welches bei mäßiger Kenntniß beider Sprachen jeder verrichten kann“ (ebd.:42). Das Übertragen von Kunstwerken dagegen sei viel schwieriger und allein einer theoretischen Betrachtung wert.
(2) Die Gründe für diese Zweiteilung der Textvorkommen liegen nach SCHLEIERMACHERSchleiermacher in verschiedenartigen Wörtern. Er unterscheidet zwischen Ausdrücken, die sich in verschiedenen Sprachen genau entsprechen, da sie sich auf genau eingrenzbare Gegenstände und Sachverhalte beziehen2SchleiermacherStörig, und anderen Wörtern, welche Begriffe, Gefühle, Einstellungen erfassen und sich im Lauf der Geschichte verändern. In solchen Wörtern äußert sichHumboldt der Geist der SpracheSprache und das DenkenDenken des Einzelnen, besonders in der Kunst. So spricht er nicht vom Griechischen oder Lateinischen als Sprachen, sondern davon, dass man „deutsch“, oder „römisch“ oder „hellenisch“ rede (ebd.:48). Es geht ihm um den Autor. Im Grunde hat SCHLEIERMACHER damit die bis heute akzeptierte Zweiteilung von Textvorkommen in den Naturwissenschaften und in den Geisteswissenschaften begründet, deren Begriffsbildung verschieden ist.
(3) In Bezug auf das künstlerisch anspruchsvolle ÜbersetzenÜbersetzen unterscheidet SCHLEIERMACHERSchleiermacher zwei „Methoden“, womit er das gängige Diktum von TreueTreue oder FreiheitFreiheit etwas präzisieren möchte, indem er jeweils auf das Gesamtwerk eines Autors verweist.
(a) Bei der ersten Methode werde versucht, eine Übersetzung so zu gestalten, dass sie wie ein OriginalOriginals. Ausgangstext wirkt und den AutorAutors. Sender „reden lassen will wie er als Deutscher zu Deutschen würde geredet und geschrieben haben“ (ebd.:48), also ihn zu den Lesern hinbewegt. Ein solches Vorhaben erweist sich aber angesichts der Einheit von DenkenDenken und Reden in der „angebornen SpracheSprache“ als unmöglich (ebd.:60).3SchleiermacherLeserStörig
(b) Bei der anderen Methode des Verfremdens herrscht dagegen eine „Haltung der SpracheSprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei“ (ebd.:55), wo also die LeserLesers. Empfänger zum AutorAutors. Sender hin bewegt werden. Nur so sei die „treue Wiedergabe“ des fremden Originals in der ZielspracheZielspraches. ZS gewährleistet. Der Vorwurf der Ungelenkheit im AusdruckAusdruck durch die Nachbildung sei dabei in Kauf zu nehmen, denn anders sei der „Geist der Sprache“ aus dem OriginalOriginals. Ausgangstext gar nicht in die Übersetzung zu retten. Das eigene Idiom des Übersetzers soll mit dem fremden so verschmelzen, dass in der Übersetzung die „Ursprache“ erhalten bleibt. Notwendig ist allerdings eine Bildung der Leserschaft.
Daher erfordert diese Art zu uebersezen durchaus ein Verfahren im großen, ein Verpflanzen ganzer Litteraturen in eine SpracheSprache, und hat also nur SinnSinn und Werth unter einem Volk welches entschiedene Neigung hat sich das fremde anzueignen. Einzelne Arbeiten dieser Art haben nur einen Werth als Vorläufer einer sich allgemeiner entwickelnden und ausbildenden Lust an diesem Verfahren (ebd.:57).
Die „Kennerschaft geistiger Werke“ anderer Völker, die SCHLEIERMACHERSchleiermacher voraussetzt, vermag dies dann auch zu goutieren. Durch solches ÜbersetzenÜbersetzen wird die eigene SpracheSprache bereichert, wie es auch schon die Römer sahen (s. Kap. 1.3).
2.3 Die Sprachinhaltsforschung (WeisgerberWeisgerber)
Durch verschiedene Sprachen entstehen unterschiedliche Weltansichten, ja aus dem Blickwinkel des Einzelnen sogar unterschiedliche Wirklichkeiten. Als stellvertretend für eine solche Sprachauffassung sind neben HUMBOLDTHumboldt (s. Kap. 2.1) und SCHLEIERMACHERSchleiermacher (s. Kap. 2.2) auch J. Leo WEISGERBERWeisgerber (1899–1985) und BenjaminBenjamin Lee WHORFWhorf (1897–1941) zu nennen. Sehr einleuchtend zeigt z.B. WEISGERBER, wie SpracheSprache die Funktion erfülle, eine Realität zu erschaffen, indem sie beobachtbare faktische Gegebenheiten ordnet.1WeisgerberSprache
WeisgerberWeisgerber verweist auf den Sternenhimmel, der zunächst für den Menschen ein unendliches Gewirr darstellt und erst dann begreifbar wird, wenn der Mensch zwischen den Gestirnen unterscheidet, wenn er Konstellationen wie die einzelnen Sternbilder benennt und damit bestimmt (op. cit. 41971: 25–72). Dabei werden dieselben Gestirne in Asien und im Okzident zu unterschiedlichen Sternbildern geordnet. – Es handelt sich hier um ein schönes Beispiel für den menschlichen Versuch, in ein unüberschaubares Gewirr mittels der SpracheSprache eine Ordnung zu bringen. Dann wird aus dem Chaos des Faktischen ein Kosmos der Ordnung.
