Walter Brendel

Unter der Sonne geboren - 2. Teil


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würdig machte, Sire!“ Danach beging er den Fehler, mit seinem Rücktritt zu drohen.

      Ein gefährliches Schweigen entstand. Anna, die auf ihrem Sofa leise vor sich hin geweint hatte, horchte auf. Auch Ludwig wusste erst keine Antwort. Dann wurde er plötzlich ganz ruhig. „Machen Sie, was Sie wollen, Eminenz!“, antwortete er kühl. „Wenn Sie unsere Angelegenheiten nicht mehr führen wollen, gibt es genügend an-dere, die es gern tun werden.“ Damit verließ er den Raum. Von draußen hörte er, wie seine Mutter aufschrie und beschwörend auf den Kardinal einredete.

      Zur gleichen Zeit wurden die Verhandlungen mit Spanien weiter gerührt. Auch hier ging es drunter und drüber. Man feilschte um Grenzgebiete, um Provinzen und Städte und um das Schicksal des Großen Conde, dem sich Spanien verpflichtet fühlte. Für Mazarin war er nur ein Verräter. Trotzdem würde man ihn wohl in allen Ehren wieder aufnehmen müssen. „Das alles ist zu viel für mich!“, sagte Mazarin eines Abends zu Nicolas Fouquet, der darauf drängte, den Friedensvertrag endlich zu unterzeichnen. „Wir können uns diesen Krieg nicht länger leisten, Eminenz!“, sagte er. „Meine Kreditgeber verweigern mir schon die Zusammenarbeit. Wie kommt es, dass plötzlich wir die Spanier hinhalten?“

      Mazarin schilderte ihm Ludwigs leidige Liebesgeschichte. Nicolas hörte ihm kopfschüttelnd zu. „Der arme Junge!“, murmelte er. Mazarin fuhr auf. „Sie haben doch wohl nicht Verständnis für eine solche Dummheit?“, rief er. Nicolas zuckte die Achseln. „Für die Dummheit schon, Eminenz. Doch ich hätte kein Verständnis, wenn Sie sie zuließen.“ Er schüttelte den Kopf. „Diese Heirat ist unmöglich. Seine Majestät muss darauf verzichten. Trotzdem zeigt er uns mit seiner Unvernunft, dass er ein Mensch ist, der lieben kann. Wir sollten für ihn da sein.“

      Mazarin starrte ihn finster an. „Sie sind mir keine Hilfe, Monseigneur!“, murrte er. „Zumindest nicht in dieser Angelegenheit.“ Dann begab er sich in Ludwigs Gemächer und teilte ihm mit, er könne nicht mit ansehen, wie Ludwig das Werk seiner Väter zer-störe. Sollte er nicht auf diese Heirat verzichten, werde er, Kardinal Jules Mazarin, mit seinen noch unverheirateten Nichten Frankreich verlassen und nach Italien ziehen. Als Maries Vormund werde er ihr eine Heirat mit dem König verbieten. Nur so sei Frankreich noch zu retten.

      Ludwig hatte nächtelang nicht geschlafen. Er war erschöpft und niedergeschlagen. Wenn er Marie traf, lagen sie einander in den Armen und schworen sich ewige Liebe. Doch gleich danach überkam sie wieder die Verbitterung über den Widerstand, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie überboten sich in Angriffen auf die Königin und den Kardinal, bis es ihnen selbst zu viel wurde und sie anfingen, aneinander zu leiden. So gingen sie für kurze Zeit auseinander, und Ludwig begab sich wieder zum Kardinal, obwohl sich seit dem letzten Gespräch nichts geändert hatte.

      Doch auch Mazarin konnte nicht mehr. „Ich schäme mich schon vor meinen spanischen Gesprächspartnern, Sire“, erklärte er müde. „Sie drängen auf Klarheit, und ich vertröste sie nur.“ Er legte die Lupe aus der Hand, die er in letzter Zeit zum Lesen benötigte. „Ich brauche eine bindende Entscheidung von Ihnen: Soll ich die Frie-densverhandlungen fortführen oder nicht? Verstehen Sie mich recht, Sire: Friedensverhandlungen bedeuten immer auch Verhandlungen über den Heiratsvertrag. Auf etwas anderes lässt sich König Philipp nicht ein.“ Er senkte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Lieber. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich in eine solche Situation kommen könnte. Auch Ihnen hätte ich mehr Glück gewünscht.“ Er blickte Ludwig in die Augen. „Aber es geht nicht anders, verstehen Sie mich? Es geht nicht anders.“

      Ludwig schwieg lange. Dann nickte er. „Machen Sie weiter wie bisher, Eminenz!“, bestimmte er. Seine Lippen zitterten.

