Verdacht dem Arbeitgeber mit, stellt sich die Frage, ob der Mitarbeiter damit durch die Ermittler bereits angehört wurde. Auch wenn sich der verdächtige Mitarbeiter gegenüber den Ermittlern weitgehend eingelassen hat, ist dem Arbeitgeber zu raten, den Mitarbeiter vor Ausspruch einer Verdachtskündigung erneut anzuhören. Die Situation in einem Ermittlergespräch muss nicht dieselbe wie in einem Anhörungsgespräch sein. Erst im Anhörungsgespräch, bei dem sich der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber sieht, muss ihm klar werden, dass es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht. Auch nach umfangreichen Ermittlungsgesprächen sollte daher der kündigungsberechtigte Vertreter, seien es Personalchef(in) oder Vorstand/Geschäftsführung, den Arbeitnehmer in der dargestellten Weise anhören.
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Meldet sich der Arbeitnehmer nicht, kommt er trotz zugegangener Einladung unentschuldigt nicht zum Anhörungsgespräch oder teilt er mit, sich nicht äußern zu wollen, ist dem Anhörungserfordernis Genüge getan, die Verdachtskündigung kann übergeben werden. Weitgehend ungeklärt ist, wie der Arbeitgeber mit Verzögerungstaktiken umzugehen hat. In der Praxis ist es nicht selten, dass sich für den Arbeitnehmer ein Anwalt meldet, der den vorgeschlagenen Termin wegen anderweitiger Termine nicht wahrnehmen kann oder selbst einen zweiten Termin wieder kurzfristig absagen muss. Ist die Einladung zur Anhörung unmittelbar nach Kenntnis vom Verdacht für ein Gespräch innerhalb der Wochenfrist erfolgt und schlägt der Arbeitnehmer einen späteren Termin vor, kann die Wochenfrist überschritten werden.[20] Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur zu einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, hat der Arbeitgeber die Wahl. Er kann die Genesung bei Hemmung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB abwarten oder ohne Stellungnahme des Arbeitnehmers eine Verdachtskündigung aussprechen. Der Vorwurf der unterlassenen Anhörung kann ihm dann nicht gemacht werden.[21] Verzögert der Arbeitnehmer ohne nachvollziehbare Gründe das Anhörungsverfahren, ist dem Arbeitgeber eine erste außerordentliche Kündigung ohne Anhörung und eine zweite außerordentliche Kündigung nach erfolgter Anhörung zu empfehlen. Überhaupt lassen viele Arbeitgeber bzw. ihre Berater die Chance ungenutzt, vorsorgliche weitere Kündigungen auszusprechen. Gerade während eines internen Ermittlungsverfahrens kann sich der Verdacht durch neue Erkenntnisse, Einlassungen der Mitarbeiter oder Beweismittel so verstärken, dass die Verdachtskündigung ab einem späteren Zeitpunkt erfolgversprechender wird. Dies kann dazu führen, dass eine frühere Verdachtskündigung von den Gerichten nicht, eine weitere spätere aber schließlich akzeptiert wird.
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Die Anhörung hat an einem geeigneten Ort, regelmäßig in einem Büroraum des Arbeitgebers ohne äußere störende Einflüsse stattzufinden. Lehnt der Arbeitnehmer dies ab, kann die Anhörung aber auch an einem geeigneten neutralen Ort erfolgen, etwa in einem Café.[22] Manche interne Revisoren führen Befragungen bei schweren Delikten ausschließlich in Erdgeschossräumen durch, um Suizidgefahren zu begegnen (vgl. dazu Rn. 96).
