Maximilian Mondel

Die Anbetung der Könige


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Weißwein – einen Capsula Viola von Antinori. Schillaci begann sich wohlzufühlen. Es war angenehm warm, und er hatte ein rundum gutes Gefühl. Allerdings fragte er sich langsam, welcher Auftrag nun eigentlich auf ihn wartete.

      »Gemach, gemach, Signore Schillaci. Jetzt trinken wir noch einen Cappuccino, und dann zeige ich Ihnen Ihren Arbeitsplatz. Ich hoffe, dass er Ihnen gefallen wird. Und noch was: Bitte, bitte, verzeihen Sie meine kleinen Sicherheitsmaßnahmen. Sie werden sehen, dass sie zu Beginn einfach notwendig sind.«

      Gabriele Schillaci war mit der Ausstattung des anscheinend eigens für ihn eingerichteten Ateliers mehr als zufrieden. Er hatte zwar seine eigenen Malereiutensilien mitgebracht, die würde er aber wohl gar nicht brauchen. Das im Keller seiner Unterkunft gelegene, über eine steinerne Treppe erreichbare Atelier ließ keine Wünsche offen: Mehrere mächtige Staffeleien waren aufgebaut, unzählige Farbtuben lagen bereit, Pinsel und Skalpelle in allen Größen harrten ihrer Verwendung. Francesco hatte an alles gedacht. An einer Wand stand ein Bücherschrank mit rund 40 Bänden einschlägiger Fachliteratur. Das Ganze erinnerte Schillaci an einen Malereibedarfsladen. Und wenn der Keller je modrig gewesen war, dann war ihm jetzt jegliche Muffigkeit ausgetrieben worden: Eine Klimaanlage sorgte für eine angenehme Temperatur, Abzugsrohre beförderten die verbrauchte Luft nach draußen, das Licht ließ sich stufenlos verstellen, und in der Ecke stand sogar eine Infrarotlampe für die Analyse verschiedener Farbschichten bereit. Hier würde es sich vorzüglich arbeiten lassen, überlegte Schillaci, die professionelle Ausstattung und die Aussicht auf das fürstliche Salär würden ihn über die paar Wochen in Einsamkeit und Abgeschiedenheit hinwegtrösten. Mit Francesco, den er für einen kunstsinnigen Experten und einen geradlinigen Zeitgenossen hielt, würde er gut auskommen, und dass dieser ihn eindringlich gebeten hatte, sich nur im Umkreis des Nebenhauses der Villa zu bewegen, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Warum auch. Rund um das ihm zugewiesene Häuschen ließ es sich sicher gut leben, auch wenn es hier weder Fernseher noch Computer gab. Irgendwie kommt mir das alles wie ein bezahlter Urlaub am Land vor, schmunzelte Schillaci bei sich und schüttelte den Kopf. Francesco würde sich auf ihn verlassen können. Wieder und wieder vergegenwärtigte er sich dessen Worte:

      »Signore Schillaci, malen Sie mir ein möglichst perfektes Abbild dieser Kopie der ›Anbetung der Könige‹! Ich will zwischen den beiden Bildern keinen wie auch immer gearteten Unterschied erkennen können! Überraschen Sie mich! Und lassen Sie sich ruhig Zeit.«

      EINE KULTURELLE ­KATASTROPHE ERSTEN GRADES

      Auftritten römischer Politiker blickt man in der toskanischen Hauptstadt ungefähr so freudig entgegen wie dem Antreten von Juventus Turin im Stadio Artemio Franchi, der Heimstätte des AC Florenz. Als um 14.10 Uhr der italienische Kulturminister Guido Mancini mit seiner Entourage am Aeroporto Amerigo Vespucci landete, waren die Vorbereitungsarbeiten für die eilig einberufene Pressekonferenz im Museum des Opificio delle Pietre Dure im Zentrum von Florenz, rund zehn Autominuten vom OPD in der Fortezza da Basso entfernt, voll im Gange. Acht Kamera­teams waren bereits vor Ort. In dem repräsentativen Saal mit wunderschönen Intarsien hatten sich rund 35 Journalisten eingefunden. Am Rednerpult waren Dutzende Mikrofone platziert. Grüppchenweise standen die Journalisten beisammen und tuschelten über den möglichen Grund für die Pressekonferenz.

