Walter Brendel

Unter der Sonne geboren - 2. Teil


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Ihren auffallendsten Gewändern, selbst die Herren in vielen bunten Farben. Überall sah man Borten, Federn und Bänder, und Edelsteine blitzten in der Sonne. Die Spanier hingegen schienen zeigen zu wollen, wie sehr sie das übermütige Gehabe und all die schreienden Farben verachteten. Stumm, bleich und bewegungslos wie Statuen warteten sie in der heißen Frühsommersonne auf den Einlass, schwarz gekleidet sie alle, Damen wie Herren, und als sich die Tore öffneten, schienen die Damen mit ihren weiten Röcken in die Kirche hineinzusegeln wie schweigsame Schiffe in einen schattigen Hafen.

      Als König Philipp IV. mit seiner Tochter das Gotteshaus betrat, hielten alle den Atem an. Dies also, dachten die Franzosen, war der verfluchte Spanier, den sie jahrelang zur Hölle gewünscht hatten! Dieser hochgewachsene Mann, dünn und farblos wie eine Treibhauspflanze! Als Kriegshetzer und Blutsäufer hatte man ihn verunglimpft.

      Erst in den letzten Wochen, auf der Reise nach Süden, hatte man erfahren, dass er Komödien schrieb und die umfangreichen Werke des italienischen Historikers Guichardin ins Spanische übersetzt hatte. Man hatte gehört, dass er eine ausführliche Korrespondenz mit der seherisch begabten Nonne Muria d'Agreda unterhielt und dass ihm nichts eine größere Freude bereitete, als seine Hauptstadt Madrid zu verschönern.

      Philipp von Spanien, der einstige Feind. Wie blass er war, als er seine Tochter an der linken Hand zum Altar führte! Im Unterschied zu seinem Gefolge war er in Grau und Silber gekleidet. Auf seinem Hut funkelte ein riesiger Diamant, der „Spiegel von Portugal“. Darüber schimmerte die größte Perle der Welt, die „Pelegrina“. Ein wahrer König!, dachten die Franzosen anerkennend, und so empfanden es wohl auch die Spanier.

      Auch die Braut strahlte hohe Würde aus. Sie sei schüchtern und ungeschickt, hatten die Franzosen während der Reise getuschelt. Ihrem Vater gegenüber benehme sie sich mit einer Unterwürfigkeit, die sich eine Französin nicht einmal vorstellen könne. Dass sie pummelig sei, könne jeder sehen. Doch man wisse auch, woher dieser Makel stamme: Wie verrückt sei Maria Theresia nach Naschwerk und Marmelade! Ihr ganzes Verhalten sei einer Prinzessin unwürdig. Ihre Schoßtiere behandle sie wie Kleinkinder, und zu ihrer Unterhaltung umgebe sie sich mit Zwerginnen und Hofnarren. Was aber das Schlimmste sei: Nicht einmal Tanzen habe sie gelernt!

      Fast zwanghaft fiel bei solchen Gesprächen der Name Marie Mancini. Wie sollte der König nach dieser sprühenden, geistvollen jungen Frau mit einer Gemahlin leben, die keine eigenen Entschlüsse fasste und nicht einmal als Gesprächspartnerin infrage kam?

      Dennoch: Heute, in der Kirche, an ihrem Hochzeitstag, entsprach Maria Theresia in keiner Weise den Klatschgeschichten, die man über sie verbreitete. An der schützenden Hand ihres Vaters bewegte sie sich anmutig und würdevoll. Es schien ihr nicht darauf anzukommen, zu gefallen. Sprachlos bemerkte die Grande Mademoiselle mit ihren zwanzig Reihen Perlen um den Hals, dass die Braut -Tochter eines großen Königs! - ein einfaches weißes Wollkleid trug. Nur ein paar Edelsteine zierten das enge Mieder, doch sonst sah man an der Infantin keinerlei Schmuck.

      Die Katholische Majestät führte seine Tochter zum Altar, wo ein Samtkissen für sie bereitlag. Im Schein der Kerzen kniete Maria Theresia nieder, während ihr Vater zur Seite trat. Die Zeremonie begann. Als der Augenblick gekommen war, wo die Braut ihre Zustimmung zur Heirat kundtun sollte, erhob sich Maria Theresia und verbeugte sich tief vor ihrem Vater. „Si“, antwortete sie leise. Trotzdem hörten es alle, so still war es in der Kirche.´

      Auch Don Luis de Haro, der den Bräutigam vertrat, sprach sein Ja. Damit war es vollbracht. Maria Theresia, Infantin von Spanien, war nun die Gemahlin des französischen Königs. Mit Tränen in den Augen wandte sie sich ihrem Vater zu, der sie zärtlich umarmte - für die Franzosen eine Selbstverständlichkeit, doch für die Spanier ein Wunder. Noch nie hatte jemand den König so ergriffen gesehen.

      Der folgende Tag brachte für Königin Anna eine Begegnung, nach der sie sich gesehnt hatte, seit sie vor fünfundvierzig Jahren n ihre Heimat verlassen hatte. Damals hatte sie noch damit in rechnen müssen, ihren Bruder Philipp niemals wiederzusehen. Durch den langen Krieg war es dann sogar noch schlimmer gekommen. Als Königin von Frankreich durfte sie nicht einmal mehr in familiärer Weise über ihn sprechen. Philipp, mit dem sie als Kind gespielt und gelacht hatte, war am französischen Hof für jeden außer ihr ein Monstrum, fast so schlimm wie der Teufel selbst.

