Jochen Gartz

Narrenschwämme


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      Abb. 17Wachstum der Pilze in Grasbüscheln.

       Mögliche psychotherapeutische Ausnutzung der psychotropen Wirkung des Psilocybins

      Im obigen Bericht des schon 67jährigen Mykologen klingt die mögliche psychotherapeutische Ausnutzung der psychotropen Wirkung des Psilocybins schon an (Kapitel 8).

      Im Einklang mit der starken Psychoaktivität konnte bei den chemischen Analysen der Pilze ein hoher Gehalt an Psilocybin nachgewiesen werden. Man kann heute davon ausgehen, dass die Psilocybe-Art bisher besser untersucht worden ist als jede andere Spezies, sogar gründlicher als die mexikanischen Arten. Letztere enthielten 0,2 bis 0,6% Psilocybin in den Exsikkaten.

      Psilocybin-Anteil in getrockneten Pilzen der Psilocybe semilanceata (durchschn. Werte).

Herkunft Psilocybin (%)
1. Dübener Heide, Ostdeutschland 0,96
2. Prag, Mittelböhmen 1,05
3. Krasna Lipa, Nordböhmen 0,91
4. Norwegen 0,95
5. Pazifischer Nordwesten, USA 0,93
6. Niederlande 0,97

      Aufsammlungen von Psilocybe semilanceata aus England, Schottland, Norwegen, aus Finnland, aus Belgien und Holland, Deutschland, Frankreich, den USA sowie aus der Schweiz und der Tschechoslowakei wurden meist umfassend analysiert. Dabei fand man, dass der Alkaloidgehalt bei der gemeinsamen Analyse mehrerer Pilze zur Ermittlung eines Durchschnittswertes unabhängig vom Herkunftsland um 1% in den Trockenpilzen liegt. Es wurde schon oft über chemische Rassen bei Pilzen diskutiert, z. B. beim Fliegenpilz, aber nachgewiesen wurde eine solche bei den höheren Pilzen – im Gegensatz zu den Pflanzen – noch nicht. Die vorgestellten Resultate sprechen alle gegen eine Variabilität in den grundlegenden chemischen Substanzen im Pilz. Unter den hier abgehandelten Arten scheinen Psilocybe semilanceata und Inocybe aeruginascens (Kapitel 2.5) die Pilze zu sein, deren Gehalt an Psilocybin in den einzelnen Fruchtkörpern am wenigsten variiert. Von den in Tabelle 1 dargestellten Analyseergebnissen stammen die ersten drei von eigenen Untersuchungen, die zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus Prag durchgeführt wurden. Frische Pilze enthalten etwa 90% Wasser, d. h. in einem Gramm ist durchschnittlich 1 mg Psilocybin enthalten.

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      Strukturformel von Psilocybin (1) und Psilocin (2).

      Das instabilere Psilocin, das als psilocybinanaloges Phenol viel oxydabler als letzteres ist, kommt in Psilocybe semilanceata höchstens in Spuren vor, meistens jedoch überhaupt nicht.

      Alkaloidgehalt von trockenen Pilzen eines Standortes aus der Dübener Heide (eigene Befunde).

Trockenmassen Psilocybin Baeocystin
18 (mg) 1,25% 0,34%
30 0,96 0,21
70 0,72 0,19
85 0,90 0,10

      Dagegen lässt sich das Baeocystin als biochemische Vorstufe des Psilocybins, bei dem die eine CH3-Gruppe der letzteren Substanz durch ein H-Atom ersetzt ist, in jedem Fruchtkörper der Psilocybe-Art nachweisen, durchschnittlich in Mengen um 0,2% in den Trockenpilzen. 1967 berichteten Leung und Paul über die Isolation des Baeocystins aus den Fruchtkörpern der nordamerikanischen Psilocybe baeocystis SINGER & SMITH. 1977 wiesen dann Repke und Leslie die Substanz auch in Psilocybe semilanceata der gleichen Herkunft nach.

