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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie


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zu Schulen möglich gemacht wurde, sie mussten in sehr kurzer Zeit unterschiedlichste Maßnahmen und Verordnungen umsetzen und auch die Infrastruktur für digitales Lernen für ihre Schüler:innen im Homeschooling bereitstellen. Von Lehrenden wurde ein hohes Maß an Flexibilität im Umgang mit individuellen Bedarfen, ein teils sehr hohes Engagement sowie die zügige und weitgehend selbstständige Umstellung auf Distanzlehrformate erwartet. Lernende standen vor der Aufgabe, sich selbst zu organisieren (z.B. mithilfe von – teils selbst erstellten – Wochenplänen), selbstverantwortlich zu handeln und z.B. eigenständig auf Probleme aufmerksam machen, sich selbst zum Lernen zu motivieren und unter Ablenkung selbstdiszipliniert zu arbeiten. Digitale Medienkompetenzen sowie das Vorhandensein kompetenter Personen im familiären Umfeld wurden dabei fast schon vorausgesetzt (vgl. Frohn 2020: 67, 71f., 73). Eltern waren mehr denn je in der Pflicht, Lernverläufe technisch und inhaltlich zu ermöglichen und zu unterstützen.

      Wie Lehrkräfte, Schüler:innen, aber auch Eltern mit dieser Situation umgegangen sind, ist ebenfalls Gegenstand von inzwischen zahlreichen (und in der Zahl wachsenden) teils repräsentativen Befragungen (vgl. z.B. Andresen et al. 2020a, 2020b; Demski et al. 2021; Dietrich et al. 2021; Geis-Thöne 2020; Grewenig et al. 2020; Holtgrewe et al. 2020; Huber/Helm 2020; Leibniz Institut 2020, 2021; Wildemann/Hosenfeld 2020; Wößmann et al. 2020, 2021). Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich zum einen folgern, dass sich die Lernzeit im Mittel für die meisten Schüler:innen deutlich reduziert hat (vgl. Wößmann et al 2020: 28; Wößmann et al. 2021: 38), am stärksten bei leistungsschwächeren Kindern und Jugendlichen aus Nicht-Akademiker-Haushalten (vgl. z.B. Dietrich et al. 2021: 357f.; Grewenig et al. 2020: 7f.; Wößmann et al. 2020: 28). Nicht nur Schüler:innen beschreiben Situationen der Überforderung mit den Anforderungen des Distanzlernens (vgl. Holtgrewe et al. 2020: 3f.), auch ihre Eltern sehen die implizite Anforderung, das Lernen zu Hause zu unterstützen, mehrheitlich als wenig erfolgreich an und schätzen den Lernzuwachs im Vergleich zum Präsenzunterricht als (z.T. deutlich) geringer ein (vgl. Leibniz Institut 2020: 7). Grundsätzlich kommt eine Reihe von Studien zu dem Befund, dass individuelle und familiäre Ressourcen als Voraussetzung für selbstverantwortliches Lernen teils stark divergieren und dabei häufig vom familiären Bildungshintergrund abhängig zu sein scheinen (vgl. u.a. Fuchs-Schündeln et al. 2020, Grewenig et al. 2020). Die technische Ausstattung stellt sich dabei zunächst nicht für alle als grundsätzliche Hürde dar, denn die meisten Jugendlichen verfügen zumindest über einen Zugang zu Computern, Laptops oder Tablets (abhängig vom sozialen Status, im Mittel knapp 90 % der 12- und 14-Jährigen, vgl. Geis-Thöne 2020: 11). Rude stellt dar, dass dies auch auf 85 % der Kinder mit Migrationshintergrund zutrifft, bei geflüchteten Kindern liegt der Anteil hingegen unter 50 % (vgl. Rude 2020: 49). Deutlich weniger haben jedoch Zugriff auf einen eigenen Computer (ca. 28 % der 12-Jährigen und 40 % der 14-Jährigen, vgl. Geis-Töhne 2020: 12). Entscheidender als die technischen Ressourcen sind jedoch Faktoren wie die individuelle Lesekompetenz (vgl. Leibniz-Institut 2021: 3) oder auch allgemeine motivationale Faktoren (vgl. z.B. Wildemann/Hosenfeld 2020: 9–13) sowie die grundsätzliche Erreichbarkeit von Schüler:innen (vgl. Einschätzung der Lehrer:innen in Eickelmann/Drossel 2020: 16).

      Insgesamt, so lässt sich mit inzwischen großer Sicherheit sagen, entscheidet der individuelle familiäre Bildungshintergrund sowie die individuelle Leistungsstärke (wobei beide Faktoren teils co-abhängig sind) in einem hohen Maße darüber, wie gut oder schlecht Schüler:innen mit dem Distanzlernen umgehen (konnten). Angesichts dieses Befundes stellt sich die unmittelbare Frage nach individuellen sowie gesamtgesellschaftlichen Folgen dieses Auseinanderklaffens. Bildungsökonomische Studien prognostizieren hierzu volkswirtschaftliche Langzeitschäden, die durch Unterrichtsausfall verursacht werden können (vgl. z.B. Wößmann 2020). Auf Lernentwicklung hin ausgerichtete Studien weisen zugleich recht deutlich darauf hin, dass Schulschließungen eine Form der Lernunterbrechung darstellen und Lernstagnationen sowie Lernrückstände hervorrufen, wobei auch hier ohnehin bildungsbenachteiligte Lerner:innen in besonderem Maße von solchen Folgen betroffen sind (vgl. für einen systematischen Überblick Hammerstein et al. 2021 sowie im Besonderen für Deutschland Depping et al. 2021 sowie Schult et al. 2021). Schüler:innen und Eltern bestätigen die Sorge, dass die Schulschließungen zu teils deutlichen Lernrückständen führen (vgl. IfD 2021: 32).

