Pilzarten, die psychoaktiv wirken, eine allerdings verhältnismäßig gering auftretende Blaufärbung des unteren Stielteiles und teilweise des Hutes, besonders bei Nässe (Kapitel 4). Bei alten, nassen Fruchtkörpern können durchscheinend blaue Flecke spontan auf den Hüten auftreten, während die Stielverfärbungen meist erst durch das Abtrennen der Fruchtkörper von den Myzelien nach 30 bis 60 Minuten sichtbar werden. Ich fand auch bei Massenvorkommen immer blaugrün verfärbte Pilze gemeinsam mit solchen, die dieses Merkmal nicht aufwiesen. Die Blaufärbung bleibt beim Trocknen der Pilze unter teilweiser Ausblassung erhalten.
Die hier zitierten Pilzbeschreibungen aus früherer Zeit sind so detailliert, dass ich keine bessere hinzufügen könnte. Im Gegensatz zu mancher Literaturmeinung verströmen die feuchten Fruchtkörper beim Öffnen des Behältnisses sehr wohl einen Geruch, der ähnlich, aber schwächer als bei Psilocybe bohemica (Kapitel 2.3) als rettich- bis mohnartig beschrieben werden könnte und nicht unangenehm wirkt.
Auch zeigen die Pilze noch eine Besonderheit, die bei andern Arten kaum untersucht wurde. Unter dem Licht einer Quarzlampe fluoresziert die Psilocybe-Art – der verursachende Stoff konnte aber bis heute nicht identifiziert werden.
Wahrscheinlich ist Psilocybe semilanceata der psychoaktivste Pilz unter den europäischen Arten. Die eindrucksvolle und rapid einsetzende Wirkung kommt nicht nur in den zitierten Intoxikationen aus England, sondern auch in der folgenden Schilderung des ersten Selbstversuches eines Mykologen zum Ausdruck:
Nach der Aufnahme von nur 1,3 g der getrockneten und gepulverten Pilze (30 Exemplare) in Wasser setzte nach 20 Minuten bei nüchternem Magen sehr plötzlich und unerwartet unter starkem Tränenfluss die Psychose ein. Die Erscheinungen kann man am besten als eine Verknüpfung von Visionen und Gedanken bezeichnen – später fand ich den Begriff der „Imagination“ in der Literatur. Äußerst unangenehm wurde von mir nach der Art eines Tagtraumes ein Flug erlebt, bei dem mich an jedem Arm eine Hexe gepackt hatte… Wir flogen zu dritt irgendwann und irgendwo. Danach sahen alle umliegenden Gegenstände wie ausgebleicht aus. Bei Augenschluss wurden abstrakte Ornamente ohne besondere Leuchtkraft oder emotionale Wirkung gesehen. Während dieser Zeit trat weitere Dysphorie verknüpft mit schuldbewusstem Grübeln auf. Nach fünf Stunden war die Wirkung plötzlich vorüber, allmählich stellte sich leichter Kopfschmerz ein, weitere Folgen wurden nicht festgestellt.
Ein zweiter Versuch mit der halben Dosierung beeindruckte dagegen durch das Aufsteigen von Erinnerungen bei gleichzeitigem Wiedererleben von Kindheitsgefühlen und eigenartigen Verschmelzungsgefühlen:
Abb. 14 Psilocybe semilanceata von einem Heidestandort im Jahre 1989 (491 Pilze).
An einem Spätsommertag nahm ich 0,6 g des Pilzpulvers in der Natur ein. Das Wetter war sonnig und sehr warm, ich wanderte durch meine Heimatlandschaft, in der ich schon oft als Kind gespielt hatte. Plötzlich verspürte ich einen emotionalen Zustand, der am ehesten als eine kindliche Anschauungs- und Gefühlswelt zu dem mich umgebenden Wald beschrieben werden könnte. Die Umgebung wirkte besonders scharf konturiert, mein Blick erschien mir frisch und unverbraucht. Ich erinnerte mich plötzlich sehr detailliert, wie klein die Bäume vor Jahrzehnten gewesen waren, wie vor Dunkelheit dort kaum anderes Wachstum zu beobachten war, was mich teilweise geängstigt hatte. Gleichzeitig kamen mir meine Bewegungen viel kindlicher und elastischer vor. Der beglückende Zustand als Wiedererleben der Kindheit hielt etwa zwei Stunden an. Auf dem Heimweg sah ich ein Kälbchen auf der Weide. Es erweckte bei mir großes Mitleid, als ich sah, wie es unter den lästigen Fliegen litt. Dieses Mitempfinden steigerte sich kurzzeitig zu einer Art Verschmelzungsgefühlen mit dem Kalb, die ich als sehr sonderbar und nicht besonders angenehm empfand. Nach vier Stunden war die Wirkung ohne Folgen abgeklungen.