      Mazarin atmete auf. „Und Marie?“, fragte er. „Die Spanier wissen genau, dass Sie sich immer noch mit ihr treffen.“

      Ludwig kämpfte mit sich. „Wir werden uns für kurze Zeit trennen“, gab er nach. „Vielleicht nicht für immer. Und wir werden uns schreiben, sooft wir wollen. Darauf bestehe ich.“ Er meinte, gleich müssten ihm wieder die Tränen kommen wie so oft in den vergangenen Tagen. Doch nichts geschah.

      Er war nur müde. Entsetzlich müde und traurig. Dein Reich, o Liebe, ist ein grausames Reich!, dachte er.

      Am nächsten Morgen, es war der 22. Juni 1659, führte Ludwig Marie zu ihrer Karosse. Er half ihr beim Einsteigen und blieb dann noch lange bei ihr stehen. Er blickte in ihr Gesicht, das ihm so vertraut und kostbar erschien wie kein anderes auf der Welt.

      Marie schaute zu ihm hinunter. „Ach, Sire“, sagte sie leise. „Es ist eine verkehrte Welt. Sie sind der König, Sie weinen, und ich gehe.“

      Der Kutscher schloss den Wagenschlag. Marie steckte ihre Hand durchs Fenster. Ludwig griff danach und hielt sie fest. Da gab Marie dem Kutscher ein Zeichen und riss sich los. „Ich bin verlassen!“, rief sie, als der Wagen davonfuhr.

      Ludwig blieb zurück. Alles schien ihm verloren. Er ließ sich sein Pferd bringen und ritt stundenlang durch den Wald. Danach kehrte er zurück und schrieb den ersten von unzähligen Briefen, die Marie aus ihrer Verbannung mit Hortense und Madame de Venel alle beantwortete.

      Zwei Mal trafen sie einander noch. Beim ersten Mal sagte Marie, sie müsse sich dem Willen ihres Onkels unterwerfen und bitte Ludwig, ihr nicht mehr zu schreiben und auch ihre früheren Briefe zu verbrennen. Ludwig konnte es nicht glauben. Wieder und wieder schrieb er ihr trotzdem und schickte ihr sein Schoßhündchen Friponne. Am Halsband trug es einen silbernen Anhänger mit der Inschrift „Ich gehöre Marie Mancini.“

      Marie wusste trotzdem, dass sie verloren hatte. Der Kardinal teilte ihr mit, er habe einen Gemahl für sie gefunden, einen aus den allerhöchsten Kreisen: den Prinzen Lorenzo Colonna, dem seine eigenen Vorfahren einst als Kammerherrn gedient hatten.

      Doch Marie hatte kein Gefühl für den Aufstieg ihrer Familie. „Ein Italiener?“, fragte sie. „Ihre Majestät sagte mir, auch Prinz Karl von Lothringen käme für mich infrage. Dann könnte ich in Frankreich bleiben.“

      Mazarin schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Kind“, antwortete er, ohne ihren Einwand zu beachten. „Die Entscheidung ist bereits gefallen.“

      „Prinz Colonna also?“

      Mazarin nickte. „Endgültig.“

      Marie fügte sich. Auch Ludwig verbrannte nun ihre Briefe.

      Seine verzweifelten Ritte durch den Wald wurden seltener, als seine Mutter anfing, Maries Ruf zu untergraben. Ständig sei das junge Mädchen auf Festen. Dem Prinzen Karl von Lothringen habe sie so offen schöne Augen gemacht, dass schon alle Welt darüber rede.

      Ludwig glaubte, das Herz zerreiße ihm. „Ist das wahr, Maman?“, rief er.

      Anna sah ihm tief in die Augen. „Habe ich jemals gelogen, mein Sohn?“, fragte sie. Ludwig wusste, wie streng Annas Beichtvater mit ihr war, und schenkte ihr Glauben. So kam es, dass er sich bei der zweiten Begegnung nach der Trennung nur kühl vor Marie verneigte.

      Für Marie selbst hatte sich nichts verändert. „Ludwig!“, sagte sie zärtlich. „Wie geht es Ihnen?“

      Der Klang ihrer Stimme traf ihn ins Herz. Trotzdem blieb seine Miene beherrscht. „Ich danke für die Nachfrage, Mademoiselle“, antwortete er abweisend. Noch einmal verneigte er sich kalt. Dann ließ er sie stehen.

      Marie starrte ihm nach. Sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ihre Schwester Hortense eilte herbei und führte sie wie eine Kranke in ihre Gemächer. Ludwig aber ritt ein letztes Mal durch den Wald und nahm endgültig Abschied von seiner Liebe. Er wusste, dass er nie mehr dergleichen empfinden würde. Nie mehr würde er so glücklich sein wie mit Marie, nie mehr aber auch so verletzlich.

      Als Marie nach Italien ging, um den Prinzen Colonna zu heiraten, äußerte dieser seinen Verwandten gegenüber, er sei überrascht. „Ich hätte nicht erwartet, in der Liebe von Königen Unschuld zu finden!“, stellte er fest. Trotzdem blieben die beiden einander fremd.

      Die Infantin

      Nicolas