      Nun aber würde diese schwere Zeit ein Ende haben. Schon Tage vor dem ersehnten Zusammentreffen hielt die Königin den Atem an, wenn sie an das bevorstehende Wiedersehen dachte. Sie freute sich über alle Maßen und konnte es kaum erwarten.

      Zugleich aber hatte sie Angst davor. Als junges Mädchen hatte Philipp sie zuletzt gesehen. Nun aber war sie eine Frau von bald sechzig Jahren. Natürlich würde er sie erkennen, wenn sie ihm gegenübertrat. Doch würde er sie auch wiedererkennen? Würde er in dem Gesicht einer reifen Frau die kindlichen Züge wiedererkennen, die ihm einst vertraut gewesen waren? Oder würde er bei Ihrem Anblick erschrecken über die Spuren des langen Lebens, das zwischen der letzten Begegnung und dem Wiedersehen lag? Noch nie hatte Anna eine so lange Zeit vor dem Spiegel verbracht wie an jenem Morgen. Jeden Handgriff ihrer Zofe verfolgte sie und griff ein, wenn das immer noch goldblonde Haar im nicht genau so festgesteckt wurde, wie sie es wünschte. Dabei beugte sie sich immer wieder vor, um ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten.

      Vor Aufregung hatte sie in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen. War ihr der Mangel an Ruhe anzusehen? Und ihre Wangen? Waren sie fest genug? Rosig genug? Bin ich schön?, dachte Anna voller Sorge. Bin ich immer noch schön?

      Mit einem Boot gelangten Anna und ihr Hofstaat auf die Fasaneninsel in der Bidassoa. Vor einem Jahr hatte hier die Friedenskonferenz begonnen. Noch immer war die kleine Insel durch eine gewaltige Palisade in einen spanischen- und einen französischen Bereich geteilt. Während den Verhandlungen waren die beiden Delegationen häufig in Streit geraten. Die Spanier übten sich in Hochmut, die Franzosen in Ironie, beide so lange, bis Degen gezogen wurden und die mühsam aufrechterhaltene Friedensbereitschaft zu zerbrechen drohte. Es war das Verdienst von Mazarin und Don Luis de Haro, dass sich die Wogen immer wieder glätteten und als letzte Konse-quenz nun die königliche Hochzeit gefeiert werden konnte.

      Die Begegnung der Geschwister fand in einem Konferenzsaal statt. Von beiden Seiten hatte man riesige Teppiche entrollt. Der schmale Zwischenraum in der Mitte war die Grenzlinie zwischen Frankreich und Spanien, für beide verbotenes Gebiet. Anna und Philipp hatten jeder im eigenen Königreich zu bleiben.

      Das große Gefolge der katholischen Majestät stellte sich auf der einen Seite auf, die Franzosen auf der anderen. Der Einzige der fehlte, war Ludwig. Erst bei der zweiten Trauung, der „richtigen“, sollte ihm gestattet sein, seine Braut zu sehen und von ihr gesehen zu werden. Maria Theresia allerdings war anwesend, ging es bei dieser Begegnung doch auch darum, sie mit ihrer Schwiegermutter bekanntzumachen.

      Ludwig war neugierig. Wenigstens einen Blick wollte er auf seine Gemahlin werfen. Sogar Anna staunte, wie sehr er sich auf das junge Mädchen freute. Trotzdem hatte es verzwickter diplomatischer Winkelzüge bedurft, bis Philipp endlich die Erlaubnis erteilte, sein Schwiegersohn dürfe vor dem Fenster des Konferenzsaals vorbeireiten und hereinschauen. Auch Maria Theresia wurde gestattet, dabei den Blick nicht zu senken, sondern ebenfalls zu ihm hinzusehen. Kopfschüttelnd dachten die Franzosen an die Freizügigkeiten von Ludwigs lebenslustigem Großvater Heinrich IV. Hätte er sich wohl mit so viel Strenge abgefunden?

      Noch wusste niemand, dass auch Ludwig nicht bereit war, sich dem Diktat seines Schwiegervaters so vollständig zu unterwerfen. Als sich die Delegationen bereits im Konferenzsaal versammelt hatten, ließ er Mazarin ein Schreiben überreichen, indem er ihm mitteilte, er werde nicht nur vorbeireiten, sondern als „unbekannter Fremder“ bis zum Tor kommen, das man ihm auf sein Klopfen hin öffnen möge. Nachdem Mazarin den Brief gelesen hatte, lächelte er und nickte dem Boten zu.

      Nun wurde es still im Saal. Durch die eine Tür trat die Katholische Majestät in den Konferenzsaal, durch die andere die Königinmutter von Frankreich. Jeder in seinem eigenen Land, gingen sie über die Teppiche aufeinander zu. Dabei ließen sie einander nicht aus den Augen. Schon nach wenigen Schritten schien die Zeit für sie still-zustehen. Anna war wieder die rosige kleine Infantin, die ihren Bruder anhimmelte, und Philipp der allzu ernste, gehemmte Prinz,