Marco Kranjc

Evangelisch für Dummies


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Zwinglis Fall wurde wohl als relativ harmlos angesehen, andere katholische Geistliche trieben es anscheinend wilder.

      In Zürich kam er trotz allem an, da die Stadt Zürich genau wie er selbst gegen die Söldnerdienste der Schweizer Männer war. Es wurde deutlich, dass Zwingli ein Mann mit einem eigenen Kopf war. Zunächst veränderte er das Predigen am Großmünster. Statt wie üblich nach den kirchlich vorgeschriebenen Perikopen vorzugehen, legte er einzelne biblische Bücher fortlaufend aus.

      

Perikopen sind kirchlich vorgeschriebene Abschnitte aus der Bibel, die für die Lesung und Predigt im Gottesdienst bestimmt sind. Diese wiederholen sich turnusmäßig. So gibt es heute in der evangelischen Landeskirche sechs Perikopenreihen, die Texte wiederholen sich also alle sechs Jahre. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 9.

      

Die Predigt sollte bald den Mittelpunkt aller evangelischen Gottesdienste aller evangelischen Kirchen bilden. Das ist im Großen und Ganzen bis heute so geblieben. Die Predigt bekommt daher in diesem Buch auch mit Kapitel 9 ihren eigenen Platz.

      Übrigens sollte man den Einfluss der Predigt nicht unterschätzen. Zürich hatte nach der Pest 1519 nur noch knapp 7.000 Einwohner, ein Viertel der Bevölkerung war ums Leben gekommen. Fernsehen, Radio, Zeitung und Internet gab es noch nicht. Bücher und Flugschriften waren die einzige Konkurrenz, die blieb – und viele Menschen konnten nicht lesen. So war also für viele Menschen die Predigt das Medienspektakel. Zwingli wollte die Menschen Gottes Wort systematisch lehren, daher brach er es aus dem Zusammenhang der Messe heraus und legte den Grundstein für eine neue, eine evangelische Gottesdienstordnung.

      Zwingli geht ein Licht auf

      Zwinglis Wandel zum Reformator und Gegner von Papst und Kirche fand bei Weitem nicht so dramatisch statt wie bei Luther.

      Drei Dinge könnten ihm den letzten Anstoß gegeben haben:

       Zwingli erkrankte 1519 an der Pest und überlebte. Reichlich Gelegenheit, um noch einmal über Sünde und Vergebung, den »schrecklichen« (also plötzlichen) Tod und das ewige Leben nachzudenken.

       Wie bei Luther ging auch Zwingli eine Bibelstelle nicht aus dem Sinn. Bei ihm war es ein Satz aus dem Gebet »Vater unser«: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern« (Matthäusevangelium, Kap. 6,12).

       Das systematische Predigen von biblischen Büchern hinterließ seine Spuren auch bei Zwingli. Immer mehr erkannte er, wie oft die Praktiken und Lehren der katholischen Kirche vom Wort Gottes abwichen.

      Nun war aber Zwingli kein Grübler und kein überängstlicher Sohn der Kirche. Vielleicht hat er auch irgendwo auf seinem Lebensweg den Respekt vor seiner Kirche verloren. Oder er hat diesen Respekt niemals in dem Maße wie Luther empfunden. Jedenfalls war Zwingli ein überaus zupackender Mensch: Wenn er eine katholische Praktik erkannte, die gar nicht oder anders in der Bibel steht, schritt er zur Tat. Wochenlange innere Zweifel und Kämpfe waren nichts für ihn:

       Im Jahre 1520 verzichtete er auf die päpstliche Pension, die er für die Teilnahme an den Feldzügen von 1513 und 1515 erhielt. Zu jener Zeit war der Bruch mit Rom schon vollzogen.

       Nachdem er nun wusste, was er wollte, machte er sich von allen Bindungen an Rom frei. Während Luther immer nur ein wenig verändern wollte und praktisch von Roms Uneinsichtigkeit zu jedem weiteren Schritt sozusagen »gezwungen« wurde, war Zwingli von Anfang an radikal.

       Zwingli wendete sich entschieden gegen die Söldnerdienste der Schweizer in fremden Armeen.

