Ursula Corbin

"Du sollst nicht töten"


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völlig uninteressant, deshalb setzte er wenig Zeit dafür ein und bereitete sich nur mangelhaft auf diesen Prozess vor.

      Der Staatsanwalt hatte leichtes Spiel: Clifford war dunkelhäutig – das Opfer eine weiße Frau. Zudem stammte die Frau aus der Oberschicht und war eine Bekannte der Präsidenten familie Bush, der Täter lebte auf der Straße, konsumierte Drogen und war schon mehrfach wegen Diebstahl und Drogenbesitz verurteilt worden. Die Jury bestand ausschließlich aus weißen Bürgern der Stadt Houston, und innerhalb weniger Stunden wurde Clifford wegen vorsätzlichen Mordes zum Tode verurteilt.

       Die Tat gemäß Gerichtsurteil

      Im Januar 1981 war Clifford auf Bewährung frei, nachdem er eine Strafe wegen Drogendelikten verbüßt hatte. Er fand in Houston einen Job in einem Kino als Platzanweiser und Hauswart und musste sich – eine Bestimmung der Bewährungsauflage – jede Woche bei der Polizei melden. In jener Nacht habe er seinen Dienst im Kino erledigt und gesehen, dass noch Licht im Büro der Chefin brannte. Als niemand mehr da war, sei er mit der Absicht, die Chefin umzubringen und ihre Wertsachen zu stehlen, ins Büro eingedrungen. Er habe sie erwürgt, ihre Geldbörse gestohlen, den Autoschlüssel genommen und sei weggefahren. Ein paar Tage später wurde er gefasst, weil er immer noch in ihrem Auto unterwegs und vollkommen bekifft in eine Verkehrskontrolle geraten war. Clifford habe den Mord gestanden, und auch wenn es keine Zeugen gebe, sei dieser Fall eindeutig als geplanter Raubüberfall mit Todesfolge einzustufen. Ein Vergehen, auf dem in Texas zwingend die Todesstrafe steht.

       Cliffords Version der Tat

      Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er in Houston, Texas, einen Job in einem kleinen Kino gefunden. Zu seinen Aufgaben gehörte es, spätabends nach Theaterschluss jeweils überall Ordnung zu machen, zu putzen und alle Türen zu schließen. Einige Monate lief alles gut, doch eines Nachts passierte ihm das Missgeschick, den Hauptschlüssel im Kinoraum zu vergessen, sodass sich die Tür automatisch hinter ihm schloss. Clifford hatte keine Möglichkeit, wieder ins Kino hineinzukommen, es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Vorfall seiner Chefin Mrs. Smith zu melden und sie zu bitten, ihm ihren Ersatzschlüssel zu überlassen, um das Kino wieder öffnen zu können. Die Chefin war sehr wütend auf ihn und nach einem kurzen und heftigen Wortwechsel kündigte sie ihm. Da er, wie in den USA üblich, keinen schriftlichen Arbeitsvertrag hatte, hieß dies, dass er ab sofort arbeitslos war.

      Ein harter Schlag für Clifford, denn die Arbeit hatte ihm gefallen und er war gut darin. Diese Kündigung konnte und wollte er nicht einfach so hinnehmen. Ein paar Tage nach seiner Entlassung entschied er sich deshalb, das Gespräch mit seiner Chefin zu suchen und sie zu bitten, ihm nochmals eine Chance zu geben. Im Büro von Mrs. Smith, das direkt über dem Kino lag, sah er nach Kinoschluss noch Licht und entschloss sich hinaufzugehen. Auf sein Klopfen öffnete ihm niemand und auch auf sein Rufen hin blieb alles ruhig. Die Tür war nicht verschlossen, also öffnete er sie und trat ein. Mrs. Smith saß an ihrem Pult und erschrak heftig, als sie ihn plötzlich vor sich stehen sah. Sie fühlte sich bedroht und schrie umgehend um Hilfe. Auf seine Bitte, sie solle ruhig sein, er wolle doch nur mit ihr reden, sei sie völlig hysterisch geworden. Sie habe noch lauter geschrien und nach dem Telefonhörer gegriffen, um die Polizei zu rufen. Clifford, der nur auf Bewährung draußen war, wusste, dass ihm niemand seine gute Absicht glauben würde und er vermutlich wieder ins Gefängnis musste, wenn jetzt die Polizei auftauchte. Ihr lautes Geschrei und der Versuch, die Polizei zu rufen, lösten Wut und Panik aus. Clifford verlor die Nerven, packte sie und hielt ihr den Mund mit beiden Händen zu. Die Kinobesitzerin wehrte sich mit aller Kraft, woraufhin Clifford sie auf ihr Pult presste und sie mit dem Telefonkabel würgte, damit sie endlich still sei. Als sie nicht mehr um sich schlug, realisierte er, dass sie nicht mehr atmete; Mrs. Smith war tot.

