Daisy Summer

Bei Anruf Callgirl


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      „Jetzt sei doch vernünftig“, maulte Tina.

      „Was glaubst du, was ich gerade bin“, presste ich hervor.

      Ich schwitzte jetzt schon wie ein Schwein unter meinem Kissen, während der Rest meines Körpers fror, weil ausgerechnet mitten im Winter im ganzen Haus die Heizung ausgefallen war. „Gib mir die Decke zurück.“

      „Erst, wenn du bereit bist, darüber nachzudenken.“

      „Ich habe darüber nachgedacht“, motzte ich in mein Kissen.

      „Aber du bist zum falschen Ergebnis gekommen.“

      Das war Tinas Logik. Sehr witzig.

      Sie begann damit, an meinem Kissen zu zerren. Für eine Schwangere hatte sie ganz schön viel Kraft. Irgendwie für zwei, was vermutlich daran lag, dass sie neuerdings tatsächlich für zwei futterte. Wenn sie wenigstens die stinkenden Gewürzgurken essen würde, die den Kühlschrank verpesteten. Stattdessen war unser Schokovorrat schon wieder aufgebraucht.

      „Wenn ich das Kissen loslasse, fliegst du quer durch den Raum“, warnte ich sie.

      „Das wagst du nicht.“

      „Bist du sicher?“

      „Du willst nicht riskieren, dass das Baby zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin das Licht der Welt erblickt.“

      Da hatte sie auch wieder recht. Tina ließ das Kissen endlich los und sagte: „Mensch, Emma!“

      Ich steckte mir das klumpige Federkissen in den Nacken und wischte mit dem Ärmel meines Rollkragenpullovers den Schweiß aus meinem glühenden Gesicht. Tina breitete die Decke über mir aus. Danach kroch sie zu mir in die Federn.

      „Was verlierst du, wenn du es tust?“

      „Er hat sich für das Wochenende ein Callgirl gebucht! Er ist ein schräger Typ! Genau aus dem Grund bin ich damals abgehauen. Weil ich mir nämlich schon ganz richtig dachte, dass er nicht richtig tickt. Wie wir jetzt endgültig wissen, lag ich damit absolut richtig. Er hat es wieder getan. Ich bin froh, dass ich damals in den Flieger gestiegen bin.“

      Ich streichelte über Tinas runden, festen Bauch. Manchmal strampelte das Baby. Aber jetzt war es ruhig. Wie schade. Diese winzigen Füßchen, die sich durch Tinas Bauchdecke drückten, hatten eine beruhigende Wirkung auf mich.

      Tina schob meine Hand beiseite.

      „Lass sie schlafen.”

      „Es wird ein Mädchen?”, kreischte ich auf.

      „Woher soll ich das wissen?”

      Das fragte ich mich auch. Tina und ich gingen immer zusammen zu ihrer Gyn. Dort hielten sie uns schon für ein lesbisches Paar, das sich einen Samenspender genehmigt hatte.

      „Warum sagst du es dann?”

      „Nur so. Es fühlt sich persönlicher an.”

      Aber Tina hatte keine Lust, weiter über unser Baby zu reden.

      „Nach mehreren Monaten hat Jacob Morgan zum ersten Mal wieder in der Agentur angerufen. Zum Glück! Und zum Glück hatte ich Bürodienst. Und jetzt sag noch einmal, dass das kein Schicksal ist! Ich sage dir jetzt, wie ich das sehe, Emma: Der Mann hat gelitten wie ein Hund, weil du ihn hast abblitzen lassen. Du hast dem Mann, der wie Richard Gere in Pretty Woman hinter dir her gehetzt ist und dir sein Herz zu Füßen legte, das Messer ins Herz gerammt.”

      „Abgesehen davon, dass ich kein Herz zu meinen Füßen sehe: Ich soll ihm den Todesstoß verpasst haben?”

      „Wer denn sonst? Jedes Mal, wenn er hinter dir her telefoniert hat und du seine Anrufe weggedrückt hast, hast du ihm das Messer nochmal ins Herz gestoßen. Wieder, wieder und wieder …”

      „Meinst du nicht, dass du übertreibst?”

      „Wenn du nicht meine allerbeste Freundin wärst, der ich praktisch mein Leben zu verdanken habe, und wenn ich nicht wüsste, dass du diesem Mann jede Nacht und auch bei jeder anderen Gelegenheit nachheulst, hätte ich nur Mitleid mit ihm und nicht mit dir!”

