Sinclair Lewis

Gesammelte Werke


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geschwungen hatten, wenn sie ihm versicherten, daß Gott immer herumkröche, um kleine Buben bei ihren geheimsten Gedanken zu erwischen – der so gewappnete Eddie war eine Amtsperson, und Elmer lauschte ihm voll Unbehagen, nie ganz sicher, ob er nicht doch mit einemmal einen schrecklichen Menschen in sich fände, der ein reines und langweiliges Leben in einem sauberen Gehrock führt.

      »– und denk doch daran,« winselte Eddie, »wie schrecklich gefährlich es ist, die Stunde der Gnade von sich zu weisen! ›So wachet nun: denn ihr wisset nicht, wann der Herr des Hauses kommt‹, heißt es. Stell dir vor, der Zug verunglückt heute nacht!«

      Unglückseligerweise durchfuhr der Zug in dieser Sekunde eine Kurve und machte einen Ruck.

      »Siehst du? Wo würdest du in der Ewigkeit sein, Höllenhund? Glaubst du, daß alle Vergnügungen zusammen es wert sind, in der Hölle zu braten?«

      »Ach, hör doch auf. Ich weiß das ganze Zeug. Es gibt eine Menge Beweise – wart nur, ich hol' Jim, er soll dir erzählen, was Bob Ingersoll über die Hölle sagt!«

      »Ja! Freilich! Vergiß aber nicht, daß Ingersoll auf dem Totenbett seinen Sohn zu sich gerufen und bereut und ihn gebeten hat, sich zu beeilen, der Gnade teilhaftig zu werden und alle seine verruchten Schriften zu verbrennen!«

      »Also – Donnerwetter – ich bin heute abend nicht in der Stimmung, über Religion zu reden. Hör auf damit.«

      Aber Eddie war in der Stimmung, über Religion zu reden, sogar sehr. Er schwenkte begeistert seine Bibel und fand immer die unerfreulichsten Stellen. Elmer hörte so wenig wie möglich zu, aber er war zu schwach, um Drohungen auszustoßen.

      Es war eine herrliche Erleichterung, als der Zug seinen letzten Rumpler machte und in Gritzmacherquellen hielt. Die Station war eine schmierige Holzkiste, der Bahnsteig lag unter dickem Kot im Licht der Petroleumlampen. Doch Jim erwartete ihn, eine Zuflucht vor verwirrenden theologischen Fragen, und Eddie ein wütendes »G'Nacht« zurufend, schwankte er davon.

      »Warum hast du ihm nicht das Maul gestopft?« fragte Jim.

      »Hab' ich ja! Was, glaubst du, ich hab' mich nicht getraut? Ich hab' ihm gesagt, er soll die Schnauze halten, und er hat die Schnauze gehalten, und ich hab' den ganzen Weg über gepennt, und – oh! Mein Schädel! Geh nicht so schnell!«

      Zweites Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      1

      Seit Jahren hatte der Zustand der Sünde, in dem Elmer Gantry und Jim Lefferts staken, verzücktes Entsetzen in den christlichen Herzen des Terwillinger-Colleges hervorgerufen. Keine Wiedererweckungsversammlung, die nicht ihre schwefelgetränkten Pfeile nach ihnen geschleudert hätte – gewöhnlich in ihrer Abwesenheit. Kein Gebet bei den Meetings der Y.M.C.A., das sich nicht Sorgen über ihre haltlose Lasterhaftigkeit gemacht hätte.

      Von Elmer wußte man, daß er zusammenzuckte, wenn der Rektor, Rev. Dr. Willoughby Quarles, bei der Morgenandacht einen seiner guten Tage hatte; Jim jedoch hatte ihn fest im Glauben des Unglaubens gehalten.

      Nun eilte Eddie Fislinger wie ein Prärie-Seraph zwischen den Zimmern der Auserwählten einher, um die staunenerregende Neuigkeit zu verbreiten, daß Elmer sich öffentlich zum Glauben bekannt und im Zug neununddreißig Minuten persönlicher Beschwörung ertragen hätte. Sofort wurde ein heiliges Komplott gegen das unglückselige Opferlamm geschmiedet, und in ganz Gritzmacherquellen, in den Studierzimmern der geistlichen Professoren, in den Zimmern der Studenten, in dem kleinen Gebetsraum hinter der Kapelle, verschworen sich frohlockende Seelen mit dem Herrn gegen Elmers fröhliches, herzhaftes Sündigen. Überall, durch den Schneesturm, konnte man murmeln hören: »Es ist mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut –«

      Sogar Studenten, die nicht allzusehr im Ruf der Frömmigkeit standen, die verdächtigt wurden, Karten zu spielen und heimlich zu rauchen, wurden in Ekstase gebracht – oder vielleicht machten sie sich auch lustig. Der Fußballzenter, in den Tagen vor seiner Bekehrung ein Gefährte Elmers und Jims, jetzt aber mit einer großen scheinheiligen schwedischen Kommilitonin aus Chanute verlobt, erhob sich freiwillig in der Y.M.C.A. und gelobte Gott seinen Beistand zur Gewinnung von Elmers Gewogenheit.

