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Undenkbar ist für Sitte eine Haltung, wie sie einer seiner mitausstellenden Malergenossen auf der documenta 6 in Kassel 1977, Wolfgang Mattheuer (1927–2004), auf einem Gemälde von 1980 eingenommen hat
Die Partei als Kirche
Sitte blieb dem Glauben seines Vaters an den Kommunismus treu. Seine weltliche Kirche wurde die hierarchisch strukturierte SED mit ihren Forderungen nach Unterwerfung, Gehorsam und Loyalität. Trotz seiner guten Taten in Form propagandistischer Bilder und seiner wiederholten Bekenntnisse zur unfehlbaren Weisheit der Partei misstrauten ihm die Hüter des Dogmas bis weit in die 1960er Jahre hinein, dann wurde seine unverbrüchliche Loyalität endlich mit Ämtern, Macht, Preisen und Selbstdarstellungsmöglichkeiten belohnt.
Sittes Wandbild Proletarier alle Länder, vereinigt Euch! (1978/79,
1920 sagte Franz Kafka (1883–1924) zu Gustav Janouch (1903–1968): „Die Menschen versuchen in Russland eine vollkommen gerechte Welt aufzubauen. Das ist eine religiöse Angelegenheit. […] Der Bolschewismus wendet sich aber gegen die Religionen. Er tut es, weil er selbst eine Religion ist.“103
Am Ende die Wende zu sich selbst
In seinen zahlreichen Interviews nach der Wende bekannte sich Sitte zu seiner Rolle als Künstler in der DDR: „Ich war für die DDR, das war meine Überzeugung. Und dazu stehe ich. Andere Maler haben ihre Orden und Preise zurückgegeben, das will ich nicht, das wäre gelogen. Was war, das ist gewesen. So ist das mit dem Sitte, und so bleibt’s.“104
Seine letzten ambivalenten Selbstporträts wie Nur ein Mensch (1989/90, S. 480) offenbaren dagegen Selbstzweifel und stellen Fragen an sich und sein Publikum. Sitte hinterlässt der Nachwelt einen großen schwarzen Schatten, bedrängt von allen Seiten. Er steht vor seiner eigenen Kreuzigung, der Lorbeerkranz krönt nicht sein Haupt, sondern entschwebt in den Himmel. Der parteitreue Rebell und eigensinnige Künstler schlüpfte spätestens ab 1965 in die Rolle eines Repräsentanten des Staates und diente bedingungslos dem System. Angesichts einer ritualisierten Gesellschaft, an deren Ideale niemand mehr glauben wollte, kümmerte er sich beharrlich zuerst um das eigene Wohlergehen und dann das seiner Schutzbefohlenen im Verband.
Nach der Wende sieht sich der einstige Sieger der Geschichte als ihr Opfer, als einer, dem ein leuchtender Stern am Firmament der Kunstgeschichte von den eigenen Leuten, die zu Verrätern geworden sind, und vom „Klassenfeind“ verwehrt wurde.
1 — Ausst.-Kat. Wittlich 2011.
2 — Motiv Mensch. Willi Sitte und Fritz Cremer im Dialog, Kunsthalle Rostock, 11.11.2018–10.03.2019, ohne Katalog.
3 — Sächsisches Staatsarchiv, BT/RdB, Mappe 2265, Bll. 49–53: Protokoll der erweiterten Bezirksleitungssitzung des VBKD Leipzig am 03.07.1953. Gemeint ist der Maler Walter Münze, 1952–56 Vorsitzender des Leipziger Bezirksverbandes des VBKD.
4 — Alexander Dymschitz: Über die formalistische Richtung in der deutschen Malerei, in: Tägliche Rundschau, Nr. 271, 275, 19./24.11.1948, S. 97–103.
5 — Zit. n. Günther Rüther: Die deutsche Literatur – ein Bindeglied der geteilten Nation, in: Ders. (Hrsg.): Kulturbetrieb und Literatur in der DDR, 2. Aufl., Köln 1988, S. 7–35, hier S. 12.
6 — Archiv Burg Giebichenstein, Bestand B1/1: Personalbogen, „Besuch von Parteischulen“ etc.: „keine“.
7 — Willi Sitte zit. n.: Thomas Grimm (Hrsg.): Was von den Träumen blieb. Eine Bilanz der sozialistischen Utopie, Berlin 1993, S. 157.
8 — Willi Sitte im Interview mit Ilka Franzmann, in: Ein Atelierbesuch bei Willi Sitte, eine filmische Dokumentation von Eva Kohlweyer, Arthaus Musik, München 2009.
9 — Vgl. hierzu den Beitrag von Anna Habánová in dieser Publikation S. 149.
10 — Peiner hatte 1938 den Großauftrag für sieben Gobelins ( jeweils 12 Meter lang) über die Schicksalsschlachten in der deutschen Geschichte, beginnend mit der Schlacht im Teutoburger Wald, erhalten, die in der Neuen Reichskanzlei in der Vossstraße aufgehängt werden sollten.
11 — Schirmer/Sitte 2003, S. 17.
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