      „Du weißt, dass das nicht stimmt.”

      „Sag mal, hältst du mich eigentlich für bescheuert? Meinst du, ich krieg es nicht mit, wenn du in deinem Zimmer heulst?”

      „Das ist nicht wegen ihm.”

      „Lüg nicht!”

      „Ich heule um meine Karriere.”

      „Für deine Karriere schreibst du Bewerbungen.”

      „Das auch, aber nebenbei heule ich.”

      „Klappe! Ich spreche jetzt ein Machtwort. Ich treffe diese Entscheidung für dich. Du hast da kein Wort mitzureden. Du fährst an diesem Wochenende nach Philadelphia und bringst das, was du kaputt gemacht hast, in Ordnung!“

      Mit Verlaub, aber meine Freundin spinnte ja wohl! Vielleicht war mein Herz noch nicht auf dem Weg der Genesung, aber schlimmer werden konnte es nicht mehr. Also konnte es nur besser werden. Schlimmer wurde es nur, wenn ich den Mann wiedersah. Warum also sollte ich nach Philadelphia fahren und irgendwas in Ordnung bringen, was noch nie in Ordnung gewesen war. Was im Grunde genommen niemals existiert hatte?

      „Was, wenn ich es nicht tue?“

      „Dann, dann … Dann gebe ich dein Patenkind zur Adoption frei!“

      Bartüren in Hotels, die zur Hälfte aus Glas bestanden, waren nicht die günstigsten Bauteile, um sich dahinter zu verstecken. Wenn dann noch alle drei Minuten ein Gast auf einen runter guckte, und fragte, ob er was für einen tun könne, sah man sich sehr bald nach einem anderen Aufenthaltsort um.

      Das Problem war nur, das ich dann entweder hätte gehen oder die Bar betreten müssen. Da Gehen ausschied, weil es bedeutete zu kneifen, kauerte ich weiterhin hinter dem rechten Türflügel und drückte mir die Nase in der unteren rechten Ecke der Scheibe platt.

      Da saß er. An der langen Seite des Tresens, der eine U-Form hatte. Ich erkannte nur ein Stück von seinem Rücken. Sein Barhocker stand etwas weiter nach hinten im Raum als die Sitzgelegenheiten der anderen. Er saß auch nicht ganz auf dem Hocker, sondern sein kleiner, muskulöser Knackarsch küsste die gepolsterte Sitzfläche und seine Beine berührten den Boden. An den angewinkelten Armen erkannte ich, dass er sein Glas mit beiden Händen hielt. Manchmal bewegte sich der rechte Ellbogen und sein dunkler Schopf nickte erst ein wenig, bevor er sich leicht in den Nacken legte. Das war der Moment, in dem er einen Schluck trank. Wein, nahm ich an, denn vor meinem inneren Auge erstand das Bild von dem Hasenessen am ersten Abend unserer Begegnung auf. Damals hatte er jede Menge davon getrunken.

      Auf meinem Beobachtungsposten hätte ich Alkohol gebrauchen können. Ich war so ein Feigling. Nur noch ein paar Minuten, sagte ich mir, glaubte mir aber selbst nicht.

      Andererseits sprach er mit der Frau, die neben ihm an der Bar hockte. Sollte ich in das Gespräch reinplatzen?

      Ja, natürlich! Was denn sonst?, hörte ich Tinas Worte in meinem Ohr.

      Gut, dass sie nicht bei mir war, sondern zu Hause auf dem Sofa lag und Babyzeitschriften studierte. Und auch gut, dass ich mein Handy abgeschaltet hatte.

      Allein bei dem Gedanken, mich auf die Füße zu stellen, meine eingeschlafenen Beine aufzuwecken und in die Bar hinein zu marschieren, brach mir der kalte Schweiß aus.

      Plötzlich legte sich eine zarte Hand auf meinen Rücken. Sie gehörte zu der Rezeptionistin.

      War die Frau denn wahnsinnig geworden? Ich hätte an einem Herzinfarkt sterben können!

      „Wir beobachten Sie schon eine Weile“, sagte sie und nickte in Richtung der Rezeption, wo zwei Kolleginnen und ein Kollege von ihr hinter dem Tresen