      In einigen Untersuchungen ließ sich auch eine Variation in einzelnen Fruchtkörpern von einem Standort zeigen (Tabelle 2).

      Kleinere Pilze enthielten fast immer mehr Alkaloid als größere, wie an einem weitaus größeren Untersuchungsmaterial (40 Pilze) nachgewiesen werden konnte. Das Baeocystin wird besonders in den Pilzhüten akkumuliert. In den finnischen Pilzproben enthielt ein Pilz sogar 2,37% Psilocybin!

      Schon in den früheren kontrollierten Studien zur Psychoaktivität verschiedener Arten in der früheren Tschechoslowakei konnte nachgewiesen werden, dass bei gleichem Gehalt an Psilocybin die Psilocybe semilanceata stärker wirkte als die Psilocybe bohemica (Kapitel 2.3.). Die dabei aufgestellte Hypothese, dass noch weitere Substanzen in den Pilzen zur psychotropen Wirkung zusätzlich beitragen müssten, wird durch den regelmäßigen Nachweis des Baeocystins in beachtlichen Mengen in Psilocybe semilanceata bestätigt. Mir ist ein Versuch bekannt, bei dem 4 mg Baeocystin eine milde Halluzinose von dreistündiger Dauer erzeugten und 10 mg waren etwa identisch mit der Wirkung der gleichen Menge Psilocybin.

       Hohe Lagerungsbeständigkeit des Psilocybins

      Die Lagerungsbeständigkeit des Psilocybins im Pilzmaterial ist erstaunlich. Es konnte in einem Pilzexsikkat von anno 1869 aus einem finnischen Herbar noch 0,014% Psilocybin nachgewiesen werden. Eine Probe von 1843 enthielt allerdings kein Alkaloid mehr. Jedoch lässt sich die Art der Trocknung zu dieser Zeit natürlich nicht mehr feststellen. Temperaturen über 50 °C bewirken Zersetzungen des Psilocybins und seiner Derivate. In den Laborversuchen wurden bei Zimmertemperatur getrocknete Pilze oder auch gefriergetrocknete Fruchtkörper untersucht. Hier muss aber darauf hingewiesen werden, dass durch die poröse Struktur der gefriergetrockneten Pilze bei einer längeren Lagerung über Wochen und Monate bei 20 °C eine relativ schnelle Zersetzung der Alkaloide eintritt. Deshalb werden so hergestellte Exsikkate für Naturstoffanalysen bis zur Extraktion und Chromatographie bei −10 °C trocken aufbewahrt. In der nordamerikanischen Literatur wird unabhängig von den finnischen Ergebnissen erwähnt, dass die Zersetzung des Psilocybins in Psilocybe semilanceata im Vergleich zu den andern Arten am langsamsten erfolgte.

      In letzter Zeit werden vereinzelt Mythen kreiert, die angeblich neuentdeckte toxische Wirkungen der Psilocybe semilanceata jenseits der bekannten psychischen Symptomatik suggerieren. So sollen Milligrammspuren von Phenylethylamin im Pilz vermehrt „bad trips“ im Vergleich zu reinem Psilocybin induzieren. Diese Annahme, die aus sehr limitierten und unvergleichbaren Literaturdaten abgeleitet wurde, wird schon daher entkräftet, dass selbst 1,6 g (!) Phenylethylamin im klinischen Versuch völlig ohne Wirkung blieben (Shulgin). Außerdem zeigten Auert und Mitarbeiter in einem detaillierten Artikel aus der Tschechoslowakei von 1980, dass beim kontrollierten klinischen Vergleich von Psilocybin mit Pilzmaterial gleichen Alkaloidgehaltes die Arten Psilocybe semilanceata und Psilocybe bohemica generell einen mehr meditativen Bewusstseinszustand erzeugten als die Reinsubstanz! (vgl. auch Kapitel 9). Wir haben außerdem nachgewiesen,