      3 Pandemiebedingte Auswirkungen auf Neuzugewanderte

       „Es ist so traurig mit anzusehen, wie uns viele Schüler:innen entgleisen. Einige meiner DaZ-Schüler:innen verstehe ich teilweise gar nicht mehr, da sie die gespannten Laute nicht mehr hinbekommen. Da fehlt das (Muskel-)Training. Bei anderen fehlt die Einstellung zum Lernen oder einfach nur die Möglichkeit, in Ruhe zu lernen.“

       (O-Ton einer Lehrerin für Geographie und Deutsch als Zweitsprache im März 2021)

      Die in Abschnitt 2 berichteten Beobachtungen und Befunde sind zunächst allgemeiner Natur und gelten nicht im Besonderen für Neuzugewanderte. Wie bereits erwähnt, finden neu zugewanderte Lerner:innen nur wenig oder gar keine Berücksichtigung in den teils groß angelegten und repräsentativen Studien. So findet sich bspw. in den 84 Projektsteckbriefen, die Fickermann/Edelstein (2021b) in Bezug auf die Erforschung der Auswirkungen der Pandemie auf Lern- und Lehrprozesse zusammengeführt haben, kein einziges mit einem Bezug zu Deutsch als Zweitsprache im weiteren Sinne. Auch in (umfangreicheren) Publikationen, die sich zur Rolle der Sprachentwicklung im Kontext des Distanzlernens explizit äußern (so z.B. Gogolin 2020, Maaz/Becker-Mrotzek 2021), findet sich keinerlei Erwähnung der besonders vulnerablen Gruppe der Neuzugewanderten (zur Situation von geflüchteten Kindern und Jugendlichen vgl. Rude 2020). Gleiches gilt für Expertisen, die bildungspolitische Empfehlungen und Strategien zum Gegenstand haben und punktuell Entscheidungsgrundlage für die Krisensitzungen der Bundesregierung und Landesminister:innen waren (wie die Stellungnahme der Leopoldina 2020 am 15. April 2020 zur Beratung der Schulöffnungen, vgl. Fickermann/Edelstein 2020: 11). Fast schon erschreckend sind diejenigen Expertisen, die mehrsprachige Schüler:innen sowie Schüler:innen mit kognitiv bedingten Lernschwierigkeiten in einer Kategorie abhandeln (so z.B. Baumann et al. 2021: 28). Die Marginalisierung einer ohnehin marginalisierten Gruppe scheint, und das ist keineswegs als Vorwurf an die hier erwähnten Arbeiten zu verstehen, also ein strukturelles Problem zu sein. Dies gilt ganz besonders für quantitative Studien und solche, die auf Paneldaten zurückgreifen können.

      Wird der Faktor Zuwanderung aufgegriffen, dann, wie oben bereits erwähnt, in Form größerer Kategorien wie Migrationshintergrund (vgl. Danzer 2020, Geis-Thöne 2020, OECD 2020) oder familiärer Multilingualität (vgl. Holtgrewe et al. 2020). Geis-Thöne macht mithilfe von SOEP-Daten aus dem Jahr 2018 deutlich, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund schlechter dastehen, was die Größe des Wohnraums oder die Verfügbarkeit eines eigenen Zimmers, einer Lernsoftware oder schulbezogenen Büchern angeht, gleichzeitig aber eine überdurchschnittlich starke Lernmotivation seitens der Familie erfahren. Mit Danzer (2020) lassen sich besonders diese materiellen Ungleichheiten mit der grundsätzlichen sozioökonomischen Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund erklären. Sozial und familiär bedingte Lernbedingungen sind somit für diese Schüler:innen weniger günstig. Die Situation verschärft sich ganz besonders bei geflüchteten Lerner:innen, die bspw. in Sammelunterkünften leben (vgl. Rude 2020). Holtgrewe et al. können mittels einer Befragung von Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften zeigen, dass Lernende in „multilingualen Haushalten“ sich häufiger überfordert mit der Gesamtsituation (2020: 4) sowie mit der Aufgabenbewältigung im Homeschooling (vgl. Holtgrewe et al. 2020: 11) fühlen, jedoch tendenziell sicherer im Umgang mit den geforderten digitalen Medien (vgl. Holtgrewe et al. 2020: 9). Darüber hinaus wünschen sie sich mehr Austausch in ihrer Lerngruppe (vgl. Holtgrewe et al. 2020: 14).

      Diese Befunde, nämlich vielmals schlechtere materielle und auch familiäre Ressourcen sowie das besonders dringliche Fehlen des sozialen Miteinanders zeigt sich in den (u.W. bisher wenigen) qualitativen Studien, die sich neu zugewanderten Lerner:innen widmen. So zeigen Hüttmann et al. (2020) mittels einer Interviewstudie, dass geflüchtete Jugendliche und junge Erwachsene eine geringere technische Ausstattung, geringere Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und nur eingeschränkte persönliche Unterstützungssysteme haben, die allesamt durch sprachliche Schwierigkeiten verstärkt werden. Lerner:innen würden grade aufgrund der noch im Aufbau befindlichen Deutschkompetenzen faktisch von Partizipation