Daisy Summer

Bei Anruf Callgirl


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      Obwohl Mrs. Petersen als Büchereidrache bekannt war, machte es mich beinahe glücklich, sie zu sehen und ihr liebliches Keifstimmchen zu hören. Ich freute mich sogar, ihren Müll mit raus nehmen zu dürfen, denn es tat einfach gut, wieder im Alltag angekommen zu sein.

      Im Nachhinein besehen war das hinter mir liegende Wochenende das Schlimmste meines gesamten bisherigen Lebens. Schlimmer noch als mein erstes Mal. Es hatte mich vollkommen durchgerüttelt, und zwar in jeder Hinsicht.

      Aber ich wollte nicht klagen. Tina hatte jetzt das Geld für die Abtreibung zusammen und unsere Miete war gesichert. Insofern hatte ich absolut richtig gehandelt. Im Grunde genommen hatte ich ja auch keine andere Wahl gehabt. Es sei denn, ich hätte meine Freundin hängen lassen wollen, aber so war ich nun mal nicht gestrickt.

      Jetzt musste ich nur noch Jacob vergessen. Aber dabei half mir ja der Alltag.

      Ich ging ins Kabuff, wo die Kaffeemaschine stand, die die studentischen Hilfskräfte nicht benutzen durften, und schnappte mir den Müllbeutel.

      Seit Anfang dieser Woche war es mir nicht mehr peinlich, damit durchs Foyer zu spazieren, an Hunderten von Studenten und Professoren vorbei. Ich hätte den Müll auch in den Container im Hinterhof bringen können, aber der war ab Mitte der Woche immer schon voll. Darum stopfte ich ihn in den Papierkorb, der vor der Bibliothek stand, und hielt nach meinem besten Freund Ausschau. Er sollte eigentlich schon hier auf mich warten.

       Verdammt, Ron! Wo bleibst du denn?

      Das Master-Kolloquium begann in fünf Minuten und wir brauchten von hier aus genau fünf Minuten zum Seminarraum. Es war also sowieso alles schon total knapp.

      Ich schaute auf dem Handy nach, ob ich eine Nachricht verpasst hatte. Wuäääh … Ich hatte Tausende verpasst, doch die stammten alle von Jacob, weshalb ich sie auf einen Schlag entsorgte. Weg damit. Oh ja, ich wollte sie wirklich alle unwiederbringlich löschen, auch wenn sich dieser Vorgang nicht rückgängig machen ließ. Danke der Nachfrage, liebes Handy.

      Jetzt waren meine verpassten Nachrichten weg, doch Ron war immer noch nicht da. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die dummen Tränen runter zu schlucken und allein loszugehen.

      Mein Alltag, der mich eigentlich beruhigen sollte, fing echt wunderbar an. Gestern schon war Ron eine halbe Stunde zu spät in die Uni gekommen. Vorgestern hatte er mich ganz versetzt. Irgendetwas stimmte da nicht, aber bisher wollte Ron nichts davon wissen.

      Als ich das Seminargebäude betrat, war mein Freund immer noch nicht da. Dafür grinste mir Michael, der Blödmann Nr. 1, entgegen.

      „Hey-Ho, Emma. Hast du deinen Kopf in Farbe getunkt?“

      „Du bleibst einfach immer auf dem Stand eines Elfjährigen, Michael“, entgegnete ich auf das missglückte Kompliment zu meiner aufgehellten Haarfarbe, und setzte mich auf einen der sechs Plätze, die es in diesem Seminarraum leider nur gab.

      Mein feinfühliger Studienkollege pflanzte sich natürlich direkt neben mich.

      Es war mir schleierhaft, wie der Penner es bis zum Ende des Studiums geschafft hatte. Und ich fürchtete fast, dass er für seine Masterarbeit die Bestnote kassieren würde, während ich wieder mal nur die Zweite war.

      Wenigstens kam Ron endlich zur Tür rein gerast.

      Aber was war denn mit dem los?

      Die sonst stets supergepflegten, roten Haare bildeten ein einziges zerrupftes Entennest. Und erst Rons Haut. Die glich sowieso schon einem Kalkeimer, wenn Ron nicht gerade erregt und deswegen schweinchenrosa war, aber heute sah er aus wie Hui-Buh, das leibhaftige Schlossgespenst.

      „Ron! Was ist los?“

      Mein Freund ließ sich schwer auf den Holzstuhl zu meiner Rechten fallen. Er seufzte und nickte in Richtung der Tür, durch die soeben Professor Kentwell trat.

