Robert Esser

Internationales Strafrecht


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Zuleitung der Beschwerde werden Äußerungen zu allen Fragen, einschließlich der einer gerechten Entschädigung, und Vorschläge für eine gütliche Einigung angefordert (Rule 54A Abs. 1) und danach über Zulässigkeit und Begründetheit in einem Urteil entscheiden (Rule 54A Abs. 2).[19]

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      Ist die Beschwerde offensichtlich unzulässig, wird von Juristen der Kanzlei zunächst ein Entscheidungsentwurf erstellt. Darin ist neben einer Aufstellung der Fakten auch der Grund der Unzulässigkeit enthalten. Nach einer Kontrolle durch einen Rapporteur, einen nichtrichterlichen Berichterstatter, erhält der zuständige Einzelrichter den Entwurf. Zur Information wird er auch dem nationalen Richter zugeleitet.

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      Der Einzelrichter erklärt die Beschwerde nur dann für unzulässig, wenn dies ohne weiter Untersuchung möglich ist, sich also die Unzulässigkeit bereits aus den vom Bf. eingereichten Unterlagen ergibt – und insbesondere eine Stellungnahme des beklagten Vertragsstaates nicht erforderlich scheint (Rules 49 Abs. 1, 54 Abs. 2).

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      Beispiel:

      „Hiermit teile ich Ihnen mit, dass der [EGMR] zwischen dem XX [Datum] und dem YY [Datum] in Einzelrichterbesetzung ([Name des Richters], unterstützt von einem Berichterstatter in Übereinstimmung mit Artikel 24 Absatz 2 der Konvention) entschieden hat, die Beschwerde für unzulässig zu erklären. […],

      Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller zur Verfügung stehenden Unterlagen zu der Auffassung gelangt, dass die in Artikel 34 und 35 der Konvention niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt waren.

      Den gegen die bisherige Praxis erhobenen Bedenken Rechnung tragend, hat der EGMR (Press Release – ECHR 180 [2017] v. 1.6.2017) die Einführung eines neuen Systems für Einzelrichterentscheidungen mit detaillierteren Begründungen angekündigt. Ab Juni 2017 erhalten die Bf. eine Entscheidung des Gerichtshofes in einer der beiden Amtssprachen, unterschrieben von einem Einzelrichter sowie als Anlage einen Brief in der jeweils relevanten Landessprache. Die Entscheidung wird in vielen Fällen auf einen spezifischen Grund der Unzulässigkeit Bezug nehmen. In einigen Fällen wird es aber weiterhin allgemeine Ablehnungsgründe geben („numerous ill-founded, misconceived or vexatious complaints“).

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      Die Beschwerdeakte wird ein Jahr nach Datum der Entscheidung vernichtet.

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      In außergewöhnlichen Fällen, insbesondere wenn eine Unzulässigkeitsentscheidung auf einer falschen Tatsachenbasis getroffen wurde, ist es dem Einzelrichter möglich, die Prüfung wieder aufzunehmen (siehe beim Ausschuss Rn. 316).

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      Erklärt der Richter die Beschwerde nicht für unzulässig und streicht er sie auch nicht aus dem Register, leitet er sie an einen Ausschuss oder eine Kammer weiter (Art. 27 Abs. 3 EMRK, Rule 52A Abs. 3). An den Ausschuss wird er die Beschwerde insbesondere dann weiterleiten, wenn er sie für (offensichtlich) begründet hält.

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      Ein sog. Dreier-Ausschuss (Committee of three judges) kann eine ihm „zugewiesene“ Beschwerde durch einstimmigen Beschluss ebenfalls für unzulässig erklären oder im Register streichen, wenn die Entscheidung ohne weitere Prüfung des Beschwerdegegenstandes getroffen werden kann (Art. 28 Satz 1 lit. a EMRK, Rule 53 Abs. 1); dies liegt letztlich im Ermessen des Ausschusses.

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      Beschwerden, die einem Ausschuss (Committee) zur Prüfung und abschließenden Bescheidung zugeführt worden sind, werden auch in diesem Fall grundsätzlich dem Vertragsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, nicht gemäß Rule 54 Abs. 2 lit. b zur Stellungnahme mitgeteilt.

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      In Inhalt und Umfang weisen die Entscheidungen der Ausschüsse über die Unzulässigkeit einer Beschwerde beträchtliche Unterschiede auf. Mitunter entspricht die Begründung einer Unzulässigkeitsentscheidung durchaus derjenigen eines Kammerurteils – insbesondere wenn die Beschwerde wegen offensichtlicher Unbegründetheit (Art. 35 Abs. 3 lit. a Var. 2 EMRK) als unzulässig eingestuft wird. Daneben sind aber auch sehr kurze Begründungen oder das Fehlen jeglicher Rechtsausführungen denkbar.

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      Hält der Ausschuss die Beschwerde für zulässig, so übermittelt er sie entweder an eine Kammer, die vom Sektionspräsidenten zur Prüfung der Rechtssache gebildet wird (Rules 52 Abs. 2; 53 Abs. 6) oder entscheidet selbst über die Begründetheit, wenn die zugrunde liegende Frage Gegenstand von gefestigter Rechtsprechung ist (Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK, Rule 53 Abs. 2). Auch die Kammern können eine Beschwerde für unzulässig erklären (siehe Rn. 327).

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      Zur Form einer Entscheidung über die Zulässigkeit siehe noch Rn. 330.

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      Der Judge Rapporteur ist gehalten, den Kammern und den Ausschüssen die für den weiteren Verfahrensgang erforderlichen Berichte, Textentwürfe und anderen Unterlagen vorzulegen (Rule 49 Abs. 3 lit. c). Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Beschwerde fertigt er – insbesondere für die Kammern – regelmäßig eine Darstellung des Sachverhaltes sowie einen Bericht an, in dem er auf die konventionsrechtlichen Fragen eingeht, welche die Beschwerde aufwirft; regelmäßig enthält sein Bericht auch einen konkreten Vorschlag in Bezug auf ihre Zulässigkeit und hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen sowie ggf. eine vorläufige Stellungnahme zur Begründetheit der Beschwerde.