Entscheidend ist jeweils die PerspektivePerspektive der Menschen auf die Dinge. „Ein Beispiel für eine solche kulturbedingte und sprachlich vermittelte Sehweise stellt das Wort Unkraut dar. Die Pflanzenwelt wird aufgrund wirtschaftlicher, vielleicht auch ästhetischer (nicht aber biologischer) Interessen in zwei Klassen eingeteilt: in Kulturpflanzen und in Pflanzen ohne wirtschaftlichen Wert“ (KOLLERKoller 1992:162).
WEISGERBERWeisgerber als Hauptvertreter der sogenannten Sprachinhaltsforschung oder Inhaltbezogenen GrammatikGrammatik hat im Anschluss an HUMBOLDTHumboldt die These von der SpracheSprache als geistiger Zwischenwelt, vom „WeltbildWeltbild der MutterspracheMuttersprache“ entworfen. Jede Sprache gilt als ein relativ geschlossenes, gegen andere Sprachen abgegrenztes System. Dabei wird betont, dass sich nicht für jedes Wort einer Sprache in jeder anderen ein genaues Äquivalent finde, sondern dass gewisse Unterschiede auftreten. Schon Arthur SCHOPENHAUER (1788–1860) hatte Beispiele charakteristischer Wörter gesammelt,2Störig die eigentlich unübersetzbar sind:
απαιδευτος, rudis, roh. | ingénieux, sinnreich, clever. |
ορμη, impetus, Andrang. | Geist, esprit, wit. |
μηχανη, Mittel, medium. | witzig, facetus, plaisant. |
seccatore, Quälgeist, importun. | malice, Bosheit, wickedness. |
Als Beweis für die Existenz eines einzelsprachlichen Weltbilds werden angeführt:
U.a. die Schwierigkeiten bei der anderssprachigen Wiedergabe sogenannter charakteristischer Wörter, wie z.B. esprit, patrie, charme; cereals, gentleman, fairness; Sehnsucht, Gemütlichkeit, Weltschmerz, Innerlichkeit, Tüchtigkeit, Gestalt usw.
Die Unterschiede im System der Verwandtschaftsbezeichnungen und Farbskalen, von Naturerscheinungen (Schnee, Wüstenformen) usw. Die unterschiedliche Wahrnehmung und Frequenz der Wörter ergibt sich aus der verschiedenen geographischen Lage.
Die Existenz von Wortfeldern: Ein Einzelwort gewinnt seine inhaltliche Bestimmtheit erst in der Struktur eines ganzen Wortfeldes. So ist mangelhaft in einer viergliedrigen Skala (mangelhaft – genügend – gut – sehr gut) etwas anderes als in einer sechsgliedrigen Skala (ungenügend – mangelhaft – ausreichend – befriedigend – gut – sehr gut). Der Wortschatz einer SpracheSprache ist in solche Wortfelder gegliedert. Einzelne Wörter sind kaum vergleichbar, weil ihr Stellenwert in den einzelsprachlichen Wortfeldern je verschieden ist (vgl. WEISGERBERWeisgerber 1950:68).
Die unterschiedlichen Konnotationsbereiche: der Franzose verbindet mit dem Wort escargot die Vorstellung einer Delikatesse, während der Deutsche bei Schnecke eher an ein unappetitliches schleimiges Lebewesen denkt. Oder: Für die Franzosen ist pain ein knuspriges Weißbrot, für die Deutschen ist Brot häufig ein dunkler Vollkornlaib.
Die zutiefst menschliche Erfahrung von LEID wird in verschiedenen Sprachen mit völlig unterschiedlichen Zeichen benannt, die auch formal nicht aufeinander bezogen werden können:
d. Leid, Kummer, Schmerz
e. sorrow, grief, harm
f. peine, affliction
i. pena, dolore
DenkenDenken und Reden werden also gleichgesetzt. Jene geistige „Zwischenwelt“ zwischen Mensch und Außenwelt hat sprachlichen Charakter, und sie vermittelt den Angehörigen der Sprachgemeinschaft das „WeltbildWeltbild der MutterspracheMuttersprache“. Das Zusammenspiel von kulturbedingter Wirklichkeitserfassung und SprachgebrauchSprachgebrauch zeigt sich besonders deutlich in Bereichen des menschlichen Lebens, wie es schon SCHLEIERMACHERSchleiermacher