      Anscheinend hatte niemand ihre Schreie gehört, und Clifford wollte so schnell wie möglich verschwinden. Ihre Handtasche und den Autoschlüssel nahm er an sich und machte sich davon. Das Geld aus ihrer Tasche setzte er für Essen und Drogen ein. Mit dem Auto schaffte er es anschließend bis nach Kalifornien. Dort wurde er ein paar Tage später von einer Polizeistreife angehalten, weil er ein Rotlicht missachtet hatte. Da er offensichtlich unter Drogen stand, nahmen sie ihn mit auf die Wache und fanden schnell heraus, dass er in Texas gesucht wurde.

       Clifford in Untersuchungshaft

       Zwei Versionen einer Tat

      Der Staatsanwalt bezichtigte Clifford des kaltblütig geplanten und ausgeführten Raubmords. Clifford dagegen behauptete, die Tat nicht geplant zu haben; sein Vergehen wäre laut Gesetz als Diebstahl mit Todesfolge und demnach als Totschlag einzustufen. Nun lag Cliffords letzte Chance darin, dass der Anwalt der ACLU das Gericht davon überzeugen konnte, den Fall nochmals aufzurollen.

      Tatsächlich gelang diesem Anwalt das Kunststück, dass nicht nur die Hinrichtung aufgeschoben wurde, er erreichte auch eine Weisung des Obergerichtes an das Bezirksgericht, den Fall nochmals genau zu prüfen. Die Tatsache, dass die Jury ausschließlich aus weißen Bürgern zusammengesetzt gewesen war und der Pflichtanwalt seinen Klienten nur mangelhaft verteidigt hatte, warf Fragen auf und musste nochmals überprüft werden.

      Acht Jahre sollte das Ganze dauern! Immer wieder wurden Anträge formuliert und Berufungen eingereicht. Der Fall wurde ständig weitergezogen – vom Bezirksgericht ans höhere Gericht des Staates Texas und von diesem ans überstaatliche Gericht weitergereicht. Leider scheiterten alle Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Es hieß jeweils, dass die Gründe für eine Wiederaufnahme nicht gewichtig genug seien und somit werde das Begehren abgelehnt.

      Immer wieder gab es neue Hinrichtungsdaten, immer wieder wurden die Daten verschoben.

      Im Oktober 1991 schrieb Clifford:

       »You know dear Ursula, in a way, I feel like I have died several times! Each time these wardens come to pick up one of us to get him executed, I am going that way with him – in my mind! It kills me to say goodbye and to know exactly what they are going to do with him and that he will never return! It harshly reminds me that it is only a question of time until it is going to be my turn! Do you have any idea how this feels?

       I have told you that up to this day, I was able to survive several execution dates! I can assure you, that this has been hell! Can anybody out there possibly figure how it is, to get ready for your own execution, over and over again? Each time to get an official letter with a new date, to prepare mentally, write good-bye letters to the people you love, feel hopeless, alone and frightened – and praying to God for strength in these last days … And then, the count down of the remaining days, the hours and finally – the minutes! At the end of it all you just want it to be over with as quickly as possible! And suddenly – after all of what you went through – there is a phonecall from some office and you are told, that there is a stay of execution! A stay of 30 or 60 days ! Whatever – it is only a stay! I can honestly tell you that they have killed me several times up to now!«

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       »Weißt du, liebe Ursula, auf eine gewisse Art bin ich schon oft gestorben. Jedes Mal, wenn die Wärter einen Mitgefangenen zu seiner Hinrichtung abholen, dann mach ich im Geiste alles mit ihm durch! Es macht mich fertig, mich von ihm zu verabschieden und genau zu wissen, was sie jetzt mit ihm machen werden und dass er nie mehr zurückkehren wird. Es wird mir dann brutal bewusst, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch ich an der Reihe bin! Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Ich hab dir ja erzählt, dass ich schon einige Hinrichtungsdaten überlebt habe. Ich kann dir versichern, da geht man durch die Hölle! Kann sich irgendein Mensch da draußen überhaupt vorstellen, wie das ist, sich immer wieder auf die eigene Hinrichtung vorzubereiten? Wieder einen Brief mit einem neuen Hinrichtungsdatum zu bekommen, sich erneut geistig darauf einzustellen,