sehr Elmer auch raste, das Zimmer wurde dadurch nicht weniger einsam.
Viertes Kapitel
1
Rektor Quarles redete ihm zu.
Elmer könnte vielleicht auf die ganze Welt Einfluß gewinnen, wenn er Geistlicher würde. Welch ein Ruhm für das gute alte Terwillinger und alle Heiligtümer von Gritzmacher Springs!
Eddie Fislinger redete ihm zu.
»Herrje! du wirst viel weiter kommen als ich! Ich seh' dich schon als Vorsitzenden der Baptistensynode!« Elmer hatte Eddie noch immer nicht gern, aber er legte es jetzt darauf an, Jim Lefferts zu ignorieren (sie trafen einander auf der Straße und grüßten sich grimmig) und er mußte jemand haben, der seinen Tugenden den Kammerdiener spielte.
Der Dekan des Colleges, der Geistlicher gewesen war, redete ihm zu.
Wo könnte Elmer ein Metier finden, das ihm eine bessere soziale Stellung böte als der Beruf des Geistlichen – Tausende lauschen auf ihn – er wird zu Banketts und allem möglichen eingeladen. So viel leichter als nun, nicht gerade leichter; alle Geistlichen arbeiteten eifrig – große Opfer – beständige Anforderungen an ihr Mitgefühl – heroischer Kampf gegen das Laster – aber gleichzeitig elegante, vornehme Arbeit, umgeben von Büchern, hochfliegenden Gedanken und den schönsten Damen der Stadt oder im Lande, wie es sich eben traf. Und eine billigere Berufsvorbereitung als beim juristischen Studium. Mit Stipendien und Aushilfspredigten könnte Elmer seine drei theologischen Jahrgänge im Mizpah-Seminar machen, fast ohne etwas im Jahr zu brauchen. Was für andere Berufspläne hätte er denn? Nichts Bestimmtes? Nun, das sähe ja aus wie ein Fingerzeig Gottes; ganz gewiß; wir wollen die Sache als abgemacht ansehen. Vielleicht könnte Elmer schon im allerersten Jahr ein Stipendium bekommen –
Seine Mutter redete ihm zu.
Sie schrieb ihm täglich, daß sie sich sehnte, daß sie betete, schluchzte –
Elmer redete sich selbst zu.
Außer der Möglichkeit, im schmutzigen Büro eines Vetters in Touluca, Kansas, juristisch zu praktizieren, hatte er keine Aussichten. Nur zwei Dinge hatte er gegen den geistlichen Beruf, jetzt nachdem er von Jim befreit war; einmal die niedrigen Gehälter, und dann die Tatsache, daß es Geistlichen, die beim Trinken oder Flirten erwischt wurden, oft sehr schlecht erging. Das mit den Gehältern war nicht einmal so schlimm – er würde natürlich sehr hoch steigen und wahrscheinlich Acht- bis Zehntausend verdienen. Aber die Sache mit den Amusements – er dachte so viel darüber nach, daß er schnell einen Ausflug nach Cato machte, von dem er, vorläufig für immer von allen Gelüsten nach Lasterhaftigkeit geheilt, zurückkehrte.
Was ihm aber am stärksten zuredete, war die Erinnerung daran, wie er sein Auditorium in der Hand gehalten, wie er mit ihm gespielt hatte. Menschen zu bewegen – Herr Gott! Er hätte am liebsten gleich jetzt irgend jemand eine Rede über irgend etwas gehalten und Applaus eingeheimst!
Um diese Zeit war er in seiner Rolle als Anwärter auf die Rechtfertigung so sicher, daß es nichts Peinliches für ihn hatte (solange kein hohnlachender Jim in der Nähe war) die verwirrendsten theologischen und moralischen Ausdrücke in Anwesenheit Eddies oder des Rektors zu gebrauchen; und ohne ein einziges Mal lachen zu müssen, ließ er erschütternde Ansprachen vom Stapel über Themen wie »Die Pflicht jedes Menschen, alle Mitmenschen zu Christus zu führen« und »Die historische Stellung der Baptisten als der einzigen wahren Schriftgetreuen Kirche, welche die Taufe durch völliges Untertauchen praktiziert, wie Christus selbst es gelehrt hat.«
Er war überzeugt. Er sah sich als jungen Prediger mit weißer Stirn und strahlenden Augen in einem neuen Gehrock, auf einer Kanzel, wie er Hunderte von schönen Frauen dazu brachte, als Bekehrte zu weinen und nach vorne zu eilen, um ihm die Hand zu drücken.
