BedeutungBedeutung eines Wortes (Lexems) in der RedeRedes. parole kommt dem KontextKontext in seiner monosemierenden Funktion eine entscheidende Rolle zu. Die lexikalische Bedeutung eines isolierten Wortes ist „weitgespannt, vage, sozial und abstrakt“. Erst im Rahmen von Sätzen und Texten, wenn ein Sprecher mit Hilfe der kontextuellen Bedeutungen seine Meinung zum AusdruckAusdruck bringt, wird der Wortinhalt „engumgrenzt, präzise, individuell und konkret“ (WEINRICHWeinrich 1970:16). Der Grund ist, dass nur kompatible Seme in einem sinnvollen Satz zusammenkommen.

      3.6 Die absolute ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit (KoschmiederKoschmieder)

      Die Universalientheorie (s. Kap. 3.5) und die Generative TransformationsgrammatikGenerative Transformationsgrammatik (s. Kap. 3.4) mit ihren Untersuchungen von Aspekten, die mehreren Sprachen eigen sind, vermittelten wichtige Impulse für die ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie. Im Gegensatz zu den von der SprachinhaltsforschungSprachinhaltsforschung diskutierten Grenzen der ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit (s. Kap. 2.3) deutet sich hier eine prinzipielle Übersetzbarkeit an. In der modernen LinguistikLinguistiks. Sprachwissenschaft ist folglich die Ansicht weit verbreitet, dass alles in jeder SpracheSprache ausdrückbar sei. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass man wohl auch jeden Text in irgendeiner FormForm übersetzen kann. Roman JAKOBSONJakobson unterscheidet (1959) zwischen drei Arten der Übersetzung1JakobsonWilss:

      Intralinguale Übersetzung oder Umbenennung (rewording) ist eine Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe anderer Zeichen derselben SpracheSprache.2

      Interlinguale Übersetzung oder eigentliche Übersetzung (translation proper) ist eine Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe einer anderen SpracheSprache.

      Intersemiotische Übersetzung oder Transmutation (transmutation) ist eine Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe von Zeichen nichtsprachlicher Zeichensysteme, etwa Piktogramme oder Verkehrsschilder.

      Die Zeichen sind nicht deckungsgleich. JAKOBSON sieht ein Prinzip der sprachlichen Differenzierung: „Sprachen unterscheiden sich hauptsächlich in dem was sie ausdrücken müssen, und nicht so sehr in dem, was sie ausdrücken können“ (1959:195).

      Georges MOUNINMounin hat die Problematik und Konsequenzen der Universalientheorie im Hinblick auf die ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit ausführlich diskutiert. Er stellt die Bezeichnungsfunktion der SpracheSprache (s. Kap. 3.2) in den Vordergrund und nennt außersprachliche Sachverhalte mit universellem Geltungsbereich (Wissenschaften), wobei er zu dem Schluss kommt: „… il faut conclure aussi que la traduction de toute languelangues. Sprachsystem en toute languelangues. Sprachsystem est au moins possible dans le domaine des universaux …“ (1963:223). So begreift MOUNIN z.B. die interlinguale Terminologiearbeit nach dem Prinzip der Eineindeutigkeit („nur ein Wort für eine Sache und nur eine Sache für ein Wort“, 1967:15) als „internationale Vereinheitlichung der Wörter“ und gelangt zu der Prognose, nach Erreichen dieses Ideals werde „die wissenschaftliche und technische Übersetzung so gut wie hundertprozentig automatisierbar sein“ (1967:159).

      Erwin KOSCHMIEDERKoschmieder3Koschmieder präzisiert MOUNINS Position, indem er vom Instrumentalcharakter der SpracheSprache ausgeht. Er definiert: „‘Übersetzen’ heißt nämlich: 1. zu Zx in Lx über Bx das G finden und 2. zu demselben G in Ly über By das zugeordnete Zy finden“ (1965:104). Anders ausgedrückt: ÜbersetzenÜbersetzen heißt, zum ausgangssprachlichen Zeichen über das ausgangssprachlich Bezeichnete das GemeinteGemeinte finden und zu demselben Gemeinten in der ZielspracheZielspraches. ZS über das zielsprachlich Bezeichnete das zugeordnete zielsprachliche Zeichen finden. KOSCHMIEDERS Auffassung vom ÜbersetzungsvorgangÜbersetzungsvorgang kann also folgendermaßen veranschaulicht werden:

