Radegundis Stolze

Übersetzungstheorien


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Übersetzung (traduction oblique) zuzurechnen sind. Da sich diese „Übersetzungsprozeduren“ auch als eine Grundlage von WILSSWilss’ Transfermodell ansehen lassen, finden wir bei ihm (1977:101ff) eine ausführliche Darstellung. Beim Übergang von einer SpracheSprache zur anderen auf der Ebene der Oberflächenstrukturen gibt es folgende Möglichkeiten:

      1. emprunt (Direktentlehnung), d.h. die graphisch und inhaltlich unveränderte Übernahme ausgangssprachlicher Lexeme in die ZielspracheZielspraches. ZS, z.B. Deutsch:

know-howbrain-drainsoundtrackestablishmentoverkillposterjet-setghost-writertalk showsmall talkinterviewskylinecomputerlayoutround tablemeeting

      Sie erhalten im weiteren Verlauf der Einbürgerung durch orthographische und lautliche Angleichung an zielsprachliche Schreibmuster den Status von Lehnwörtern1SituationSprachgebrauch:

escalationdiversificationstatus symbol> Eskalation> Diversifikation> Statussymboldomino theorypilot studyinterdependence> Dominotheorie> Pilotstudie> Interdependenz

      2. calque (Lehnübersetzung)2, d.h. die von der zielsprachlichen Sprachgemeinschaft geduldete lineare Ersetzung morphologisch analysierbarer ausgangssprachlicher Syntagmen (vorwiegend Substantiv-Zusammensetzungen und Adjektiv-Substantiv-Kollokationen). Im Deutschen z.B.3:

growth ratemarket research> Wachstumsrate> Marktforschungdeveloping countrybirth control> Entwicklungsland> Geburtenkontrolle

      3. traduction littérale (wortgetreue Übersetzung), d.h. die Ersetzung ausgangssprachlicher syntaktischer Strukturen durch formal entsprechende, inhaltlich sinngleiche syntaktische Strukturen in der ZS. Dies entspräche WILSSWilss’ „wörtlicher TransferprozedurTransferprozedur“ (s. Kap. 4.6):

He had stolen the moneyEr hatte das Geld gestohlen.
How many fish have you caught?Wie viele Fische hast du gefangen?
Avez-vous de l’argent?Haben Sie Geld?

      4. transposition (Wortartwechsel), d.h. der InhaltInhalt eines sprachlichen Zeichens der AS wird bei der Übersetzung sinngetreu auf sprachliche Zeichen einer anderen Wortart in der ZS übertragen:

There is absolutely no truth in his claim (e.)Seine Behauptung ist absolut unzutreffend.
His face was red with shame (e.)Ihm stand die Schamröte im Gesicht.
… per vivere moderatamente (it.)… um mit Mäßigung zu leben
… i simboli danteschi (it.)… die Symbole bei Dante
C’est une vilaine chose que de mentir (frz.)Lügen ist schändlich.

      Karl-Richard BAUSCHBausch (1968) unterscheidet außerdem zwischen verschiedenen Transpositionstypen4BauschStylistique comparée. Er präzisiert:

      Die herkömmliche vergleichende Stilistik nimmt in voneinander verschiedenen Zusammenhängen eine inhaltliche Charakterisierung der Transpositionsserien vor und zwar in ‘substitutions’, ‘chassés-croisés’, ‘dilutions’ und ‘concentrations’. Daneben stehen TerminiTermini wie ‘étoffement’, ‘amplification’, ‘explicitation’ und ‘dépouillement’, ‘économie’ und ‘implicitation’ teils als von der TranspositionTransposition abhängige, teils unabhängige Begriffe (1968:29).

      Was eine „TranspositionTransposition“ als Wortartregel ist, kann im Anschluss an BAUSCHBausch (1968) wie folgt dargestellt werden:

      1. Die Substitution bedeutet, ein Zeichen einer bestimmten Wortart der AusgangsspracheAusgangsspraches. AS wird bei der Übersetzung in die ZielspracheZielspraches. ZS durch ein oder auch mehrere Zeichen einer anderen Wortart ersetzt, wobei die Ausgangswortart „im Ganzen substituiert“ werden muss. Dies ist auch als „totale Substitution“ zu sehen. Beispiel:

Il professore S. muove dall’idea …Professor S. geht davon aus …
Di qua nasce la pienezza giovaniledie Fülle der Jugend.

      2. Das Chassé-croisé könnte als Sonderfall der vorgenannten totalen Substitution bezeichnet werden, als die gleichzeitige totale Substitution zweier Zeichen aus zwei verschiedenen Wortarten, als syntaktische Überkreuz-Übersetzung (crossing lines) quasi eine doppelte Substitution.

I was in Paris last year.Ich war letztes Jahr in Paris.
(Ort vor Zeit)(Zeit vor Ort)

      3. Die Dilution wird so definiert: Der InhaltInhalt eines AS-Zeichens einer bestimmten Wortart wird bei der Übersetzung auf mehrere Zeichen und gleichzeitig auf mehrere Wortarten in der ZS verteilt. Beispiel:

      sie standen dem Tode … beinahe schutzlos gegenüber –

      devant la mort … ils étaient presque sans défense.

      Taumelnd verließ er die Schule –

      il sortit de l’école d’un pas incertain.

      eine alte weißhaarige Frau –

      une vieille femme aux cheveux blancs

      una vecchia signora dai capelli bianchi.

      4. Die Konzentration steht in Opposition zur vorgenannten Dilution. Bei dieser ÜbersetzungsprozedurÜbersetzungsprozedur werden die Inhalte mehrerer Zeichen verschiedener Wortarten der AS bei der Übersetzung auf weniger Zeichen und weniger Wortarten in der ZS zusammengezogen. Beispiel:

Avremo delle storie da non finire più.Jetzt wird eine endlose Geschichte daraus.
la rigida e trasparente notte invernaledie strenge, durchsichtige Winternacht
navi esenti da tale daziozollfreie Wasserfahrzeuge.

      Die Dilution bzw. Konzentration sind immer an eine totale oder partielle Substitution gekoppelt.

      5. Die Amplifikation und die Explizitation stehen in der herkömmmlichen vergleichenden Stilistik als Synonyme für dilutionsähnliche Vorgänge im allgemeinen, und das ‘étoffement’ für Dilutionsvorgänge im besonderen bei der Übersetzung innerhalb der präpositionalen Systeme.

      6. Die Ökonomie und die Implizitation stehen für konzentrationsähnliche Vorgänge im allgemeinen, und das ‘dépouillement’ für Konzentrationsvorgänge im besonderen innerhalb der präpositionalen Systeme.

      Schließlich unterscheidet die Stylistique comparéeStylistique comparée hier noch zwischen „fakultativen und obligatorischen Transpositionen“. Beide Arten betreffen eine einzelne sprachliche Einheit einer bestimmten Wortart der AS, von den entsprechenden Möglichkeiten einer ZS her gesehen. Eine fakultative TranspositionTransposition liegt etwa vor, wenn eine sinngetreue Übersetzung in der gleichen Wortart möglich wäre, diese „wörtliche“ Übersetzung jedoch aus subjektiven oder stilistischen Gründen vermieden wird.

       … et quelques-uns arrivaient même à imaginer … qu’ils agissaient en hommes libres, qu’ils pouvaient encore choisir, qu’ils pouvaient comparer … –

      … und einige stellten sich sogar vor, sie handelten als freie Menschen, sie vermochten noch eine eigene Wahl zu treffen, konnten Vergleiche anstellen (a),

      …