      „Nachher“, wisperte er und schniefte demonstrativ hinter vorgehaltener Hand.

      Oje. Das klang ja furchtbar. Ich schämte mich ein bisschen, als ich dachte, dass der ganze Ärger und Kummer in meinem Alltag auch ein Gutes hatte. Er lenkte mich auf jeden Fall von Jacob ab.

      Die Frage war nur, wann die abschreckende Wirkung endlich einsetzen würde.

      Während Professor Kentwell einen Vortrag darüber hielt, wie wichtig die Rechtschreibung in Abschlussarbeiten war, und welchen enormen Einfluss eine gute Ausdrucksweise in derselben Abschlussarbeit auf die Note hatte, vibrierte mein Handy alle paar Minuten.

      „Du solltest es dir zwischen die Beine klemmen“, zischte Ron mir zu.

      „Zu den juckenden Stoppeln, die ich dir und deinem Waxing zu verdanken habe?“, zischte ich zurück und drückte den eingehenden Anruf weg.

      „Du könntest längst gekommen sein.”

      „Blödmann.”

      „Also ich finde, dass dein Indianer sich ziemlich viel Mühe mit deinem Sexleben gibt.“

      Ich drückte den nächsten Anruf weg und wisperte: „Dir scheint es ja wieder besser zu gehen.”

      „Von wegen. Aber wenn Pfirsich-Jacob mit Orgasmus-Garantie dir wirklich egal ist, dann verstehe ich nicht, warum du dein Handy nicht ausschaltest. Und wieso hat der überhaupt deine Nummer? Tina?“

      Ich nickte mit bösem Blick.

      „Könnten Sie beide ihre Privatgespräche eventuell auf die Zeit nach Studienabschluss verschieben? Bis dahin brauchen Sie nämlich alle Gehirnzellen für das Studium. Besonders Sie beide.“

      „Verzeihung, Professor Kentwell“, sagte ich beschämt. Im selben Moment traf ich eine Entscheidung.

      „Ich besorge mir noch heute eine neue Handy-Nummer. Ich schwöre, bei unserer Freundschaft”, flüsterte ich Ron zu.

      „Gute Idee. Und wenn du schon bei den Neu-Anschaffungen bist, besorg dir auch gleich noch ein neues Herz.”

      Ich nickte. Ein neues Herz war wirklich dringend erforderlich, denn in dem, das momentan in meiner Brust herumjaulte, war Jacob drin.

      2

      WORKAHOLIC

      JACOB

      Das Gute an Melanie war ihre absolute Loyalität. Obendrein war sie helle im Köpfchen und sie sah fantastisch aus. Ganz gleich, wo sie auftauchte, die bewundernden Blicke der Männer waren ihr gewiss. Ihre offensichtlichen positiven Eigenschaften öffneten ihr Tür und Tor. Besonders die Kerle waren gern bereit, sich von ihr ansprechen und ausfragen zu lassen.

      Außerdem hatte sie eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Ich legte großen Wert auf Melanies Urteil, denn in 99 Prozent aller Fälle traf sie damit voll ins Schwarze. Darum hatte ich sie auf diesem Trip mitgenommen, anstatt mich von einer heißen Lady vom Escort begleiten zu lassen.

      Außerdem vertraute ich ihr zu 100 Prozent.

      „Deine Augen sind so blutrot, als hättest du mal wieder die ganze Nacht gearbeitet - oder gesoffen. Vermutlich beides. Du solltest eine Sonnenbrille aufsetzen, um keine Kinder oder alte Damen zu erschrecken“, empfing sie mich in der Hotel-Lobby, noch bevor sie mir einen guten Morgen wünschte.

      Tja, Melanies großartige Beobachtungsgabe hatte auch Nachteile.

      Zumal in ihrer Bemerkung das Wort Brille vorkam, das seit einiger Zeit für mein Gehirn mit einer gewissen Frau verbunden und für mich zum Unwort des Jahres aufgestiegen war.

      „Lass uns sofort durchstarten“, entgegnete ich und schob sie durch die Drehtür. Ich würde mich nicht vor ihr rechtfertigen. Ich arbeitete und trank so viel wie ich wollte, und nicht so wenig wie gut für mich war. Da ließ ich mir von niemandem reinreden. Nicht mal von meiner großartigen Assistentin, die im Übrigen das Gehalt eines Vorstandsvorsitzenden kassierte.