      Am inbrünstigsten stieg es aus dem Zimmer Eddie Fislingers auf, der jetzt als künftiger Prophet anerkannt war, und von dem man erwartete, daß er eines Tages eine der größeren Baptistenkirchen in Wichita oder vielleicht sogar Kansas City unter sich haben würde.

      Er organisierte zu Nutz und Frommen Elmers ein Tag- und Nacht-Gebetsmeeting, dem die Allereifrigsten beiwohnten, sogar auf die Gefahr hin, von den Lehrern Grobheiten und unhöfliche Bemerkungen zu hören zu bekommen. Auf dem nackten Boden von Eddies Zimmer über Knute Halvorsteds Malerwerkstatt knieten immer drei bis sechzehn junge Männer gleichzeitig, keine achtzehnhunderter Wiedererweckungsversammlung hatte ein erfolgreicheres Ringen mit dem erschöpften Satan gesehen. Einer, der im Geruch stand, zu religiöser Epilepsie zu neigen, brachte es sogar zu Verzückungen, und obgleich man das Gefühl hatte, daß dies weiter ginge, als der Herr und der Baptistenverband gern sehen würden, vermehrte es die Begeisterung des Betens um die dritte Morgenstunde, besonders da sie alle gehörig berauscht von Kaffee und vielen Worten waren.

      Am Morgen war alles überzeugt, daß man Gott überredet hätte, sich Elmers anzunehmen; Elmer selbst hatte zwar die ganze Nacht ziemlich fest geschlafen, ohne etwas von dem Gebetsmeeting oder von göttlichen Einflüssen zu merken, doch das war lediglich ein Beispiel für die Geduld der himmlischen Mächte. Aber gleich nachher begannen diese Mächte wirksam zu werden.

      Zu Elmers Unglück und Jims stiller Wut wurde ihr geheiligtes Zimmer von ganzen Scharen heimgesucht, von Menschen, denen ungekämmte Locken über die Stirn fielen, die Begeisterung in den Augen und Bibeln unterm Arm trugen. Elmer war nirgends sicher. Kaum hatte er sich mit schlagfertigen gotteslästerlichen Argumenten, die ihm von Jim beigebracht worden waren, eines Jüngers entledigt, da sprang auch schon ein anderer hinter einem Baum hervor und stürzte sich auf ihn.

      In seiner Pension – Mutter Metzger, am oberen Ende der Beech Street – krähte ein Y.M.C.A.-Derwisch, während er das Brot weiterreichte, Elmer zu: »Schon mal'n Weizenkorn studiert? Wunnerbar! Denkbar, daß so'n wunnerbar kompliziertes Ding wie das sich selbst geschaffen hat? Nein, muß jemand geschaffen haben. Wer? Gott! Wer Gott in der Natur nicht sieht – und sich bußfertig zu ihm bekennt – ist dumm. Das ist er!«

      Lehrer, die Elmer immer nur voll nervösen Zorns den Kollegsaal hatten betreten sehen, lächelten ihm jetzt zu und hörten mit Freundlichkeit seine Erklärung an, daß er nicht genügend zum Vortrag vorbereitet sei. Der Rektor selbst hielt Elmer auf der Straße an, sagte ihm Mein Junge und schüttelte ihm die Hand mit einem Wohlwollen, das Elmer, wie er sich bedrückt eingestand, ganz gewiß nicht verdient hatte.

      Er versicherte Jim weiterhin, daß er nicht in Gefahr sei, aber Jim war alarmiert, und Elmer selbst wurde mit jeder Stunde mehr alarmiert, bei jedem neuen Zuruf: »Wir brauchen dich bei uns, Alter – die Welt braucht dich!«

      Jim hatte alle Ursache, sich zu ängstigen: Elmer schwebte seit jeher in der Gefahr, seine Lieblings Vergnügungen aufzugeben – vielleicht nicht eigentlich sie aufzugeben, aber nach dem Genuß in Angstschweiß zu geraten. Doch trotz Jim und seinen Kommentaren über Kommilitoninnen, die öffentlich beteten und sich das Haar mit vorwurfsvoller Gebärde aus den eierförmigen Stirnen strichen, hätte eine von diesen Sirenen der Moral den leichtfertigen pangynistischen Elmer fast eingefangen, lediglich dadurch, daß sie immer in seiner Nähe war.

      Eine fürchterliche junge Person aus Mexiko, Missouri, pflegte Jim zuzureden, er solle »von seinen komischen Ideen über Religion erzählen«, und dann in ein wahres Gewieher frommen Lachens auszubrechen und herauszuwürgen: »Ach, Sie sind ja zu blendend! Sie glauben ja nicht ein Wort von dem, was Sie sagen. Sie wollen doch bloß Eindruck schinden!« Sie hatte einen falschen, schiefen Blick, der deutlich verriet, daß bei ihr nur über den Weg des Altars