      Dass es sich um eine Krise nationalen Ausmaßes handelte, war den Journalisten im Rahmen der Einladung erklärt worden, ebenso wie dass Kulturminister Mancini höchstpersönlich aus Rom anreisen werde. Beide Umstände sorgten für unterschiedlichste Spekulationen von Seiten der Medienvertreter: Die einen rechneten mit einem erneuten Wasserschaden und dem Verlust wertvoller Exponate im Keller des OPD-Museums, die anderen mutmaßten, dass man im Zuge der Restauration eines bekannten Gemäldes auf einen argen Kunstbetrug aufmerksam geworden war. Als unter lautem Quietschen eine Doppeltüre aufsprang, klemmten sich die Kameramänner hinter ihre Kameras, die Journalisten zückten ihre Schreibblöcke, die Tontechniker setzten ihre Kopfhörer auf. Es erschien, und nur als Erscheinung lässt sich der Auftritt des Ministers umschreiben, Guido ­Mancini, klein, dicklich und umweht von der Aura eines Intellektuellen. Flankiert wurde er von dem die ausgedruckte Rede in Händen haltenden Ministersekretär Michele Marchetti sowie OPD-Direktor Maurizio Collocini. Danach folgten, Sekundanten gleich, die ermittelnden Beamten Domenico Dal Fiesco von den Carabinieri und Luca Lezzerini vom Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale sowie, als oberster Repräsentant des Innenministeriums in Florenz, Colonello Andrea De Gennaro. Uffizien-Direktor Giuseppe Ferro betrat den Raum mit etwas Abstand, gesellte sich aber nicht zu den anderen, die sich rund um Minister Mancini gruppiert hatten, sondern stellte sich etwas abseits zu den Journalisten. Beachtet wurde Ferro dabei kaum. Alle Augen waren auf die fünf Herren gerichtet, die sich hinter den Mikrofonen aufgereiht hatten. Einzig Ministersekretär Marchetti stand etwas abseits und betätigte sich als Zeremonienmeister. Abrupt begrüßte er die Pressevertreter, dankte allen für ihr Erscheinen zur kurzfristig angesetzten Pressekonferenz und stellte, ohne auf Sinn und Zweck der Pressekonferenz einzugehen, der Form halber Kulturminister Mancini vor. Danach übergab er ohne weitere Erklärungen an seinen Chef, der mit ernster Miene und großem Gestus von einer »kulturellen Katastrophe ersten Grades« sprach und davon, dass »jetzt ganz Italien zusammenhalten« und man »alles unternehmen müsse, um ein beispielloses Verbrechen aufzuklären«. Als der Spannungsbogen dermaßen gestrafft war, dass selbst der abgebrühteste Journalist endlich wissen wollte, was denn nun überhaupt passiert sei, rückte der für seine melodramatischen Auftritte bekannte Minister mit der nackten Wahrheit heraus.

      »Das bekannte Renaissancegemälde ›Die Anbetung der Könige‹ von Leonardo da Vinci wurde heute Nacht unter noch im Detail zu klärenden Umständen aus der Restaurationswerkstatt des Opificio delle Pietre Dure in der Fortezza da Basso in Florenz gestohlen. Der oder die Diebe haben sich anscheinend über Nacht in das OPD einschließen lassen und das Gemälde frühmorgens entwendet. Danach sind sie mit einem bereitstehenden Lieferwagen, wie es scheint, in Richtung Bologna geflohen.«

      Dann ließ Mancini von seinem Sekretär einen Poster des berühmten Gemäldes ausrollen und hochhalten, und dieser versicherte den Journalisten auch gleich, dass in wenigen Minuten eine Presseinformation mit dem hochauflösenden Foto des Gemäldes per Mail an alle Anwesenden sowie alle relevanten Redaktionen in Italien verschickt werde. Bevor Minister Mancini an die anderen Redner übergab, nutzte er die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit und wies noch einmal darauf hin, welch »dreistes Verbrechen« hier begangen wurde und dass man »kollektive Anstrengungen« unternehmen müsse, um des »einzigartigen Kunstschatzes aus der Hand des großen Meisters« wieder habhaft zu werden.

      Nach dem groß inszenierten Auftritt des Ministers und während die Mikrofone für den nächsten Redner vorbereitet wurden, informierten einige Journalisten bereits hektisch ihre Redaktionen: Titelseiten mussten freigeschaufelt, die Nachrichtensendungen um 15 Uhr neu geplant werden. Minister Mancini stehe nach der Pressekonferenz selbstverständlich für kurze Einzelinterviews zur Verfügung, ließ Ministersekretär Marchetti noch wissen und betonte, dass die TV-Sender und Radiostationen dabei Vorrang haben würden.

      In das Gemurmel der Printmedienvertreter mischte sich im nächsten Moment die Stimme von Colonello Andrea De Gennaro, dem obersten Exekutivbeamten der Stadt. De Gennaro beeindruckte mit mehr Sachlichkeit und weniger Pathos als sein Vorredner, erbat die Beteiligung der Bevölkerung bei der Aufklärung des Verbrechens und gab eine Hotline für Hinweise aller Art bekannt. Auch auf Anfrage waren ihm jedoch keine Details zum genauen Ablauf des Diebstahls zu entlocken. Dal Fiesco und Lezzerini wechselten während seiner Rede den Bruchteil einer Sekunde die Blicke: Auf De Gennaro war eben Verlass. Sein Hinweis auf »ermittlungstaktische Gründe« sollte primär den Druck von den Carabinieri und dem Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale nehmen, die nach ihm an die Reihe kamen. Niemandem war schließlich gedient, wenn Details rund um »Snakegate«, den Begriff hatte De Gennaro in der 25-minütigen Vorbesprechung geprägt, an die Öffentlichkeit gelangten. Wenn der Coup mit der Schlange zu früh nach draußen drang, bestand nämlich nicht zuletzt auch die Gefahr der Solidarisierung der Bevölkerung mit dem gewitzten Kunstdieb. Dal Fiesco war zwar bewusst, dass De ­Gennaro nicht der gewiefteste Polizeibeamte in der Geschichte von Florenz war, aber für delikate Angelegenheiten, wie das geschickte Aussteuern von Inhalten nach außen, war er eben eine absolute Top-Besetzung. Auch OPD-Direktor