Aber es gab ein Hindernis, das sehr ernsthaft war. Sie alle erklärten ihm, er müßte, obgleich er zu geweihtem Material auserwählt wäre, ein als »Ruf« bekanntes mystisches Erlebnis haben, bevor er sich endgültig entscheiden könnte. Gott selbst mußte erscheinen und ihn zum Dienst rufen, und so sehr Elmer jetzt auch seine eigenen Kräfte und die Vorzüglichkeit der Kirche kannte, von Gott spürte er in der Gegend nicht mehr als in den schlimmsten Tagen vor seiner Bekehrung.
Er fragte den Rektor und den Dekan, ob sie einen Ruf gehabt hätten. Oh ja, freilich; als sie aber praktische Ratschläge erteilen sollten, wie ein Ruf herbeizuführen oder als solcher zu erkennen wäre, redeten sie um die Sache herum. Eddie wollte er nicht fragen – Eddie würde nur zu freigebig mit Tips sein, mit ihm niederknien und beten wollen, und überhaupt ziemlich ekelhaft, aufgeregt und unangenehm sein.
Der Ruf kam nicht, viele Wochen nicht: Ostern war schon vorüber, und er wußte noch immer nicht, was er im nächsten Jahr tun sollte.
2
Frühling in der Prärie, üppiger Frühling. Flieder verdeckte den Backstein und Mörtel der College-Gebäude, Spiräenstauden bildeten eine funkelnde Wand, und aus den Feldern und Wiesen des Kansaslandes kamen sanfte Lüftchen und das Trillern der Lerchen.
Studenten lagen müßig in den Fenstern und riefen zu Freunden hinunter; sie spielten im Hof Fangball; sie gingen ohne Hut und schrieben viel Gedichte; die Terwillinger Baseballmannschaft schlug das Fogelquist-College.
Noch immer erhielt Elmer seinen göttlichen Ruf nicht. Untertags, wenn er Fangball spielte, übermütig war, seine Bekannten verprügelte, an eine Mauer gelehnt sang: »Die glücklichsten Tage, die wir kannten, das war im schönen alten Terwillinger«, oder wenn er allein durch das kleine Pappel- und Weidenwäldchen am Tunker Creek stapfte, blühte er mit dem aufblühenden Jahr auf und war glückselig.
Die Nächte waren die reinste Hölle.
Er fühlte sich schuldig, weil er noch keinen Ruf hatte; Mitte Mai ging er zum Rektor.
Dr. Quarles dachte nach und verkündete dann:
»Bruder Elmer, das allerletzte, was ich, treu dem Geist meines göttlichen Berufs, tun möchte, wäre, Ihnen einen Ruf vorzutäuschen, wenn Sie keinen gehabt haben. Das würde sein wie die heidnischen Halluzinationen, die auf die armen kranken Anhänger des römischen Katholizismus einwirken. Was er sonst auch sein mag, Illusionen darf ein Baptistenprediger nicht haben; er muß seine Arbeit auf gute, handgreifliche wissenschaftliche Tatsachen gründen – die erwiesenen Tatsachen der Bibel und des Sühnopfers, von dem wir sogar pragmatisch wissen, daß es wahr ist, weil es wirkt. Nein, nein! Aber trotzdem bin ich überzeugt, daß Gottes Stimme Sie ruft, Sie müssen sie nur hören können, und ich will Ihnen helfen, den Schleier der Weltlichkeit zu lüften, der zweifellos Ihr geistiges Ohr noch taub macht. Wollen Sie morgen abend zu mir in meine Wohnung kommen? Wir werden die Angelegenheit dem Herrn im Gebete unterbreiten.«
Das Ganze war ziemlich schauderhaft.
An diesem freundlichen Frühlingsabend, an dem ein erfrischender Wind in den Zweigen der Platanen wehte, hatte Rektor Quarles in seiner Wohnstube die Fenster geschlossen und die Rouleaux heruntergelassen; in diesem Zimmer hingen Bleistiftzeichnungen von Baptistengrößen, standen rote Plüschsessel und verglaste Einheitsbücherschränke, welche die weltlichen Schriften der poetischer veranlagten Geistlichkeit enthielten. Als Helfer im Gebet hatte der Rektor die älteren, fundamentalistischen Expastoren des Lehrkörpers eingeladen und die sanfteren, beredteren Y.M.C.A.-Häupter, die von Eddie Fislinger angeführt waren.
Als Elmer eintrat, lagen sie auf den Knien, die Arme auf den Sitzen umgekehrter Stühle, mit gesenkten Häuptern, alle beteten laut und gemeinsam. Sie sahen zu ihm auf wie alte Weiber, welche die Braut mustern. Er wollte ausreißen. Dann erwischte ihn der Rektor und zwang ihn auf die Knie; er litt, er war verwirrt und wußte nicht, was zum Teufel er beten sollte.
Abwechselnd erzählten