       Ebenfalls 1520 ließ sich der Rat der Stadt überzeugen, dass alle Priester in Zürich das Evangelium wie Zwingli auslegen sollten.

       Zwingli predigte praktisch gegen jede kirchliche Praxis, die er nicht in der Bibel fand. Er predigte gegen Bilder in den Kirchen, gegen die Fastengebote und gegen die Ehelosigkeit der Priester.

       Schon 1522 heiratete Zwingli heimlich. Bekannt machte er das allerdings erst 1524.

      Ein entscheidender Unterschied zwischen Zwinglis und Luthers Vorgehen ist hier schon deutlich sichtbar. Zwinglis Reformation ist eine »Event«-Reformation. Es wurde nicht geschrieben und debattiert, es wurde gehandelt. Mit dem Schreiben fing Zwingli immer erst an, wenn er alle vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Besonders deutlich wurde das am »Wurstessen« im März 1522.

      Kampfansage: Die Sache mit der Wurst

      Die Gebote der katholischen Kirche besagen, dass in der Passionszeit (also von Aschermittwoch bis Ostern) ein strenges Fasten eingehalten werden muss. Zwingli hatte schon darüber gepredigt und natürlich mit dem Ergebnis, dass so ein Fasten »unbiblisch« war.

      Am 9. März 1522, also am ersten Fastensonntag der Passionszeit, trafen sich im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer (ziemlich verdächtige Gestalten damals, diese Buchdrucker) einige Zürcher Bürger zum – Wurstessen! Zwingli war zwar dabei, aß aber nicht. Natürlich war das Problem nicht, dass die Zürcher dem Hungertod nah waren. Zwingli schrieb später, dass es nicht ums Essen ging, sondern um eine Demonstration christlicher Freiheit. Das bedeutet, dass ein Christ frei ist, selbst zu entscheiden, ob er fasten will oder nicht. Wer will, der soll es tun, wer nicht, der soll eben nicht fasten. Nur kann die Kirche von einem Gläubigen keine Sache verlangen, die nicht in der Bibel steht.

      Um noch einmal auf das »erst handeln, dann reden« zu kommen: Erst 1522 schrieb Zwingli seine erste reformatorische Schrift: Vom Erkiesen (auswählen) und der Freiheit der Speisen.

      Zwischen 1523 und 1524 gab es drei Disputationen:

       Erste Zürcher Disputation (Januar 1523): Für diese Disputation schrieb Zwingli 67 »Schlussreden« (also Thesen), in denen er als Grundsatz davon ausging, dass nur Christus (also das Wort Gottes) das Leben eines Christen regeln darf. Hier einige Beispiele aus Zwinglis Thesen:1. Alle, die behaupten, das Evangelium gelte nicht ohne die Bestätigung durch die Kirche, irren und schmähen Gott.5. Darum irren alle, die andere Lehren dem Evangelium gleichstellen oder über das Evangelium stellen, und sie wissen nicht, was Evangelium ist.16. Im Evangelium lernt man, dass Menschenlehre und -satzungen zur Seligkeit nichts nutzen.24. Kein Christ ist zu Werken verpflichtet, die Gott nicht geboten hat, und er darf allezeit jede Art von Speise essen.Im Streitgespräch war Zwingli den Vertretern des Bischofs deutlich überlegen, da diese nur mit den Traditionen der Kirche argumentierten. Entscheidend war nun, dass sich die Stadt Zürich vom Bischof in Konstanz trennte und der Rat der Stadt von nun an die Kirche unter sich hatte. Jetzt wurde es in Zürich radikal, so wurden zum Beispiel Bilder und Statuen in den Kirchen zerstört.

       Zweite Zürcher Disputation (Oktober 1523): Vor 900 Zuhörern wurde über Bilder in den Kirchen und die Messe debattiert. Es war an Zwingli, ein wenig Ordnung zu schaffen. Er schrieb die Kurze christliche Einleitung, um die Zürcher zu informieren, was eigentlich genau vor sich ging. In Zürich ging es ganz anders zu als in Wittenberg. Luther tat jeden neuen Schritt nur zögerlich und wollte so viel wie möglich von der alten Kirche behalten. In Zürich aber wurde alles Katholische konsequent abgeschafft.

       Dritte Zürcher Disputation (Januar 1524):