369 Abs. 2 i.V.m. § 1 StGB) zu beachten, das unter anderem verlangt, dass die Strafbarkeit vor der Begehung der Tat „gesetzlich bestimmt“ sein muss (strafrechtliches Bestimmtheitsgebot).[13] Nach der Rspr. des BVerfG verpflichtet dieses den Gesetzgeber, „die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben“, dass „Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen“.[14]
11
Für die Tatbestände des Steuerstrafrechts der §§ 370 ff., allen voran für die Steuerhinterziehung gem. § 370, wird die Einhaltung der Bestimmtheitsanforderungen nach allg. Meinung anerkannt.[15] Auch das Institut des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 (s. Rn. 52) hat Anerkennung gefunden.[16] Dass diese weitgehende Anerkennung möglicherweise nicht allein auf die besondere Qualität der Gesetzgebung in diesem Bereichen zurückzuführen ist, sondern auch und vielleicht sogar wesentlich mit einer fehlenden Qualitätskontrolle zusammenhängt (und zwar sowohl seitens des BVerfG, aber auch seitens der Fachgerichte), dürfte nicht unplausibel sein.[17]
12
Die Verwendung von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen ist dem Gesetzgeber dabei nach Ansicht des BVerfG nicht von vornherein von Verfassungs wegen verwehrt.[18] Um der „Vielgestaltigkeit des Lebens“ gerecht zu werden, ist auch die Verwendung solcher Begriffe zulässig, „die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen“.[19] Nach der Rspr. des BVerfG bestehen jedenfalls dann „keine Bedenken“, wenn sich mittels der „üblichen Auslegungsmethoden“ oder „aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt“, die es dem Normadressaten ermöglichen, den Bereich der durch die Strafnorm verbotenen Verhaltensweisen vorauszusehen.[20] Zur Mitverantwortung der Strafgerichte bei der Präzisierung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe s. Rn. 41 f.
13
Soweit weitere steuerrechtliche Vorschriften im Wege der Verweisung in Bezug genommen werden, müssen auch diese ausfüllenden Vorschriften „hinreichend deutlich umschrieben“ sein.[21] Dies ist vereinzelt auch schon für Verweisungen auf Normen und Begriffe des europäischen Rechts verfassungsgerichtlich bestätigt worden.[22] Die neuen Vorgaben des BVerfG zu den Bestimmtheitsanforderungen eines Kriminalstrafe begründenden Verweises auf eine nationale Rechtsverordnung haben bislang im Steuerstrafrecht keinen Anwendungsbereich; dieses kennt den Verweis auf Rechtsordnungen lediglich im Steuerordnungswidrigkeitenrecht (vgl. § 381).[23]
bb) Die Folgen verfassungswidriger Unbestimmtheit
14
Mangelnde Bestimmtheit kann die Norm verfassungswidrig machen. Die rechtsverbindliche Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Norm liegt dabei allerdings allein in der Zuständigkeit des BVerfG (Verwerfungsmonopol, Art. 100 Abs. 1 GG).
15
(Fach-)Gerichte können aber, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt sind und diese nicht selbst durch eine auch ihnen zustehende verfassungskonforme Auslegung beheben können,[24] das Verfahren aussetzen und die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen[25] (sog. Richtervorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG).
16
Daneben besteht für den Normadressaten die Möglichkeit, Verstöße gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG mit der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zu rügen[26] oder unter Berufung auf Art. 7 EMRK Individualbeschwerde zum EGMR[27] zu erheben.
(1) Nichtigkeit der Norm
17
Hat das BVerfG mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) eine Norm für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt hat, entfallen durch diese Nichtigkeitserklärung (§ 78 BVerfGG)[28] alle Rechtswirkungen der Norm. Dies hat zur Folge, dass Verurteilungen hierauf nicht mehr gestützt werden dürfen und entsprechende Verfahren einzustellen sind.[29] Für den Fall, dass bereits eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, kann die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt werden (§ 79 Abs. 1 BVerfGG).[30]
(2) Vorübergehende Weitergeltung
18
Statt der Nichtigkeit der Norm kann das BVerfG auch die vorübergehende Weitergeltung der verfassungswidrigen Norm anordnen (§§ 31 Abs. 2, 79 BVerfGG),[31] um dem Gesetzgeber innerhalb einer bestimmten Frist eine verfassungskonforme Neuregelung zu ermöglichen. In diesen Fällen entfaltet die Norm bis zum Ablauf der Frist weiterhin Rechtswirkungen,[32] was zur Folge hat, dass die Steuerrechtsnorm taugliche Grundlage eines steuerstrafrechtlichen Vorwurfs sein kann.[33] Eine strafprozessuale Wiederaufnahme des Verfahrens soll in dieser Schwebephase nicht zulässig sein, da § 79 Abs. 1 BVerfGG durch § 31 Abs. 2 BVerfGG verdrängt werde.[34]
19
Hat der Gesetzgeber seinen Nachbesserungsauftrag nicht erfüllt, stellt sich die Frage, ob die alte verfassungswidrige Rechtslage weiter die Grundlage für eine steuerstrafrechtliche Verurteilung bilden kann. Das BVerfG verneint dies mit Recht. In diesen Fällen soll, so das BVerfG, „die materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig“ werden und nicht mehr „als Rechtsgrundlage für eine steuerliche Heranziehung“ herangezogen werden können“.[35]
20
Erfüllt der Gesetzgeber hingegen seinen Nachbesserungsauftrag und schafft er eine neue verfassungskonforme Regelung, richtet sich eine etwaige Strafbarkeit nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 StGB: es ist also das mildeste Gesetz anzuwenden (s. § 369 Rn. 30 f.).
aa) Das Gebot verfassungsmäßiger Vollzugsgleichheit
21
Auch der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG hat nach der Rspr. des BVerfG Bedeutung für das Steuerrecht, insofern dieser verlangt, „dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden“ („Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug“).[36] Soweit diese Anforderungen durch die Steuernorm strukturell unterlaufen werden („strukturelles Vollzugsdefizit“[37]), kann dies zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm führen[38] (s. Rn. 22).
bb) Die Folgen eines verfassungswidrigen Vollzugsdefizits
22
Wird eine materielle Steuernorm durch das BVerfG für verfassungswidrig und nichtig erklärt, entfallen deren Rechtswirkungen (