rel="nofollow" href="#fb3_img_img_6c34a303-db1d-57ac-8e27-b75ecc6f4b67.jpg" alt="image"/> 1 Blick in den Eingangsbereich der sogenannten Kleinen Galerie der Staatlichen Galerie Moritzburg in der Großen Ulrichstraße in Halle (Saale) während der Willi-Sitte-Ausstellung 1965
Sittes Welt
Vom Ausstellen und Sammeln der Werke Willi Sittes mit besonderem Bezug zum Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Thomas Bauer-Friedrich
2021 – 32 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989 und drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung der 40 Jahre getrennten beiden deutschen Staaten – findet im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) das erste Mal seit 1986 wieder eine umfassende Werkschau Willi Sittes statt – jenes Künstlers, der in den 1970er und 1980er Jahren im In- wie im sozialistischen und kapitalistischen Ausland exemplarisch für die Kunst der DDR stand. Aufgrund seiner engen Verflechtungen mit dem politischen System des Staates (1974–88 Präsident des Verbands Bildender Künstler, 1976–89 Mitglied der Volkskammer, 1986–89 Mitglied des Zentralkomitees des Politbüros der SED) wagten sich in den zurückliegenden Jahren, abgesehen von der Willi-Sitte-Galerie in Merseburg,1 nur wenige Museen und Galerien daran, größere Präsentationen der Werke des Künstlers zu zeigen, und wenn, dann konzentrierte man sich auf Ausschnitte aus dem Gesamtwerk, scheute jedoch eine Aufarbeitung der Doppelrolle Sittes als Künstler und Funktionär und eine seit langem überfällige Überblicksausstellung.2 Dieses Desiderats nahm sich das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) mit Blick auf den 100. Geburtstag des Künstlers an – nicht von ungefähr, entstand doch nahezu das gesamte Werk in der Saalestadt und fanden in ihrem Museum mit den beiden Retrospektiven 1971 und 1981 wesentliche Ausstellungen statt. Im Folgenden wird als Einführung in die Thematik und die Rezeption des Sitte’schen Schaffens ein Abriss über das Ausstellen und Sammeln seiner Werke gegeben mit besonderem Bezug zum halleschen Kunstmuseum, das als erstes Museum der DDR Arbeiten des Künstlers zeigte und erwarb. Beispielhaft lässt sich an dieser Geschichte Sittes Kampf mit der Kulturpolitik der SED und Ringen um seine Ansprüche an wie auch sein Verständnis von Kunst erkennen.
Erste Ausstellungsbeteiligungen und Ankäufe in Halle (Saale)
Willi Sitte kommt im Sommer 1947 nach Halle (Saale). Schaut man auf seinen künstlerischen Werdegang bis dahin, fällt auf, dass er kaum als Maler tätig geworden war, sondern sich vorrangig als Zeichner betätigt hatte und als solcher in Ausstellungen während der Zeit des „Dritten Reichs“ in Böhmen wahrgenommen worden war.3 Erste Gemälde in einem konservativ-traditionellen Stil schuf er in seinem Mailänder Jahr 1945/46. So verwundert es nicht, dass er in Ausstellungen der Jahre 1948 und 1949 jeweils mit Arbeiten auf Papier und nur einem Gemälde vertreten war.4 Die lokale hallesche Tageszeitung Freiheit rezensierte 1949: „Sehr stark beeindruckt hat uns das Gemälde von Willi Sitte ‚Vor der Gießwanne‘. Sowohl das Motiv der Arbeit, wie auch die Bewegung und die Farbgebung machten uns das Ganze lebensecht und wahr.“5 Das Gemälde
Zur 2. Deutschen Kunstausstellung in Dresden im Herbst 1949 reichte Sitte zwei heute als verschollen geltende Gemälde ein.8 Im selben Jahr wurde das großformatige Gemälde der Häuslerin S. 221 in das hallesche Kunstmuseum übernommen, nachdem dieses im Frühjahr 1949 im Auftrag der Landesregierung Sachsen-Anhalt entstandene Werk binnen kurzer Zeit das Missfallen der Funktionäre hervorgerufen hatte.9 1952 erlebte man Sitte in der ersten Bezirkskunstausstellung in Halle (Saale) erneut „nur“ als Zeichner mit zwei Porträts seines Sohnes Volkmar aus erster Ehe mit Irmgard Kindler.10
Als Maler trat Sitte in der Saalestadt erstmals 1953/54 öffentlich in Erscheinung und sorgte sofort für Furore. In beiden Jahren präsentierte er sein großformatiges Gemälde Marx liest vor S. 266, für das er 1953 den ersten Preis des in jenem Jahr etablierten Kunstpreises der Stadt Halle (Saale) verliehen bekam.11 Im Ergebnis einer Aussprache im Oktober 1953 vor dem Gemälde in der Moritzburg soll der Künstler einige Veränderungen vorgenommen haben und präsentierte es 1954 auf der Bezirkskunstausstellung ebenda.12 Heute gilt das Werk als übermalt und damit verloren. Stilistisch zeigt es Sittes Vermögen, zeitgleich auf verschiedenen Klaviaturen zu spielen und damit die unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Partei wie auch seiner Künstlerkollegen zu erfüllen. Während das große Marx-Bild eine trockene realistische Darstellung im Sinne eines fiktiven Historienbildes in der Tradition des Akademismus des 19. Jahrhunderts darstellte, schuf er parallel dazu seit 1950 seine Malereien auf sogenannten Henning-Kartons13 S. 244 ff in einem der Moderne verpflichteten Stil. Diese waren bis 1963 öffentlich nicht ausgestellt, weil nicht ausstellbar, da sie konträr zum von der Partei eingeforderten Sozialistischen Realismus standen. Für diese und ähnliche moderne Arbeiten, die nur dem Kreis seiner Freunde und Parteigenossen bekannt waren, musste sich Sitte bis in die 1960er Jahre hinein von den Funktionären der SED den Vorwurf des „Formalismus“ und „Modernismus“ gefallen lassen.
In diese Zeit fallen weitere Erwerbungen des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) – jedoch nicht der non-konformen Henning-Kartons, sondern realistischer Werke. Im März 1953 holte der Museumsdirektor und Parteifreund Sittes, Heinz Arno Knorr (1909–1996), als Übereignung von der Deutschen Handelszentrale Leder in Halle (Saale)14 das Gemälde Zug ins Leben (1947, S. 207) in die Sammlung und tauschte Vor der Gießwanne durch die 1952 entstandene Historiendarstellung Karl Liebknecht kommt aus dem Gefängnis 1918 S. 257 aus.15 Bereits im Folgejahr wurde der Zug ins Leben wieder ersetzt und für eine großformatige Rötelzeichnung16 zum Völkerschlacht-Gemälde S. 188 eingetauscht. Ebenso gelangte das von Sitte gemeinsam mit Fritz Freitag (1915–1977) und Otto Müller (1898–1979) im Auftrag der Stadt Halle (Saale) für das Theater des Friedens geschaffene großformatige Gemeinschaftswerk Der erste Aufstand der halleschen Salzwirker von 1953