      Diese Darstellung (vgl. WILSS 1977:49) zeigt, wie KOSCHMIEDERKoschmieder den ÜbersetzungsvorgangÜbersetzungsvorgang auf seine linguistischen Grundkomponenten reduziert und die Relationen zwischen ihnen zu formulieren sucht. Weil die Zuordnung desselben Gemeinten (tertium comparationistertium comparationis) zur Ausgangs- und zur ZielspracheZielspraches. ZS zwangsläufig impliziert, dass alles übersetzbar sei, erscheint es sinnvoll, den ÜbersetzungsprozessÜbersetzungsprozess als einfaches Faktorenmodell darzustellen: „Die ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit eines Textes ist also durch die Existenz von syntaktischen, semantischen und erfahrungslogischen Universalkategorien gewährleistet“, lautet dazu die Zusammenfassung bei WILSSWilss (1977:56). Und Werner KOLLERKoller entwirft ein generatives Übersetzungsmodell:

      Von der Annahme eines universalen semantischen Merkmalinventars führt ein weiterer Schritt zur Annahme, dass äquivalente Sätze oder Texte in verschiedenen Sprachen identische Repräsentationen in einer semantischen Metasprache haben, deren Einheiten universale semantische Merkmale sind. In diesem Sinne ist ein bilinguales oder multilinguales Übersetzungsmodell denkbar, in dem die einzelsprachlichen Oberflächenstrukturen auf einfachere Grundstrukturen zurückgeführt werden, die in ihrer tiefsten Schicht in der lingua universalis, das heißt einer interlingualen, ‘sprachunabhängigen’ semantischen Metasprache, repräsentiert sind.

      Durch zum Teil mehreren oder allen Sprachen gemeinsame, zum Teil einzelsprachliche Ableitungsschritte – diese können in ihrem syntaktischen Teil als Transformationen aufgefaßt werden; bei der Auswahl und Spezifizierung der einzelsprachlichen semantischen Merkmale würde es sich um ‘semantische Transformationen’ handeln, die von der metasemantischen Repräsentation zu den einzelsprachlichen semantischen Repräsentationen führen – gelangt man von der semantischen Anfangsrepräsentation zu den phonetischen und graphischen Endrepräsentationen (KOLLERKoller 1992:182).

      Dies ist eine theoretische Aussage, denn mit der wohl unwiderlegbaren Behauptung, dass letztlich jeder Text übersetzbar ist, wenn man nur die entsprechenden Regeln formuliert hätte, ist freilich noch kaum etwas darüber ausgesagt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine angemessene Übersetzung entsteht.

      Kommentar

      Die aufklärerische Entmythologisierung der SpracheSprache als einem Zeichensystem zum Zweck der KommunikationKommunikation hat es ermöglicht, diese zu analysieren und wissenschaftlich zu beschreiben. Die semiotische Zeichentheorie, die Generative TransformationsgrammatikGenerative Transformationsgrammatik und die Universalientheorie beleuchten das Verhältnis zwischen Sprache und DenkenDenken. Sie haben damit wesentliche Anstöße zur Entwicklung einiger moderner Übersetzungstheorien gegeben, die im Folgenden beschrieben werden.

      Lektürehinweise

      Umberto ECO (1972): Einführung in die Semiotik. München, 81994, (UTB 105).

      Horst GECKELERGeckeler (1973): Strukturelle Semantik des Französischen, Tübingen.

      Werner KOLLERKoller (1992, 82011): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. Heidelberg; besonders Kapitel 2.1.5.

      Georges MOUNINMounin (1967): Die Übersetzung. Geschichte, Theorie, Anwendung. München.

      Ferdinand DE SAUSSURESaussure (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hrsg. von P.v.Polenz. Berlin.

      4 Der Übersetzungsvorgang als interlingualer TransferTransfer

       Erste Forschungen zur Maschinellen Übersetzung gaben Anstoß zu einer ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft als Teilgebiet der LinguistikLinguistiks. Sprachwissenschaft. Hier wurde zunächst von der Leipziger Schule das kommunikationswissenschaftliche Modell des Übersetzungsvorgangs entworfen.