Abb. 15 Gute Beschreibung der Psilocybe semilanceata aus Sachsen durch R. Buch.
Ein drittes Pilzexperiment mit Psilocybe semilanceata in Oregon führte schließlich zu einer vollständigen Identifikation mit einer Person des 19. Jahrhunderts:
Wir sammelten eine große Menge „liberty caps“ auf einer Weide nahe Astoria. Später, im Haus, aß ich nicht mehr als 6 frische Pilze. Der Schlüsselreiz für das spätere Erleben kam von der Betrachtung eines Bildes, das als Aquarell eine elegante Lady im vorigen Jahrhundert zeigte. Dieses induzierte die plötzliche Erkenntnis, eine frühere Inkarnation im vorigen Jahrhundert gelebt zu haben. Ich wusste, dass ich 1813 in Deutschland als Alexander Schmitt geboren wurde und 1871 in Kentucky, USA, starb. Als Kind wanderte ich mit den Eltern und weiteren Emigranten per Schiff aus und änderte in den USA meinen Namen in Smith. Ich lebte dann als Holzfäller in einem kleinen Ort namens Sharpville, vielleicht auch geschrieben Shopville. Das Leben war hart und voller Entbehrungen, ich trank eine Menge Alkohol. Diese Umstände prägten meinen Lebensstil, der auch Schläge und andere Tyranneien gegenüber meiner Ehefrau einschloss. Als sich das Erleben vertiefte, erfolgte eine komplette Identifikation mit A. Smith. Während dieser Zeit erfolgte ein Wiedererleben in so vollendeter Form, dass ich nur noch englisch denken konnte, die ursprüngliche deutsche Sprache existierte nicht mehr. Schließlich wurden die letzten Stunden von A. Smith erlebt. Ich lag (er!) in weiße Bettlaken gehüllt und war sehr krank. Plötzlich wusste ich, dass meine Frau sich für die jahrelange Tyrannei gerächt und mich vergiftet hatte. Glücklicherweise war das Erleben dann zu Ende und ich erlebte den Tod selbst nicht mehr. Nach drei Jahren steht dieses Experiment als gültig in jedem Detail vor meinem geistigen Auge und hat meine Einstellung zum Tod nachhaltig verändert und vor allem relativiert.
Solche Erfahrungen können innerhalb des existierenden Weltbildes, das von den Naturwissenschaften determiniert wird, nicht erklärt werden. In jedem Fall sollten aber Versuche unternommen werden, entsprechende historische Personen und Plätze zu eruieren. Die betreffende Person hatte zu dem Staat Kentucky überhaupt keine Beziehung und war auch noch nie dort. Die historischen Orte konnten nicht aufgespürt werden, können durchaus aber im vorigen Jahrhundert existiert haben, denn immerhin fielen ihm einige Orte mit „ville“ als typisch auf, auch das war ihm vorher nicht geläufig. S. Grof beschreibt in seinen bekannten Büchern über das wissenschaftliche Studium der Wirkung von LSD ähnliche frühere Inkarnationen, deren Auftreten, meist im Laufe einer Applikationsserie, er als nicht selten erwähnt. Er regte die vorurteilsfreie Erforschung des Phänomens an. Erschwerend kommt bei solchen psychologischen Versuchen aber hinzu, dass diese Erlebnisse nicht gezielt induzierbar sind, sie ergeben sich scheinbar zufällig.
Abschließend noch ein kurzer Erlebnisbericht, der ebenfalls zeigt, dass je nach Persönlichkeit und Umgebung die Wirkung immer anders nuanciert ist:
Nach der Aufnahme von 0,6 g Pilzpulver in Orangensaft begann die Wirkung nach 30 Minuten: Eine endlose Folge von Bildern vor geschlossenen Augen. Dabei wurden weder auffällige euphorische noch dysphorische Stimmungslagen beobachtet; am ehesten kann mein Verhältnis zu diesen Erscheinungen „zeitweises Staunen“ genannt werden. Die anfänglich verschlungenen Ornamente wandelten sich im Laufe der Zeit in Pflanzen um, von denen aber einige unwirkliche, auf der Erde nicht bekannte Merkmale aufwiesen. Ich denke, die Bilder waren eine Wiederspiegelung meiner langjährigen Beschäftigung mit der Pflanzenwelt. Als mir dann ein Spiegel vorgehalten wurde, sah mich „ein finster aussehender, starr schauender Bursche“ an. Dann stellte ich etwas widerwillig fest, dass ich im Alltag auch so wirke und mich bemühe, dass man bei mir „nicht so dahintersieht“. Der Versuchsleiter bestätigte mir meinen eigenen Eindruck. Vorher hatten wir nie darüber gesprochen.
Abb. 16Psilocybe semilanceata auf grasigem Boden.