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Die Anhörung sollte durch Personalabteilung oder einen externen Berater schriftlich dokumentiert und anschließend (zumindest) von den Arbeitgebervertretern unterzeichnet werden. Im Protokoll sollten Widersprüche des angehörten Arbeitnehmers oder auffällige Gefühlsregungen ausdrücklich erwähnt werden. Kann sich der Mitarbeiter zwar an alle Einzelheiten seines Tagesablaufes am Tattag erinnern, aber nicht mehr an das Wetter dieses Tages, gehört auch dieser Widerspruch in das Protokoll. Hilfreich ist auch die abschließende und ins Protokoll aufzunehmende Frage, ob der Arbeitnehmer noch ergänzende Anmerkungen machen möchte.[23]
2. Recht auf Beistand
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Fraglich ist, auf welche Form von Beistand der Arbeitnehmer Anspruch bei Befragungen, insbesondere der Anhörung, hat. Nach den §§ 81 Abs. 4 S. 3, 82 Abs. 2 S. 2, 83 Abs. 1 S. 2 und 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitnehmer das Recht, in den dort geregelten Fällen ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen (Tätigkeitsänderung für die die Kenntnisse des Arbeitnehmers nicht mehr ausreichen; Erläuterung der Leistungsbeurteilung und Entwicklungsmöglichkeiten; Einsichtnahme in Personalakten; Beschwerderecht). Daraus wird vielfach ein „allgemeines Recht auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitgliedes“ abgeleitet, das so nicht besteht. Das BAG hat klargestellt, dass es im Umkehrschluss keinen generellen Anspruch des Arbeitnehmers gibt, bei jedem mit dem Arbeitgeber geführten Gespräch ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen.[24] Selbst bei Gesprächen über Aufhebungsverträge besteht kein genereller Anspruch, sondern nur im Einzelfall, wenn z.B. noch über den Abschluss des Aufhebungsvertrages, die zurückliegende Leistung des Arbeitnehmers und anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb diskutiert werden soll. Dient das Gespräch nur noch zum „Aushandeln der Abfindung“ oder werden die Aufhebungsverträge bspw. bei einer Betriebsstilllegung verhandelt, scheidet ein Hinzuziehungsrecht aus. Es erscheint daher zweifelhaft, aus § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG ein allgemeines Recht des Arbeitnehmers auf Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an der Anhörung abzuleiten.[25] Das Erörterungsrecht nach § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG dient dazu, dem Arbeitnehmer eine realistische Einschätzung über seinen Leistungsstand und seine Entwicklungschancen zu geben. Auch erhält er Gelegenheit, etwaigen Fehlbeurteilungen entgegenzutreten und seine eigenen beruflichen Entscheidungen bis hin zu einer möglichen Eigenkündigung an der Bewertung seiner Leistungen und den betrieblichen Aufstiegschancen zu orientieren.[26] Durch das Recht auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds nach § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG wird das in § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG normierte Erörterungsrecht gestärkt. Das Betriebsratsmitglied soll dem Arbeitnehmer bei dem Gespräch beratend zur Seite stehen können. Durch die Teilnahme soll ein etwa vorhandenes intellektuelles Übergewicht des Arbeitgebers ausgeglichen oder abgemildert werden.[27] Mit diesem gesetzgeberischen Zweck ist die Situation in einer Anhörung nicht vergleichbar. Führt der Arbeitgeber oder sein Organ (Vorstand/Geschäftsführer) die Anhörung auf Arbeitgeberseite allein durch, hat auch der Arbeitnehmer keinen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitgliedes. Nur wenn auf Arbeitgeberseite weitere Personen anwesend sind, die zudem im Prozess als Zeugen zur Verfügung stehen, erscheint es aus Gründen der „Waffengleichheit“ richtig, dem Arbeitnehmer die Anwesenheit eines Betriebsratsmitgliedes zuzubilligen.[28]
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Ob der Arbeitnehmer arbeitsrechtlich einen Anspruch darauf hat, einen Rechtsanwalt bei der Anhörung oder sonstigen Befragungen hinzuzuziehen, ist nicht abschließend geklärt. Das BAG hat – allerdings im entschiedenen Fall nicht entscheidungserheblich – formuliert, dass man dem Arbeitnehmer die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für die Anhörung zuzugestehen habe.[29] Allerdings sollte es die Rechtsprechung vermeiden, dem Arbeitnehmer Beschuldigtenrechte wie im Strafverfahren zuzugestehen. Das BAG lässt dem Arbeitnehmer die Freiheit, sich auf Vorwürfe substantiiert einzulassen und aktiv an der Aufklärung mitzuwirken oder zu schweigen.[30] Verweigert der Arbeitnehmer eine aktive Beteiligung hieran, können daraus zwar negative Schlüsse gezogen werden. Die unterlassene Mitwirkung ist aber kein eigenständiger Kündigungsgrund. Der Arbeitnehmer muss sich weder selbst belasten, noch kann er gezwungen werden, dem Arbeitgeber Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „schlüssig“ zu machen. Durch eine solche unterlassene Mitwirkung verletzt der Arbeitnehmer keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.[31] Ist der Arbeitnehmer aber in seiner Entscheidung frei und durch den fehlenden Zwang zur Selbstbelastung geschützt, bedarf es nicht noch eines „Verteidigers im Arbeitsverhältnis“. Das Arbeitsverhältnis ist ein privatrechtliches Schuldverhältnis mit wechselseitigen Rechten und Pflichten. Von einem strukturellen Ungleichgewicht, einer deutlichen Überlegenheit des Arbeitgebers kann – abgesehen von Regionen, Branchen oder Berufen mit hoher Arbeitslosigkeit – kaum mehr gesprochen werden. Mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers korrespondiert das Rücksichtnahmegebot des Arbeitnehmers. Wenn sich der Arbeitgeber nicht auch seinerseits eines externen rechtlichen Beraters behilft, erscheint es angemessen, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in der Anhörung „unbefangen Rede und Antwort steht“. Andersherum